Merkel und die CDU Abschied, erster Teil

Merkel
Foto: MARKUS HEINE/ AFPBevor es losgeht an diesem Montagmittag, macht es erst mal ganz laut Rumms. Irgendetwas Schweres ist da umgefallen vor der Bühne im Konrad-Adenauer-Haus, die Sicherheitsbeamten entspannen sich allerdings umgehend wieder. Nichts schlimmes offenbar, die Pressekonferenz von Angela Merkel und Volker Bouffier kann beginnen.
Der Rumms passt aber ganz gut zu dem, was sich in den vorhergehenden Stunden in der CDU-Zentrale abgespielt hat.
Was Parteichefin Merkel zunächst im kleinsten Führungsgremium, dem Präsidium, und anschließend im Vorstand verkündet, ist eine Sensation. Von einem "neuen Kapitel" wird die Kanzlerin auf der Pressekonferenz sprechen, andere sprechen von einer Zäsur. Sie habe sich nach reiflicher Überlegung entschlossen, nach 18 Jahren im Amt nicht erneut für den Vorsitz auf dem Parteitag im Dezember zu kandidieren, teilt Merkel mit.
Im Video: Merkels Pressekonferenz
Gerührt seien viele gewesen, ist später zu hören, nicht einmal diejenigen ausgenommen, die es schon lange nicht mehr erwarten konnten, dass Merkel endlich geht.
Eine CDU ohne Merkel an der Spitze liegt ja ungefähr so lange zurück wie eine deutsche Fußballnationalmannschaft unter Erich Ribbeck. Also eine Ewigkeit. Es ist also schon alleine deshalb höchste Zeit, dass sich mal was ändert in dieser Partei. Aber plötzlich ist dann da auch Wehmut.
Außer vielleicht bei Friedrich Merz, dessen Bereitschaft, sich um den CDU-Vorsitz zu bewerben, via "Bild"-Zeitung schon kurz nach Bekanntwerden der Merkel'schen Rückzugsankündigung öffentlich gemacht wird. Merkel hat ihm 2002 den Posten des Bundestags-Unionsfraktionschefs weggeschnappt, worauf Merz ganz aus der Politik aus- und ganz dick in der Wirtschaft und Finanzwelt einstieg. Nun erwägt er offenbar ein Comeback.

CDU-Vorsitz: Das sind die möglichen Merkel-Nachfolger
Zwei andere CDU-Politiker haben sich bereits zu einer Kandidatur entschieden, noch in der Vorstandssitzung kündigen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ihre Bewerbungen auf dem Hamburger Parteitag an.
Merkels Vertraute Kramp-Karrenbauer, so berichten Teilnehmer, habe dabei deutlich mehr Zustimmung erfahren als Spahn. Ob das schon einen Hinweis auf die jeweiligen Erfolgsaussichten darstellt? Dafür ist es wohl noch zu früh, zumal es weitere ernsthafte Kandidaten wie Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet geben könnte. Der überlegt offenbar noch. Sie, das betont Merkel, werde sich aus dem Nachfolgewettbewerb ohnehin heraushalten.
So gewaltige Wellen Merkels Ankündigung schlägt, bis in die Börsenwelt hinein und weit über Deutschlands Grenzen hinweg - schon im nächsten Moment "richten sich die Späne neu aus", wie ein prominenter CDU-Vorständler sagt. Und Merkel macht ja nicht nur einen großen Abschiedsschritt, weil es nach 18 Jahren Zeit dafür ist, sondern weil die Partei unter der späten Vorsitzenden ächzt und quietscht.
Zuletzt verlor sie - deshalb steht Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier bei der Pressekonferenz neben Merkel - fast elf Prozentpunkte bei der Landtagswahl, in den bundesweiten Umfragen ist die Union noch tiefer abgerutscht.
Mancher wundert sich deshalb darüber, dass Merkel an diesem Montag nur Schritt 1 ihres politischen Rückzugs ankündigt. Denn Kanzlerin, das teilt sie den Parteigremien ebenfalls mit, will sie auch ohne den CDU-Vorsitz bleiben. Schritt 2 soll erst 2021 erfolgen.
CDU lahmt auch wegen der GroKo
Dabei hängen die Probleme der CDU auch aus Merkels Sicht eng mit der Großen Koalition zusammen, die sie als Kanzlerin anführt: "Das Bild, das die Regierung abgibt, ist inakzeptabel", sagt Merkel. Aber sie ist eben der Meinung, dass diese Koalition, für deren Zustandekommen die Noch-CDU-Chefin hohe Risiken eingegangen war, mit ihr an der Spitze auch wieder ein Erfolgsmodell werden kann.
So sehr ist Merkel davon überzeugt, dass sie dafür sogar eine Überzeugung über Bord wirft, die ihr bislang heilig war: Parteivorsitz und Regierungschefamt gehören in eine Hand. "Das ist ein Wagnis, keine Frage", sagt sie auf der Pressekonferenz. "Aber unter Abwägung aller Vor- und Nachteile bin ich dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass es vertretbar ist, dieses Wagnis einzugehen."
Als der damalige Kanzler Gerhard Schröder 2004 den SPD-Vorsitz an Franz Müntefering abgab, sprach Oppositionsführerin Merkel von einem "Autoritätsverlust auf der ganzen Linie", es sei "der Anfang vom Ende dieser Regierung". Anderthalb Jahre später war Schröder tatsächlich abgewählt und Merkel Kanzlerin.

Angela Merkel: 18 Jahre CDU-Chefin - ein Rückblick
Es ist also alles andere als sicher, dass der Plan von Merkel aufgehen wird. Ob sie wirklich bis zum Ende der Legislaturperiode, also bis 2021, Kanzlerin bleiben wird. Die Zweifel in der im Vergleich zur CDU noch um einiges mehr gebeutelten SPD werden immer größer, ob sie die Regierung fortsetzen soll. Auch die Personaldiskussionen dürften bei den Sozialdemokraten nach Merkels angekündigtem Teilrückzug zunehmen. In der CSU dürfte die Debatte um den umstrittenen Parteichef Horst Seehofer neue Dynamik bekommen, was auch Auswirkungen auf sein Amt als Bundesinnenminister haben könnte.
"Ich bin überzeugt: Wir müssen innehalten", sagt Merkel mit Blick auf die Landtagswahl in Hessen. "Und ich wünsche mir, dass wir den gestrigen Wahltag als Zäsur nehmen, dass wir alles auf den Prüfstand stellen, was wir spätestens seit der Bundestagswahl bis heute gesagt und getan haben." Aus Merkels Sicht heißt das: besser regieren. Aus Sicht vieler Sozialdemokraten: gar nicht mehr regieren. Zudem gibt es aus der CDU bereits Forderungen, Merkel solle mit dem Parteivorsitz auch das Kanzleramt abgeben.
Merkel: Entschluss stand schon vor der Sommerpause fest
Dass sie sich, so stellt sie es am Montag dar, schon vor der Sommerpause zu ihrem Teilrückzug entschlossen hatte, während ihre Partei und die Öffentlichkeit aufgrund entsprechender Äußerungen von einer erneuten Kandidatur in Hamburg ausgingen, dürfte ebenfalls noch für Ärger sorgen. Niemanden habe sie eingeweiht, sagt Merkel, das sei manchmal für die Betroffenen besser. Aber vielleicht hätten es die CSU-Wahlkämpfer in Bayern oder die der CDU in Hessen doch gerne früher gewusst - und so viel befreiter um Stimmen werben können?
Und kommt die CDU wirklich wieder auf die Beine, entledigt sich der lästigen AfD-Konkurrenz und holt sich auf der anderen Seite die Wähler von den Grünen zurück, nur weil plötzlich Kramp-Karrenbauer, Spahn oder wer auch immer die Partei führen? Dafür muss noch mehr passieren. Zumal es erst mal ziemlich hässlich werden könnte für die Christdemokraten. Denn offenen Personalwettbewerb ist sie im Gegensatz zu anderen Parteien nicht gewohnt. Zweimal erst gab es in der Geschichte der CDU mehrere Bewerber um den Parteivorsitz.
"Ich habe mir immer gewünscht und vorgenommen, meine staatspolitischen und parteipolitischen Ämter in Würde zu tragen und sie eines Tages auch in Würde zu verlassen", sagt Merkel bei der Pressekonferenz. "Zugleich weiß ich, dass so etwas in einer politischen Ordnung nicht gleichsam am Reißbrett geplant werden kann." Genau darin liegt das Problem: Sie hat möglicherweise den letzten Moment genutzt, um noch aus eigener Kraft ihren Abgang regeln zu können. Das ist schon mehr, als jedem anderen Kanzler vor ihr gelungen ist.
Aber bislang ist es eben nur ein Plan. Mehr nicht.