
Merkel versus AfD Die Bauchpolitik der Kanzlerin


Angela Merkel
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaZu den großen Stärken Angela Merkels gehörte, dass sie wusste, ihre Emotionen zu kontrollieren. Ihr Aufstieg von einer ostdeutschen Wissenschaftlerin zur deutschen Regierungschefin gelang nur deshalb, weil sie es verstand, die Attacken ihrer Gegner mit stoischer Ruhe wegzustecken, statt mit blinder Wut zurückzuschlagen. Mit dieser emotionalen Disziplin setzte sie sich erst in der CDU durch. Dann besiegte sie Gerhard Schröder, der sich mit seinem Wutausbruch nach der Bundestagswahl 2005 selbst den Todesstoß versetzte.
Merkels ehemaliger Generalsekretär Ronald Pofalla entwickelte eine Wahlkampfstrategie, die zu Merkels Affektkontrolle passte. Normalerweise ist die Attacke der Modus des Wahlkämpfers. Pofallas "asymmetrische Demobilisierung" dagegen fußt auf der Idee, dem Gegner die Themen wegzunehmen und so freundlich aufzutreten, dass das linke Lager gar nicht mehr so recht weiß, warum es zur Wahl gehen soll. Für Merkel war die Strategie enorm erfolgreich. Ihre Wahlsiege gegen Frank-Walter Steinmeier 2009 und Peer Steinbrück 2013 sind ohne sie nicht zu verstehen.
Nun funktioniert sie erkennbar nicht mehr. In Mecklenburg-Vorpommern liefen die CDU-Anhänger in Scharen zur AfD über. Und ehemalige Nichtwähler fühlten sich ermuntert, vom Sofa aufzustehen und ihren Protest gegen Merkels Flüchtlingspolitik an der Wahlurne zum Ausdruck zu bringen. Die Kanzlerin mobilisierte - nur eben nicht das eigene Lager, sondern ihre Gegner. Sie, die so lange das Land sediert hatte, schürt nun das Feuer der Empörung.
Der Fehler ist gemacht
Nun kann Merkel an den Entscheidungen des Sommers 2015 nichts mehr ändern. Sie hat, und das war richtig, in einer Ausnahmesituation die Tür für verzweifelte Menschen aufgemacht. Danach aber fand sie keinen Weg, den Strom der Flüchtlinge in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken. Aber auch das ist Geschichte, oder, um mit Franz Müntefering zu sprechen: Der Fehler ist gemacht.

Wahlabend in Mecklenburg-Vorpommern: Jubel, Triumph, Enttäuschung
Jetzt kommt es darauf an, die Flüchtlinge, die im Land sind, vernünftig zu integrieren. Und diejenigen Bürger, die Merkels Willkommenskultur ablehnen, nicht den Populisten zu überlassen. Hier liegt Merkels große Schwäche. Man mag es als Zeichen von Standfestigkeit sehen, dass sie unmittelbar vor den Landtagswahlen in zwei großen Interviews ihre Flüchtlingspolitik noch einmal mit heiligem Ernst verteidigte. Und es ist menschlich verständlich: Wer erlebt hat, wie Merkel im Wahlkampf beschimpft wird für ihren Kurs, wie Straßengröler "Volksverräterin" rufen, sobald sie aus dem Auto steigt, dem nötigt ihre Sturheit Respekt ab.
Aber ist sie auch klug? Noch nie in ihrer Kanzlerschaft stand Merkel unter größerem Druck und ausgerechnet jetzt fängt sie an, Politik aus dem Bauch zu machen. Je unmäßiger die Kritik an ihr wird, umso mehr Pathos verwendet sie, um sich zu rechtfertigen, was wiederum ihre Gegner anstachelt. Es ist ein Teufelskreis.
Zu den großen Leistungen der Union gehörte, dass sie es über Jahrzehnte schaffte, das rechte Spektrum zu integrieren. Nun sieht es so aus, als könnte mit der AfD eine rechtspopulistische Volkspartei entstehen, mit unabsehbaren Folgen für die politische Kultur in Deutschland. Noch lässt sich das verhindern. Aber wenn Merkel nicht den nötigen Pragmatismus aufbringt, der nötig ist im Kampf gegen die AfD, wird die Kanzlerin zu einer Belastung für die Union.