Merkels Rede im Bundestag Einen vom Pferd erzählt

Zunächst verlief die Rede der Bundeskanzlerin in der Haushaltsdebatte wenig überraschend. Dann kam Merkel auf die GroKo zu sprechen - und auf Kaiser Wilhelm II., um die AfD zu verspotten.
Kanzlerin Merkel: War das ihre letzte Haushaltsrede im Bundestag?

Kanzlerin Merkel: War das ihre letzte Haushaltsrede im Bundestag?

Foto: Michael Sohn/ AP

Um 9.48 Uhr klappt Angela Merkel an diesem Morgen die schwarze Ledermappe mit dem eingravierten Bundesadler wieder zu. Aber sie ist noch nicht fertig am Rednerpult. Merkel ist generell noch nicht fertig mit der Politik - und das will sie den Bundestagsabgeordneten doch noch mal eben mitteilen, insbesondere den sozialdemokratischen. Also dreht sich Merkel leicht nach links, Richtung SPD-Fraktion, und sagt: "Deshalb finde ich, wir sollten die Legislaturperiode lang weiterarbeiten, meine persönliche Meinung. Ich bin dabei."

Damit wäre das also mal klar.

Und auch wenn nicht klar ist, ob ihm Merkels Einlassungen auf dem Weg zum Parteivorsitz wirklich helfen - Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz begrüßt seine Chefin ausgesprochen heiter, als die CDU-Politikerin Sekunden später auf ihren Platz auf der Regierungsbank zurückkehrt.

Es gab in der Haushaltsdebatte zum "Einzelplan 04: Bundeskanzler und Bundeskanzleramt", wie der Tagesordnungspunkt in offiziellem Bundestagsdeutsch heißt, schon deutlich weniger unterhaltsame Auftritte Merkels in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten als an diesem trüben Novembertag. Aber selten stand für sie eben auch so viel auf dem Spiel, wenn sich die Abgeordneten zur Haushaltswoche im Bundestag trafen. In wenigen Tagen, am Samstagabend um 18.30 Uhr, steht fest, ob die Mehrheit der SPD-Mitglieder sich für Olaf Scholz und Klara Geywitz als neue Vorsitzende und damit für die Fortsetzung der Koalition entschieden hat - oder für das GroKo-skeptische Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Sollten Walter-Borjans/Esken siegen und die SPD dann die GroKo verlassen, könnte das Merkels letzter Auftritt zum Einzelplan 04 gewesen sein, worauf der eine oder andere Redner der Opposition an diesem Morgen genüsslich hinweist.

Dann würde man ihn ohnehin in besonderer Erinnerung behalten. Merkel, im knallroten Blazer, wie sie sich erstmal an eine weitschweifige und durchaus kritische Bilanz von 70 Jahren Nato macht. Es kümmert die Kanzlerin nicht, dass AfD-Fraktionschef Alexander Gauland als erster Redner kein Wort über das Militärbündnis verloren hat, sie hat sich das in den Bundestagsdebatten zum Prinzip gemacht: Was immer ihr abwechselnd Gauland (diesmal vor allem der aus seiner Sicht fatale "deutsche Sonderweg" mit dem Doppelausstieg aus Atomkraft und Kohle) oder seine Co-Chefin Alice Weidel mehr oder weniger hasserfüllt entgegenhalten - Merkel ignoriert es und beginnt mit ihrem vorbereiteten Manuskript.

"Ein guter Anlass, Rückblick zu halten", sagt Merkel also zum Nato-Geburtstag. Aber auch ein guter Anlass, zwei aktuelle Themen anzusprechen: Einmal die auch innerkoalitionäre Kontroverse um das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Bundesregierung. "Darauf kann man sich verlassen", sagt Merkel mit Blick auf die Anstrengungen von Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die deutschen Militärausgaben in Richtung dieses Anteils am Bruttoinlandsprodukt zu erhöhen, bis Anfang der Dreißigerjahre sollte man nach Ansicht Merkels so weit sein.

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Zum Zweiten spricht die Kanzlerin erneut Frankreichs Präsident Emmanuel Macron indirekt an, der die Nato zuletzt als "hirntot" bezeichnet hatte, sie betont abermals den Wert des Militärbündnisses. "Der Erhalt der Nato ist in unserem eigenen Interesse", sagt Merkel, "Europa kann sich alleine nicht verteidigen."

Zusammenstehen müsse Europa dagegen im Konflikt zwischen den USA und Iran, findet die Kanzlerin, um das Atomabkommen zu retten - und auch gegenüber China. Es sei "verheerend", wenn jeder in Europa seine eigene Chinapolitik mache, sagte sie auch mit Blick auf das Thema Huawei. Vielmehr sollte man beispielsweise beim 5G-Netzausbau gemeinsame Standards definieren.

20 Minuten sind da schon vorbei, eine typische Merkel-Rede bis dahin. Die große Welt, die großen Linien - aber dann ist die Kanzlerin plötzlich bei dem Thema, das dagegen klein wirkt: die Große Koalition. "Wir haben in den vergangenen 20 Monaten vieles auf den Weg gebracht", sagt sie.

Merkel lobt den Scholz-Haushalt überschwänglich

Ob es gut ist, wenn möglichst viele SPD-Mitglieder diesen Satz hören und sehen? Olaf Scholz jedenfalls sieht es genauso wie Merkel. Und dass die Kanzlerin in den kommenden Minuten in den höchsten Tönen lobt, wie die Bundesregierung schon wieder einen Haushalt ohne neue Schulden vorgelegt hat (den siebten in Folge), erst recht. Schließlich hat diesen Haushalt der Finanzminister Scholz vorgelegt.

Es ist ein 362-Milliarden-Euro-Etat mit Rekordinvestitionen, der aus Sicht von Grünen (mehr fürs Klima) und Linkspartei (mehr fürs Soziale) immer noch zu wenig Investitionen beinhaltet, während die FDP sich andere Schwerpunkte wünscht (beispielsweise weniger Förderung der Elektromobilität). Die AfD findet so gut wie alles falsch an diesem Haushalt, insbesondere die angestrebte klimapolitische Wende.

Wenn es nach Gauland und seiner Fraktion ginge, würde Deutschland einfach so weitermachen wie bisher - auch die Automobilindustrie. Während Merkel zu erklären versucht, warum die Politik auch den Umbau dieser Branche vorantreiben müsse, rufen AfD-Abgeordnete immer lauter und wütender dazwischen, ohne dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) eingreift. Irgendwann reicht es Merkel: Das erinnere sie doch an Kaiser Wilhelm II., sagt die Kanzlerin, der sich angesichts der ersten Autos sicher war, dass sie das Pferd nicht ersetzen würden.

Merkel ist jetzt ziemlich in Fahrt, so hat man sie selten an diesem Rednerpult erlebt.

Die "Wir-schaffen-das-Kanzlerin" ist wieder da

Plötzlich ist sogar die Wir-schaffen-das-Kanzlerin aus dem Flüchtlingssommer 2015 wieder da. "Wir können das schaffen, wenn wir den Zusammenhalt des Landes voranbringen", sagt Merkel. Die Spaltung zwischen Stadt und Land sei ein Riesenproblem, das hätte man auch an dem Bauernprotest am Dienstag in Berlin gesehen, die "Friktionen in unserer Gesellschaft" auch durch Internet und soziale Medien sorgen Merkel.

Aber eines sei auch klar, und da wird die Kanzlerin richtig laut: Natürlich gebe es weiterhin Meinungsfreiheit in Deutschland. Aber wer seine Meinung äußere, "der muss damit leben, dass es Widerspruch gibt", es gebe "keine Meinungsfreiheit zum Nulltarif". Ähnlich hatte sich Merkel zuletzt in einem SPIEGEL-Interview geäußert. Aber es gebe Grenzen, "und die beginnen da, wo gehetzt wird, da wo Hass verbreitet wird. Die beginnen da, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird. Und dagegen werden und müssen wir uns stellen in diesem Hause."

Die letzten Sätze versteht man kaum noch wegen des lauten Beifalls aus allen Fraktionen - mit Ausnahme der AfD-Abgeordneten. Dann klappt sie ihre Mappe zu. Sollte das Merkels letzte Haushaltsrede gewesen sein, wäre es jedenfalls ein passendes Finale gewesen.

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