Angela Merkel Das K-Rätsel

Angela Merkel
Foto: Rainer Jensen/ dpaAngela Merkel bereut nichts. Die verbreitete Unzufriedenheit der Bürger mit ihrer Flüchtlingspolitik? "Wir haben unablässig gearbeitet", sagt die Kanzlerin. Aber auch: "Es gibt Weiteres zu tun." Die Vorwürfe ihres Koalitionspartners Sigmar Gabriel, die Union blockiere bei der Integration der Migranten? "Wir haben alles gemeinsam beschlossen. Wir haben auch vieles sehr, sehr schnell beschlossen."
Nein, von Selbstkritik war Merkels Auftritt beim Sommerinterview in der ARD am Sonntagabend nicht geprägt. Mag ihr Popularitätspolster dahinschmelzen, die Kritik an ihr lauter werden, munter über ihre erneute Kandidatur spekuliert werden - die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende gibt sich unbeirrt.
Fragen, wie es mit ihr weitergeht, wischt sie mit einem ihrer berüchtigten Merkel-Sätze weg: "Über die Frage, wie ich mich bezüglich einer weiteren Kanzlerkandidatur entscheide, werde ich zum gegebenen Zeitpunkt ja dann auch Bericht erstatten oder die Aussage machen." Dann lächelt sie, im Hintergrund tuckern Ausflugsboote über die Spree, der aufgeheizte Berliner Spätsommerhimmel zieht sich zu. Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin.
Nein, Angela Merkel bereut nichts. Zumindest nicht öffentlich. Auch nicht, wenn es ihre persönliche Zukunft berühren könnte.

Merkel beim ARD-Sommerinterview
Foto: Rainer Jensen/ dpaFast ein Jahr ist es her, seit Merkel in jener legendären Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 beschloss, Tausende, in Ungarn gestrandete Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen. Es war eine einsame Entscheidung, eine, die das Land veränderte und auch den Blick auf die Kanzlerin.
Sie hat getan, was man ihr sonst immer vorgeworfen hat, nie zu tun. Merkel, sonst zögerlich und abwägend, hat sich festgelegt, persönlich, schnell, unwiderruflich. Und dabei haben wohl auch Emotionen einen Rolle gespielt bei ihr, der gewöhnlich nüchtern kalkulierenden Physikerin der Macht. (Lesen Sie hier die Rekonstruktion der historischen Ereignisse aus dem SPIEGEL.)
Über Merkels Motive ist viel spekuliert worden: der enorme Handlungsdruck, das gescheiterte Dublin-System, die Flüchtlingstragödie im österreichischen Parndorf, das Bild von der Leiche des kleinen Alan am türkischen Strand. Auch die fremdenfeindliche Wut, die ihr im sächsischen Heidenau entgegenschlug, soll in Merkel etwas ausgelöst haben.

Flüchtling mit Merkel-Bild in Ungarn Anfang September 2015
Foto: Stephan OrthWahr ist: Es gab in jenen bewegten Stunden keinen glorreichen Mittelweg. "Willkommenschaos oder Abschottungschaos", so hat es die "Zeit" gerade beschrieben, "das stand zur Wahl." Merkel entschied sich für das Willkommen, mit allen Folgen, die sie mit Sicherheit nicht abgesehen haben dürfte.
Deutschland in Europa isoliert. Die Gesellschaft gespalten. Die AfD stark gemacht. Die Schwestern CDU und CSU entzweit. Und Merkels politische Zukunft ungewiss.

CSU-Chef Horst Seehofer, CDU-Kollegin Merkel (Ende Juni 2016 in Potsdam)
Foto: DPA/Ralf HirschbergerDenn ohne die Flüchtlingskrise hätte Merkel womöglich schon längst verkündet, dass sie auch nach der nächsten Bundestagswahl das Land weiterregieren möchte. Sie möchte das immer noch, doch ohne die offizielle Rückendeckung der CSU will sich die CDU-Chefin nach SPIEGEL-Informationen nicht nach vorne wagen.
Das Problem: Im Dezember, beim Parteitag, steht die Wiederwahl Merkels zur Vorsitzenden an. Da wüssten die CDU-Delegierten schon gerne, woran sie sind. Die Schwesterpartei CSU aber will sich erst im Frühjahr 2017 festlegen, ob sie Merkel unterstützt, wie Bayerns Finanzminister Markus Söder im SPIEGEL jetzt noch einmal betonte.
CSU will hören: "Wir haben verstanden"
Natürlich hat auch Merkel längst gemerkt, dass mit einem großen Herzen allein keine Wahlen zu gewinnen sind. Die Balkanroute ist dicht, was nicht an ihr liegt, die Kanzlerin aber gerne in Kauf nimmt. Dazu hält die Türkei den Europäern im Zuge eines Deals Flüchtlinge vom Hals. Daheim wurden die Asylgesetze verschärft, ihr Innenminister entwirft Sicherheitskataloge.
Merkel bleibt beim "Wir schaffen das", sie habe diese Worte gesagt "in Anbetracht einer erkennbaren großen Aufgabe", erklärt sie am Sonntag in der ARD. Doch der Satz hat seinen Zauber verloren. Die Kanzlerin habe "ihre Position ja der unseren angenähert", sagt CSU-Mann Söder. "Aber eben noch nicht weit genug." Man warte auf die Botschaft: "Wir haben verstanden."
Öffentlich einknicken jedoch, das kommt für Merkel nicht infrage, diesen Gefallen tut sie der CSU nicht, und nicht all jenen, die sich rechts davon tummeln.
Sie kann ja auch, bei allem Ärger, darauf verweisen, dass die Umfragewerte für die Union insgesamt relativ stabil geblieben sind, auch wenn sie schon lange keine Spitzenwerte von mehr als 40 Prozent mehr erreicht. Die Deutschen murren viel, aber sie rebellieren nicht wirklich. Kann ja sein, dass laut einer Emnid-Erhebung nur noch 42 Prozent eine vierte Amtszeit Merkels wollen. Allerdings, auch das sagt diese Umfrage, wünschen sich immerhin 70 Prozent der Unionsanhänger, dass sie noch einmal antritt.
Natürlich äußert sich Merkel öffentlich nicht zu irgendwelchen Zwängen rund um ihre Kandidatur. Es soll so aussehen, als sei allein sie Herrin des Verfahrens. Am Montag kommt das Präsidium der CDU in der Berliner Parteizentrale zusammen. Vielleicht gibt sie den Parteifreunden dort einen Hinweis.
Drei Mitglieder des Führungszirkels jedenfalls, die CDU-Vizes Volker Bouffier und Armin Laschet, sowie die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, plädierten am Sonntag via "Frankfurter Allgemeine Zeitung": Merkel soll weitermachen.