Neue Koalition Warum Jamaika kommt

Schwarz-grüne Jamaika-Gesprächspartner
Foto: Bernd Von Jutrczenka/ dpaEs ist schon eine Weile her, dass man in Fragen der Koalitionsbildung von Projekten sprach. Rot-Grün galt mal als ein solches Projekt. Aber bereits die schwarz-gelbe Chaoskoalition unter Angela Merkel jubelten selbst die Beteiligten nicht mehr dazu hoch. Im Falle der sich nun anbahnenden Jamaika-Koalition geht polit-emotional kaum noch was. Ein Bündnis aus Unionsparteien, FDP und Grünen gilt den Beteiligten schlicht als Notwendigkeit. Nicht weiter hinterfragen, sondern machen.
Nach dem ersten Abtasten der potenziellen Partner in der vergangenen Woche geht es in den Sondierungsgesprächen am kommenden Dienstag und Donnerstag konkreter um politische Inhalte. Zum Auftakt stehen Finanzen, Steuern und Europa auf der Liste. Die Einzelthemen sollen so detailliert bearbeitet werden, dass die eigentlichen Koalitionsverhandlungen nach Möglichkeit nicht mehr scheitern können.

Gesprächspartner Özdemir, Lindner, Merkel, Göring-Eckardt, Seehofer
Foto: AXEL SCHMIDT/ REUTERSDabei gibt es kreuz und quer Überschneidungen zwischen den Parteien: In sozialen Fragen stehen sich CSU und Grüne näher, bei einem Einwanderungsgesetz könnten Grüne und FDP miteinander, in Sachen Begrenzung der Zuwanderung dagegen FDP und CSU, bei Steuererleichterungen Union und FDP.
Vom "Zwang zur Einigung" spricht Joschka Fischer im Interview mit dem SPIEGEL: Jamaika sei "eine Notwendigkeit geworden".
Die kühl-pragmatische Annäherung an das neue Koalitionsmodell erhöht letztlich die Chancen für dessen Realisierung. Oder, wie Angela Merkel das am Rande der Gespräche formulierte: "Es gibt auf meiner Seite durchaus die Bereitschaft, kreativ auch nachzudenken." Mit diesem Erwartungsmanagement kann tatsächlich nicht allzu viel schiefgehen.
Jamaika wird höchstwahrscheinlich kommen - dies sind die Gründe im Einzelnen:
Erstens: Die SPD steht nicht bereit. Zwar hat die SPD bei der Bundestagswahl eine historische Niederlage kassiert, doch erleben viele Sozialdemokraten das Ende der Großen Koalition wie eine Befreiung. Kaum jemand in der SPD möchte sich dieser neuen Freiheit und der künftigen der Oppositionsführerschaft wieder berauben - außer vielleicht Sigmar Gabriel, der allzu gern Außenminister bliebe. Das starke Ergebnis bei der Niedersachsen-Wahl hat die Verfechter des Oppositionskurses bestärkt. Hinzu kommt: Die SPD muss sich nicht vor Neuwahlen fürchten, sollte Jamaika nicht funktionieren. Denn sie scheint bereits abgeschmolzen bis auf ihre Kernwählerschaft.
Die 52 Mitglieder der großen Jamaika-Sondierungsrunde
Zweitens: Neuwahlen sind keine Option. Ihren Jamaika-Gesprächspartnern von den anderen Parteien ist nicht verborgen geblieben, dass die Kanzlerin bereits "jedes Spekulieren auf irgendeine Neuwahl" als "Missachtung des Wählervotums" zurückgewiesen hat. Heißt im Umkehrschluss: Merkel setzt ganz auf den Erfolg von Jamaika. Tatsächlich wäre eine Neuwahl insbesondere aus Unionssicht absehbar desaströs, Die Strategen in Berlin und München sind sich einig, dass in einem solchen Falle die AfD weiter profitieren würde.
Drittens: Drei der vier verhandelnden Parteiführungen sind angeschlagen - und müssen Ergebnisse vorweisen. Nur eine Partei verfügt in den Jamaika-Gesprächen über ein klar umrissenes, unangefochtenes strategisches Zentrum: Die FDP mit Parteichef Christian Lindner. Dass Lindner dabei sowohl Kern als auch Umfeld dieses Zentrums in Personalunion ist, macht nichts. Die Lage ist ja geklärt. Bei CSU, Grünen und CDU dagegen ist die Situation komplexer.
Zwar stellt niemand in der CDU Merkels Kanzlerschaft infrage, doch hat sich zuletzt Widerspruch gegen ihren nonchalanten Umgang mit dem schlechten Wahlergebnis geregt. Und Merkel, das ist klar, geht in ihre letzte Amtszeit. Es ist nur logisch, dass sich nun mögliche Nachfolger positionieren und Nachfolgeszenarien durchgespielt werden. Immer wieder genannt wird in diesem Zusammenhang der Konservative Jens Spahn, der allerdings noch nie ein Ministeramt bekleidet hat. Merkel muss an einem zügigen, guten Abschluss der Jamaika-Verhandlungen gelegen sein, sodass rasch wieder Regierungsalltag einkehrt.

Gefährlicher hingegen ist die Situation für Horst Seehofer. Der wirkt mehr und mehr wie ein Parteichef und Ministerpräsident auf Abruf. Keine Partei verlor so stark bei der Bundestagswahl wie die CSU, nirgends im Westen konnte die AfD so stark punkten wie in Bayern. Einflussreiche Christsoziale haben von Seehofer bereits die Einleitung eines "geordneten Übergangs" verlangt, mit Markus Söder steht der - von Seehofer ungeliebte - Nachfolger bereit. Der CSU-Chef hat den für November geplanten Parteitag auf Mitte Dezember verschieben lassen, um dort die Ergebnisse möglicher Jamaika-Verhandlungen zu präsentieren. Kann er einen Erfolg vorweisen, wird ihn der Parteitag in beiden Ämtern belassen - das ist die Hoffnung Seehofers.
Und die Grünen? Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, die beiden schwarz-grün orientierten Spitzenkandidaten, stehen nun in der Pflicht, ihre Verhandlungskünste mit Union und FDP zu beweisen. Scheitern die Jamaika-Sondierungen, dürften bei den Grünen wieder Konflikte über die Ausrichtung der Partei zwischen Realos und Parteilinken aufbrechen. Denn die Machtfrage ist ungeklärt, das zeigt auch die Beteiligung Jürgen Trittins an den Sondierungsgesprächen. Der Parteilinke hat eigentlich gar kein Amt, ist einfacher Abgeordneter. Nun mischt er wieder mit.
Viertens: Die Meinungsumfragen? Laut ARD-"Deutschlandtrend" finden 57 Prozent der Befragten ein Jamaika-Bündnis gut oder sehr gut. Nur: Davon sollten sich die Verhandler nicht blenden lassen. Bis vor Kurzem war der Deutschen liebste Koalition ja noch die GroKo.
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