Merkels vierte Kanzlerschaft Der Preis des Erfolgs

Angela Merkel kann Kanzlerin bleiben. Die Lage: ein mieses Ergebnis, Rechtspopulisten im Parlament - und komplizierte Koalitionsverhandlungen.
Kanzlerin Angela Merkel

Kanzlerin Angela Merkel

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Sicher, vor vier Jahren, das war ein Superergebnis für Angela Merkel. Dass es runtergehen würde für CDU und CSU, war angesichts der Umfragelage klar. Aber das hier? Mehr als acht Punkte minus, ein Resultat so schlecht wie 1949 nicht mehr. Ein etwas besseres Ergebnis habe man sich schon erhofft, sagt die CDU-Vorsitzende bei ihrem ersten Auftritt am Sonntagabend in der Parteizentrale. Die Leute rufen "Angie, Angie". Pflichtbewusst.

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Dann ist wieder Ruhe. Keiner schwenkt Deutschlandfähnchen. Keiner setzt zur spontanen Karaoke-Einlage an. Das war einmal, 2013. An diesem Abend steht die CDU-Prominenz auf der Bühne hinter Merkel und wirkt, als habe es oben in den Rückzugsräumen des Präsidiums nur stilles Wasser gegeben.

Angela Merkel kann Kanzlerin bleiben, das "strategische Ziel" ist erreicht, wie es Merkel nennt. Aber sie zahlt einen hohen Preis dafür. Die Regierungskoalition wurde dramatisch abgestraft, allein die Union verliert Dutzende Abgeordnete. Die AfD zieht mit einem starken zweistelligen Ergebnis in den Bundestag ein. Und es wird äußerst kompliziert, ein stabiles Regierungsbündnis für die nächsten vier Jahre zu bilden.

Die AfD: Es werden nicht nur ein paar Versprengte sein, die künftig für die AfD im Bundestag sitzen. Drittstärkste Kraft werden die Rechtspopulisten werden, sie wollen die Kanzlerin "jagen", so sagen es ihre Spitzenvertreter. Schon im Wahlkampf haben die Anhänger der AfD Hass und Wut in die Kundgebungen der CDU getragen.

Merkel, nicht gerade als Künstlerin am Rednerpult bekannt, wird nun Tag für Tag mit ihnen konfrontiert sein. Und die Union muss sich fragen: Welche Verantwortung haben wir, dass es so weit gekommen ist? Wie können die enttäuschten Wähler wiedergewonnen werden? Mehr als eine Million sollen von CDU und CSU zur AfD abgewandert sein. Und die meisten von ihnen sagen, dass es die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin sei, wegen der sie die rechte Konkurrenz wählten.

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Kein Wunder also, dass Merkel die dauerhafte Regulierung der Flüchtlingsströme und die innere Sicherheit als Themenschwerpunkte für die kommenden Jahre definiert. Sie wolle die Wähler der AfD zurückgewinnen, kündigt sie an. Den Einzug der AfD in den Bundestag nennt sie eine "große neue Aufgabe".

Die CSU: Wie es gelingen kann, die AfD wieder kleiner zu kriegen, dazu hat CSU-Chef Horst Seehofer eine ziemlich klare Meinung. Er will die "offene rechte Flanke" der Union schließen - "mit klarer Kante". Der angekündigte Rechtsschwenk dürfte für neue Verwerfungen zwischen CDU und CSU sorgen.

Die CSU hat 2018 eine Landtagswahl zu bestehen. Und jetzt sind die Christsozialen in Bayern dramatisch abgestürzt. Der notdürftig zugekleisterte Geschwisterstreit, etwa um die Obergrenze, wird schon in den nächsten Wochen wieder aufbrechen.

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Die Regierungsbildung: Die SPD betont am Wahlabend bei jeder Gelegenheit, dass sie für eine Fortsetzung der Großen Koalition nicht zur Verfügung stehe. Rechnerisch sei das möglich, politisch aber nicht, sagt ein sichtlich angefressener SPD-Chef Martin Schulz am Abend in der "Elefantenrunde".

Der eine oder andere CDU-Vertreter, auch Merkel selbst versucht es noch in der TV-Spitzenrunde, appelliert etwas halbherzig an die oft bemühte staatspolitische Verantwortung der Sozialdemokraten. Aber es sieht so aus, als sei die sogenannte Jamaika-Koalition die einzige Option für eine künftige Regierung.

Ein Bündnis aus vier Parteien - CDU, CSU, FDP, Grünen - zu schmieden, wird nicht leicht. Die Flüchtlingspolitik, der Klimaschutz, die Europolitik, es gibt genügend inhaltliche Differenzen zu besprechen. Immerhin zeigt man sich in der CDU-Spitze am Wahlabend erleichtert, dass FDP und Grüne gute Ergebnisse eingefahren haben. Das dürfte es beiden potenziellen Partnern erleichtern, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Die Nachfolgedebatte: Wer kommt nach Merkel? Diese Frage wird angesichts des schwachen Ergebnisses wohl noch schneller aufkommen als ohnehin schon erwartet. Die Kanzlerin kann sich, nicht nur wegen der CSU, auf eine parteiinterne Diskussion über den künftigen Kurs einstellen. Junge, ambitionierte Spitzenkräfte wie Jens Spahn werden fragen, wohin die Reise gehen soll, um die Union wieder in die Nähe früherer Wahlergebnisse zu bringen.

An dem Abend, an dem Angela Merkel sich ihre vierte Kanzlerschaft gesichert hat, dürfte damit auch die Debatte darüber beginnen, wer sie dereinst beerben soll.

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