Merkels Corona-Politik Kochsalzlösung und Glasfläschchen

Bundeskanzlerin Angela Merkel
Foto: Pool / Getty ImagesDie Kanzlerin kann nicht aus ihrer Haut. Minutenlang referiert sie über die Probleme bei der Impfstoffherstellung, spricht über notwendige Umbauten in pharmazeutischen Produktionsstätten, über fehlende Kochsalzlösungen und Glasfläschchen, die die Lieferketten durcheinanderbringen könnten.
Sie kann exakt das Datum nennen (24. Januar 2020), an dem Biontech-Chef Ugur Sahin seine Firma voll auf die Entwicklung des Corona-Vakzins ausrichtete.
Wenn Angela Merkel sich mit einem Thema befasst, dann in allen Details. Als Wissenschaftlerin will sie erst alle Fakten kennen, bevor sie eine politische Entscheidung trifft.
Das Problem ist, dass dabei oft die große Botschaft verloren geht. Kommunikation ist – auch im 16. Jahr ihrer Amtszeit – nicht die Stärke dieser Kanzlerin. Gerade in der Krise aber ist klare Kommunikation unverzichtbar, das weiß auch Merkel.
Donnerstagmittag ein neuer Versuch das Corona-Management zwischen all den endlosen Ministerpräsidentenrunden, in denen um jeden Spiegelstrich gerungen wird, noch einmal grundsätzlich zu erklären. Die Bundeskanzlerin ist in die Berliner Bundespressekonferenz gekommen, stellt sich den Fragen der Hauptstadtjournalisten.
Gespaltenes Pandemie-Bild
Die Botschaften, die Merkel platzieren will, packt sie in ihr Eingangsstatement.
Deutschland befinde sich in einer »sehr schwierigen Phase der Pandemie«, das Bild sei derzeit gespalten: Zum einen sinken die Infektionszahlen wieder leicht, ermutigend sei das, sagt Merkel, die bisherigen Mühen hätten sich gelohnt.
Zum anderen aber müsse man die Gefahr, die vom mutierten Virus ausgehe, ernst nehmen. »Wir handeln aus Vorsorge für unser Land«, begründet die Regierungschefin die Verlängerung und teilweise Verschärfung des Shutdowns.
So weit, so klar.
Viel klarer wird es dann auch nicht mehr.
Eine Impfgarantie für alle bis Sommer? Garantien spricht Merkel lieber nicht aus. Wenn alles laufe wie geplant – und die Kanzlerin weiß diverse Hindernisse aufzuzählen –, dann könne es für alle Deutschen ein Impfangebot bis Ende des kalendarischen Sommers geben. Das ist bekanntlich der 21. September, der in diesem Jahr wenige Tage vor der Bundestagswahl liegt. Zur Erinnerung: Gesundheitsminister Jens Spahn hatte noch vor etwa zwei Wochen ein Impfangebot für alle Deutschen im zweiten Quartal in Aussicht gestellt.
Ausgangssperren? Ein »harter Eingriff« sei das, den manche Bundesländer bereits umsetzten. Ihre eigene Haltung verrät sie nicht, obwohl bundesweite Ausgangssperren auch vor dem jüngsten Bund-Länder-Gipfel im Gespräch waren.
Grenzkontrollen? Merkel will diese nicht, mag sie aber als Ultima Ratio nicht ausschließen.
Medizinische Masken für Geringverdienende und Bedürftige? Darüber habe man noch nicht diskutiert, aber womöglich müsse man darüber reden, wenn die Situation länger anhalte.
Eine Öffnungsperspektive für das Land? Die Kanzlerin erklärt einmal mehr, warum die Inzidenz von 50 als Zielvorgabe nicht willkürlich gewählt sei, sondern mit Blick auf die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter. Aber natürlich könne man nicht wieder alles öffnen, wenn der Wert erreicht sei, sonst drohe ein schneller Rückfall. Immerhin, Priorität sei für Merkel »ganz klar, dass zuerst Kitas und Schulen wieder geöffnet werden müssen«. Wann und unter welchen Bedingungen, bleibt ungewiss.
So geht das den ganzen Auftritt über. Nüchtern und ernsthaft hat die Kanzlerin auf alles eine informierte Antwort, wenn auch nicht immer auf die ihr gestellten Fragen.
Was fehlt, ist eine Perspektive, wenigstens ein Mutmacher-Satz, der hängen bleibt, etwas, das über anerkennende Worte für die Corona-müde Bevölkerung hinausgeht.
Sie könnte die Gelegenheit auch nutzen, eindeutig Position zu beziehen. Sie könnte erklären, dass sie die Zögerlichkeit mancher Ministerpräsidentinnen und -präsidenten nervt und sie jüngst lieber einen härteren, kurzen Lockdown beschlossen hätte, statt Gefahr zu laufen, das Land noch über Wochen in einem zermürbenden Dämmerzustand halten zu müssen.
Stattdessen betont Merkel, sie schätze die Zusammenarbeit mit den Ländern sehr, auch wenn sie manchmal mühselig sei. »Das ist halt unser Beruf.«
Dazu passt, wie sie die etwas hilflosen Versuche der Journalisten an sich abprallen lässt, eine Ahnung von der Last der Verantwortung zu bekommen, die womöglich auch die erfahrene Kanzlerin an ihre Grenzen bringt.
Fordernd sei diese Zeit, sagt Merkel, aber ihre Aufgabe mache ihr nach wie vor Freude. Das Besondere an der Politik sei, morgens ins Büro zu kommen und nicht zu wissen, wie der Abend aussehe. »Und jetzt ist eben diese Pandemie da.«
Das klingt etwas zu geschäftsmäßig für den Kampf gegen eine »Jahrhundertkatastrophe«, wie Merkel die Pandemie selbst nennt. Und so gewährt die CDU-Politikerin schließlich doch noch einen Einblick in ihre Gefühlswelt – allerdings erst auf Nachfrage. »Mir bricht das Herz, wenn ich sehe, wie viele Menschen in Altenheimen in Einsamkeit gestorben sind«, sagt sie. »Wir tun alles, wir versuchen jedenfalls alles, dass da möglichst wenig passiert, aber es ist sehr viel passiert.« Dies sei emotional auch für sie extrem schwierig.
Eine detailreiche Erklärung, warum es der Bundesregierung bisher nicht gelungen ist, die Alten- und Pflegeheime besser zu schützen, liefert die Kanzlerin nicht.