EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik Merkel dankt

Beim Flüchtlingsgipfel in Brüssel erreicht Angela Merkel wenig für die Lösung der Migrationskrise - aber viel, um ihre Kanzlerschaft zu retten. Nur an einem Vorhaben scheitert sie.
Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel

Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel

Foto: Jack Taylor/ Getty Images

Immerhin, schon nach wenigen Minuten ist klar, wie die Kanzlerin selbst ihre Zukunftsperspektive einschätzt. Man habe beim EU-Gipfel ja auch mit dem Nato-Generalsekretär gesprochen, sagt Angela Merkel bei ihrer Abschlusspressekonferenz am Freitagnachmittag in Brüssel. "Wir werden in wenigen Tagen wieder hier sein, beim Nato-Gipfel in zwei Wochen." Das ist schon mal eine Nachricht. Angela Merkel geht also nicht von einem baldigen Ende ihrer Kanzlerschaft aus.

Die Berliner Regierungschefin sitzt auf der kleinen Bühne im deutschen Besprechungssaal des Ratsgebäudes und nippt erst mal an einem Glas Wasser. Dann schaut sie auf ein kleines weißes Blatt und referiert die Stichpunkte der beiden Gipfeltage, ganz so, als habe hier nicht ihr Schicksal als Bundeskanzlerin auf dem Spiel gestanden. War da was?

Also, konkret nachgefragt: Frau Merkel, ist das Gipfelergebnis "wirkungsgleich" zu einer sofortigen Zurückweisung bereits registrierter Flüchtlinge, wie sie die CSU fordert?

Merkel zögert kurz, dann redet sie los, der Satz, der folgt, klingt nicht so, als habe sie für seine Formulierung schlaflose Nächte verbracht. "Also ich würde sagen, wenn alles, was wir zu 28 vereinbart haben plus das, was wir jetzt zusätzlich vereinbart haben, umgesetzt wird, dann ist das mehr als wirkungsgleich, dann ist das ein wirklicher substanzieller Fortschritt."

Das ist also der Satz, mit dem Merkel in den nächsten Tagen ihre Kanzlerschaft verteidigen will.

Video: Einigung über Asylpolitik auf dem EU-Gipfel

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Rundum zufrieden

Merkel lobt die Beschlüsse zur Flüchtlingskrise, mehr Abschottung, "kontrollierte Zentren", "Ausschiffungsplattformen". In Wahrheit ist die Flüchtlingskrise damit zwar längst nicht überwunden. Politisch aber, und darauf kam es den Staats- und Regierungschefs und allen voran der deutschen Kanzlerin an, politisch gesehen löst der Deal viele Probleme aufs Vorzüglichste.

Italiens Regierungschef Giuseppe Conte etwa freut sich, dass Italien als Ankunftsland vieler Flüchtlinge entlastet werden soll. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist stolz, dass dieses Mal er als Macher dasteht und sein Konzept von "kontrollierten Zentren" in der EU durchgesetzt hat. Sebastian Kurz aus Österreich findet prima, dass er zum Beginn seiner Ratspräsidentschaft das Plazet dafür hat, die Festung Europa jetzt mit richtig viel Mörtel zu mauern. Viktor Orbán wiederum kann damit zufrieden sein, dass alles, was mit der Aufnahme von Flüchtlingen zu tun hat, "freiwillig" geschehen soll.

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Hier lohnt es sich, kurz innezuhalten. Orbán, der Dauergast auf CSU-Seminaren, setzt sich bei Merkels Schicksalsgipfel in einem wichtigen Punkt durch. Und der österreichische Bundeskanzler, dem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hinterherrennt, als wolle er den Österreichern seinen Freistaat als zehntes Bundesland andienen, ausgerechnet dieser Kurz lobt das Ergebnis nun als "Trendwende". Und die Populistenregierung in Rom blockiert am Ende trotz aller Drohungen auch nicht. Die Achse München-Wien-Rom ist kürzer geworden auf diesem Gipfel: Sie startet in München und endet nun auch dort. Im Spiel Merkel gegen CSU steht es 1:0, vorsichtig gezählt.

Wie soll Innenminister Horst Seehofer ihr einen Kompromiss kleinreden, den seine Bundesgenossen groß feiern? Nicht Merkels Problem, nicht jetzt jedenfalls. Sie leistet sich sogar einen Schuss Großzügigkeit in Richtung Seehofer. Ob der Druck der CSU ihre Verhandlungen erschwert habe, wird sie gefragt. "Ich habe das eher als Ansporn gesehen, hier Lösungen zu finden", gibt Merkel zurück. Nein, "Danke, Horst" sagt sie dann doch nicht.

Für Seehofer bleibt das Kleingedruckte

Der Clou an dem Gipfel-Ergebnis ist, dass Merkel hinter den Kulissen noch nicht mal Regie führte, wie früher so oft, etwa bei der Griechenlandrettung. Ein Gipfel-Bild, das bleiben wird, zeigt stattdessen Frankreichs Präsident Macron mit Italiens Regierungschef Conte, tief versunken beim Studium irgendeines Papiers.

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Das liegt natürlich - Obacht, Pointe Nummer 2 - auch daran, dass die Frage der Sekundärmigration, die die deutsche Debatte dank der CSU prägt, auf dem Gipfel so gut wie keine Rolle spielte. Der Gipfel, der Merkel retten soll, befasst sich so gut wie gar nicht mit dem Problem, das sie erst in diese prekäre Lage brachte. Der entsprechende Passus in der Gipfelerklärung zur Vorlage bei Horst Seehofer stand schon seit Tagen fest. Also konnte Merkel sich daran machen, Zusagen für die von ihr angestrebten Rückführungsabkommen einzusammeln.

Mal schauen, ob Merkel ihren europapolitischen Lauf in das anstehende Berliner Wochenende zu retten vermag. Noch heute informiert sie ihre Koalitionspartner.

Die Weisung, die Rückführungsabkommen mit Spanien etwa oder Griechenland, die sie klargemacht hat, nun im Detail auszuarbeiten, geht zuständigkeitshalber an Bundesinnenminister Seehofer. "Details müssen durch die Innenminister geklärt werden", sagt Merkel treuherzig. Nach diesem Gipfel darf sich ihr schärfster Gegner also um das Kleingedruckte kümmern.

Einfach wird das nicht, denn Seehofer muss nun ausgerechnet auch an einem Punkt nacharbeiten, an dem der Kanzlerin der Erfolg trotz aller Bemühungen verwehrt blieb - einem Rückführungsabkommen mit Italien.

Premier Conte hat andere Probleme als Flüchtlinge zurückzunehmen, die die Deutschen nicht einlassen wollen. "Die Reihenfolge aus italienischer Sicht ist eine andere, das ist zu respektieren", sagt Merkel. Sie könnte auch sagen: Soll jetzt mal der Horst machen.

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