Asylverhandlungen in der EU So will Merkel ihre Kanzlerschaft retten

Schicksalstage einer Kanzlerin: Es ist die Woche der Entscheidung für Angela Merkel, für ihren Machterhalt braucht sie die EU-Partner. Doch die sind beim Vorab-Gipfel in der Flüchtlingsfrage nicht gerade hilfsbereit.
Angela Merkel in Brüssel

Angela Merkel in Brüssel

Foto: JOHN THYS/ AFP

Jene Woche, in der wohl über ihre Kanzlerschaft entschieden werden wird, hat noch nicht einmal richtig begonnen, da gibt Angela Merkel schon Durchhalteparolen aus.

"Alle sind für alles verantwortlich", sagt die Kanzlerin am Sonntagabend in Brüssel. Man werde "bis zum EU-Gipfel und danach" weiter an europäischen Lösungen in der Flüchtlingskrise arbeiten. Trotz "einigen Unterschieden" hätten die Teilnehmer "doch ein großes Maß an Gemeinsamkeit" festgestellt.

Vier Stunden hat Merkel mit 15 anderen Staats- und Regierungschefs der EU beraten, darunter der Verbündete Frankreich, das rechtskonservativ regierte Österreich und vor allem das rechtspopulistische Italien. Vier Stunden auf dem Minigipfel, den es nur gab, weil sie ihn wollte. Um die Regierungskrise daheim in Berlin einzudämmen; um ihrem Quälgeist, dem CSU-Chef Horst Seehofer, zu demonstrieren, dass es in der Flüchtlingsfrage auf europäischer Ebene sehr wohl vorangeht.

Aber offenbar gibt es nach diesen vier Stunden nicht viel, was der Rede wert ist. Erste Erfolge? Fehlanzeige.

Wenn Merkel noch einen Zweifel hatte, wie schwierig die europäische Lösung der Asylfrage wird, dürften sie die Beratungen im Kreis ihrer Kollegen eines Besseren belehrt haben. Dabei wollte sie die Rettungsmission in eigener Sache vorbereiten, den EU-Gipfel am kommenden Donnerstag.

Denn wenn die Kanzlerin bis dahin nicht andere EU-Länder überzeugen kann, nach Deutschland eingereiste, bereits andernorts registrierte Asylbewerber künftig rasch zurückzunehmen, will ihr Innenminister Seehofer dies an den deutschen Grenzen selbst regeln. Merkel lehnt das weiterhin entschieden ab. Es droht der Bruch der Koalition, der Gemeinschaft der Unionsparteien auch, vielleicht sogar das Ende der gewohnten deutschen Stabilität.

Doch Merkels erster Spielzug an diesem Sonntag lief, nach allem was zu erfahren ist, nicht in ihrem Sinne. Auf dem Minigipfel ging es nahezu die ganze Zeit um den Schutz der Außengrenzen - und nicht um Rückführungen. Frontex, die EU-Grenzschutztruppe, soll schneller aufgestockt werden und auch die Idee, Rettungsschiffe gleich wieder nach Libyen zurückzuschicken, um die Flüchtlinge dort auszuladen, gewinnt an Anhängern.

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Dass die Zustände in den Lagern dort jeder Beschreibung spotten? Interessiert Europa immer weniger. Sogar Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident, der gern über Europas Werte doziert, könne sich diese Lösung nun vorstellen, berichten Teilnehmer. Europa will sein Flüchtlingsproblem outsourcen.

Und Merkel? Die habe über ihre Idee bilateraler Rückführungsabkommen in der Sitzung kaum gesprochen, heißt es. Mit solchen Abkommen will sie ja Seehofer und die CSU befrieden. Überliefert wird von der Kanzlerin lediglich ein Satz, den ihre Gegner schon länger im Munde führen: "Asylbewerber können sich nicht einfach aussuchen, wo sie in Europa ihren Asylantrag stellen."

Ohne Italien, das ist Merkel klar, gibt es keine Lösung, die Seehofer zufriedenstellen könnte. Denn das Land müsste die meisten Migranten aus Deutschland zurücknehmen. Italien jedoch, das wird in Brüssel schnell deutlich, will eine umfassendere Lösung, fordert die komplette Abkehr vom bisherigen europäischen Asylsystem. Alle wissen schließlich, dass Merkel unter massivem Druck steht.

So präsentiert der italienische Premier Giuseppe Conte einen Zehn-Punkte-Plan, mit dem er die gegenwärtigen Regeln von Dublin "überwinden" will. Die Dublin-Regeln sehen vor, dass das Land, in dem ein Geflüchteter zum ersten Mal die EU betritt, für dessen Unterbringung und Asylverfahren zuständig ist. Italien fühlt sich dadurch schon lange benachteiligt: "Wer in Italien an Land geht, geht in Europa an Land", heißt es in dem Papier. Zudem schlägt Rom vor, mit Herkunfts- und Transitländern Abkommen zu schließen und sogenannte Schutzzentren in Transitländern, etwa im Niger, zu errichten. Setzte sich Conte durch, dann bliebe von Merkels Flüchtlingspolitik kaum mehr etwas übrig.

Noch eine Woche läuft Seehofers Frist.

Für Angela Merkel geht es um ihre Kanzlerschaft , für die Unionsparteien geht es um Zukunft. Denn es wäre wie beim Dominospiel: Einmal gestartet, ist die Kettenreaktion kaum mehr zu stoppen. Macht Seehofer gegen Merkels Willen die Grenzen dicht, wird sie ihn entlassen müssen. Daraufhin würde die CSU ihre anderen Minister abziehen und aus der Koalition aussteigen, die fortan keine Mehrheit mehr hätte. Die Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU wäre am Ende, die Schwesterparteien künftig Konkurrenten.

Wer kann das wollen? Merkel nicht. Seehofer auch nicht. Es wäre eine Lose-lose-Situation.

Selbst aus Merkel gegenüber wohlwollenden CSU-Kreisen wird versichert, dass Seehofer beim derzeitigen Stand der Dinge nicht umhinkommen werde, die Zurückweisungen an der Grenze tatsächlich anzuordnen. Seehofer legte über Wochenende noch einmal nach, erklärte Merkels Richtlinienkompetenz für belanglos - und versuchte, seine Maßnahme zur politischen Kleinigkeit herunterzureden. Ein Indiz, dass er sich bereits damit abgefunden hat und Merkel irgendmöglich eine Brücke zu bauen sucht, auf dass ihre Reaktion nicht seine Entlassung sei: "Aus einer Micky Maus" werde "ein Monster gemacht", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" sprach er von der Mücke, aus der ein Elefant gemacht werde.

Für die Kanzlerin läuft jetzt der Countdown:

  • In den nächsten Tagen will sie mit interessierten Ländern über Abkommen zur Rückführung sprechen.
  • Am Dienstag trifft sich im Kanzleramt erstmals seit dem Start von Merkels dritter GroKo der Koalitionsausschuss - sowohl SPD als auch CSU haben seine Einberufung verlangt. SPD-Chefin Andrea Nahles wünscht Klarheit über den Flüchtlingskurs, Seehofer will Auskunft über die Vereinbarungen Merkels mit Frankreich zum Eurozonen-Budget.
  • Am Donnerstagmorgen gibt Merkel eine Regierungserklärung im Bundestag ab, das ist Tradition vor EU-Gipfeln. Hier wird es möglicherweise schon erste Hinweise geben, ob sie Seehofer zumindest kleine Erfolge auf EU-Ebene präsentieren können wird.
  • Danach beginnt der eigentliche EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Eigentlich könnte Merkel an diesem Tag auch auf Seehofer treffen, denn wie immer treffen sich die konservativen Regierungs- und Parteichefs gegen Mittag zu ihrer Vorbesprechung - und als CSU-Chef ist Seehofer natürlich eingeladen. Allerdings ist er bisher noch nie zu diesem Termin angereist.
  • EU-Diplomaten gehen davon aus, dass das Flüchtlingsthema beim Abendessen des ersten Gipfeltages zur Sprache kommt, denn zu diesem Anlass werden traditionell die wichtigen Dinge besprochen. Dann sind nur die Staats- und Regierungschefs im Raum, ohne Berater und ohne Übertragung in den sogenannten Listening room, wo sonst ausgewählte Diplomaten mithören können.
  • Interessant dürfte sein, wann Merkel ihre Pressekonferenz macht - immerhin wird sie dann erstmals öffentlich präsentieren, was sie der CSU anbieten kann.
  • Am Sonntag beraten die Führungen von CDU und CSU Merkels Ergebnisse - in getrennten Runden. Die einen in Berlin, die anderen in München.

Möglicherweise am Montag in einer Woche werden dann Seehofer und Merkel miteinander sprechen. Von diesem Gespräch wird die Zukunft der Koalition und der Unionsparteien abhängen.

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