Merkel, Seehofer und ihr Wahlprogramm Das Traumpaar

Parteichefs Seehofer, Merkel
Foto: Michael Kappeler/ dpaOh, wie schön ist die Programmarbeit. Wenn man so ein Wahlprogramm aufschreibe, sagt die Kanzlerin, dann könne man noch mal "ein bisschen träumen". Weil da kann man alles hineinschreiben, was man sich wünscht.
"Wann können Sie das schon mal machen?", schwärmt Angela Merkel. CSU-Chef Horst Seehofer neben ihr verkündet fürs schwarz-schwarze Glücksprotokoll: "Die Freude unterstreiche ich."
Montagmittag in der Berliner CDU-Zentrale, noch 83 Tage bis zur Bundestagswahl, die Unionsparteien stellen ihr sogenanntes Regierungsprogramm vor. Über Deutschland und über der Christenunion strahlt die Sonne hell wie nie - das ist die Doppelbotschaft, die Merkel und Seehofer an diesem Tag aussenden wollen. Sie halten sich eisern daran.
Der Streit über die Flüchtlingspolitik Merkels? Die Bedingung Seehofers, ohne eine "Obergrenze" trete er in keine Koalition ein? Seine Unterstellung einer "Herrschaft des Unrechts" unter Merkel? All die Drohungen mit einem eigenen, unabhängigen Wahlkampf, gar mit einer Verfassungsklage? CSU gegen CDU? Passé. Der bürgerliche Wähler schätzt schließlich keinen Streit.
Also knipsen Seehofer und Merkel die Sonne an. "Bei keinem einzigen Punkt" habe es eine fachliche Kontroverse gegeben, versichert Seehofer. "Es gab nie streitige Debatten über den Kurs." Und: "Kein inhaltlicher Dissens." Und: Er habe bei Erstellung des Programms "blindes Vertrauen" zur Kanzlerin gehabt.
Strahlend hell soll alles sein. Details und Zwist? Sind dann nicht mehr zu erkennen. Vergessen sein soll das Bild jenes tristen, gemeinsamen Auftritts im Februar in München, der der Versöhnung gedacht war - aber dann nur den Eindruck der Zwangsehe festigte.
Für Seehofer geht die Logik nun, ein paar Monate später, so: Weil in diesem Jahr deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wird seine Obergrenze wohl gar nicht erreicht. Das genügt ihm fürs erste. Im Regierungsprogramm also steht zwar die Obergrenze nicht drin, doch heißt es dort: "Eine Situation wie im Jahre 2015 soll und darf sich nicht wiederholen, da alle Beteiligten aus dieser Situation gelernt haben." Alle Beteiligten - das beziehen sie in der CSU natürlich auf die Kanzlerin.
Jetzt erst mal die Wahl gewinnen
Seehofer wird am 23. Juli noch ein Zusatzwahlprogramm seiner Partei präsentieren, den "Bayernplan". Da steht dann die Obergrenze wieder drin. Ob sie auch eine Bedingung Seehofers für den Eintritt in eine Regierung ist? Man müsse schauen, wie die Wahl ausgehe, sagt der CSU-Chef. Dann gehe man in Koalitionsverhandlungen: "Was wir versprochen haben, das werden wir mit Nachdruck vertreten." Ein Junktim hört sich anders an.
Merkel sagt nur, ihre Meinung zur Obergrenze sei "bekannt". Die Union solle jetzt erst mal die Wahl gewinnen.
Das ist schließlich der Pragmatismus, mit dem die Unionsparteien schon Dutzende Wahlen in Deutschland gewonnen haben. Auch das Wahlprogramm (hier als pdf-Dokument) atmet diesen Geist: Die Forderungen und Vorschläge sind zwar konkreter als beim letzten Mal, doch anecken will dieser 76-Seiten-Katalog nicht.
Für nahezu jeden ist eine Wohltat dabei: Mehr Geld für Familien, Breitbandinternet für alle, Vollbeschäftigung bis 2025, 15 Milliarden Euro Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen, keine neuen Schulden, Abschaffung des Soli, mehr Polizei, mehr Wohnungsbau. Mehr, mehr, mehr. (Lesen Sie hier Details dazu).
Und den Vorwurf der SPD, die Union habe kein Rentenkonzept, kontert Merkel so, wie ihn nur eine Kanzlerin kontern kann: "Natürlich sagen wir etwas zu den sozialen Sicherungssystemen, unser Konzept hat die Große Koalition verabschiedet." Und das gelte und funktioniere bis 2030.
Traditionell wird der Kurs der Union über die Regierungspolitik festgelegt, sofern sie das Kanzleramt besetzt. Merkel setzt das fort. Programmpartei wollte die CDU nur einmal sein, vor der Wahl 2005 war das, als Merkel mit marktliberalen Reformen antrat - und dadurch die Wahl beinahe verlor. Daraus hat sie gelernt.
Dass also die Flüchtlingspolitik - immerhin das beherrschende Thema der vergangenen beiden Jahre - im Wahlprogramm kaum eine Rolle spielt, ist so gesehen nur konsequent. Auf der Pressekonferenz in der CDU-Zentrale erwähnt es Merkel von sich aus erst gar nicht. Als die erste Journalistin nach der Obergrenze fragt, witzeln hinten im Raum die beiden Generalsekretäre miteinander.
Auffallend auch, wie Seehofer und Merkel Deutschlands Lage feiern. "Die Bundesrepublik Deutschland steht prächtig da", sagt der CSU-Chef. Im Programm lautet der erste Satz: "Deutschland ist ein liebens- und lebenswertes Land." Dieses Land biete "seinen Menschen auch in stürmischer Zeit Heimat und Halt". Und wie einst bei Helmut Kohl dominiert Schwarz-Rot-Gold wieder die Unionsplakate.
Das mag bieder rüberkommen und ein bisschen aus der Zeit gefallen wirken. Aber genau das ist beabsichtigt. Kompliziert, chaotisch und aufregend mag der Rest der Welt sein, "aus den Fugen geraten", wie es im Unionspapier heißt. Deutschland dagegen, das Duo Merkel-Seehofer: alles wohlig, alles schön, alles friedlich jetzt.
Wenn die Union diese Inszenierung bis zur Bundestagswahl durchhält, dann wird es - Stand heute - schwer für die SPD. Sehr schwer.