Visum-Abkommen
Rückhalt für Merkels Türkei-Deal bröckelt
Die Verhandlungen zur EU-Visumfreiheit drohen zu scheitern. Im SPIEGEL äußert sich CSU-Chef Horst Seehofer skeptisch. SPD-Spitzenpolitiker warnen die Kanzlerin vor einem devoten Umgang mit Erdogan.
CSU-Chef Seehofer, SPD-Chef Gabriel, Innenminister de Maizière, Kanzlerin Merkel und SPD-Minister Nahles und Maas im Kanzleramt
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
In der Auseinandersetzung um das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei gerät Bundeskanzlerin Angela Merkel nun von allen Seiten unter Druck. CSU-Chef Horst Seehofer setzt sich deutlich von Merkel ab: "Ich war schon immer skeptisch, ob die Vereinbarung funktioniert", sagte er dem SPIEGEL, "die jüngsten Entwicklungen haben meine Skepsis nicht verringert." Seine Zweifel, so fügte er an, seien "schon sehr nahe am Superlativ". (Lesen Sie hier die ganze Geschichte im neuen SPIEGEL.)
Derzeit ist offen, ob türkische Bürger künftig ohne Visum in die Europäische Union einreisen dürfen. Die Visumfreiheit ist Teil des Flüchtlingsabkommens, das die EU mit der Türkei geschlossen hat. Ankara muss zudem 72 Kriterien erfüllen, damit die EU die Reisefreiheit gewährt - unter anderem will die EU eine Reform der Anti-Terror-Gesetze. Dies lehnt Präsident Recep Tayyip Erdogan bislang ab. Derzeit ist unklar, wann die Visumfreiheit in Kraft treten kann. Voraussetzung ist eine Zustimmung des EU-Parlaments, die bis jetzt nicht vorliegt und wahrscheinlich auch nicht mehr vor der Sommerpause erfolgen wird.
"Das ist Merkels Ding und muss ihr Ding bleiben"
In der Türkei-Frage geht auch die SPD auf Distanz zu Merkel (CDU). "Wir müssen von Angela Merkel verlangen, dass die Punkte umgesetzt werden, und wir sollten uns vor einem allzu devoten Umgang mit Erdogan hüten", sagte der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Thomas Oppermann, dem SPIEGEL.
Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen merkte an: "Unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel." Kompromisse gehörten dazu, "aber die Glaubwürdigkeit werden wir nicht opfern". Verlassen kann sich die Kanzlerin in der Türkeifrage auf den Koalitionspartner derzeit nicht. In einer internen SPD-Ministerrunde soll der Satz gefallen sein: "Das ist Merkels Ding und muss ihr Ding bleiben."
EU-Spitzenpolitiker verschärfen Ton gegen Erdogan
Führende EU-Politiker verschärfen den Ton gegenüber der Türkei. So stellte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber, den privilegierten Zugang der Türkei zum EU-Binnenmarkt und bereits existierende Erleichterungen bei der Visumbeantragung für Geschäftsleute infrage. "Das ist nicht selbstverständlich. Wenn Präsident Erdogan weiter droht und uns mit Vorwürfen überhäuft, dann kommen wir in eine Sackgasse", sagte Weber dem SPIEGEL. "Europa ist nicht von der Türkei abhängig", so der CSU-Politiker.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, machte klar, dass es bei der Forderung nach einer Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze keine Abstriche geben wird. "Das Europaparlament wird auf die Einhaltung dieser Verpflichtungen bestehen", sagte Schulz. "Das gilt auch für die Anti-Terror-Gesetze," so der Sozialdemokrat.