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Merkel über Gründe für Wahl-Debakel "Viel Vertrauen verloren gegangen"

Das Wahlergebnis der CSU beschäftigt auch die CDU: Kanzlerin Merkel sieht darin eine Lektion für die Bundesregierung. Andere Unionspolitiker fordern personelle Konsequenzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das schlechte Abschneiden von CSU und SPD bei der Bayernwahl auf den Vertrauensverlust der Bürger in die Politik zurückgeführt. Im Rückblick auf die langwierige Regierungsbildung und den Start der Großen Koalition sei "viel Vertrauen verloren gegangen", sagte Merkel. Ihre Lehre aus dem Wahlsonntag in Bayern sei, "dass ich als Bundeskanzlerin stärker dafür Sorge tragen muss, dass dieses Vertrauen da ist".

Die CSU hatte bei der Landtagswahl nur 37,2 Prozent erzielt, gut zehn Prozentpunkte weniger als bei der Wahl 2013. Die SPD holte mit 9,7 Prozent das schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl in der Parteigeschichte.

Auch gute Wirtschaftsdaten und Vollbeschäftigung reichten den Menschen nicht, "wenn etwas nicht da ist, was eben so wichtig ist - und das ist Vertrauen, Vertrauen in die politischen Akteure", sagte die CDU-Chefin, ohne Namen zu nennen. "Das gilt auch für Unionsparteien, von denen man erwartet, dass man gemeinsam agiert", fügte sie hinzu. Hintergrund sind die wiederholten Angriffe der CSU auf die CDU in der Flüchtlingspolitik.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer deutete das Ergebnis der Wahl in Bayern als einen klaren "Warnschuss". Die Bürger erwarteten eine bessere Regierungsarbeit, sagte sie mit Blick auf die hohen Verluste von CSU und SPD.

Die große Koalition im Bund müsse jetzt mit ihrer Regierungsarbeit wieder das Vertrauen der Bürger erarbeiten. Jeder der drei Partner solle zusehen, was er selbst dazu beitragen könne. In der CDU müsse man sich in den nächsten beiden Wochen voll darauf konzentrieren, dass die Partei in Hessen einen erfolgreichen Wahlkampf führen könne. Am 28. Oktober wählt Hessen ein neues Parlament.

Günther und Laschet kritisieren CSU

Andere Unionspolitiker fanden nach der Landtagswahl deutlich schärfere Worte. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) legte der Schwesterpartei personelle Konsequenzen nahe. "Ohne die wird es vermutlich kaum funktionieren. Allerdings halte ich wenig davon, jetzt Einzelne verantwortlich zu machen", sagte der Christdemokrat der "Welt". "Die CSU-Führung hat in vergangenen Jahren in Gänze Fehler gemacht: Horst Seehofer, Markus Söder, Alexander Dobrindt - da darf man niemanden ausnehmen."

In den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte Günther auf die Frage nach einer Mitverantwortung von Kanzlerin Merkel an den schlechten Werten der Christsozialen in Bayern: "Das ist ein rein hausgemachtes CSU-Ergebnis."

Auch für den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), hat Merkel den geringsten Anteil am schlechten Abschneiden der CSU. Merkel sei zum Wahlkampfabschluss ja nicht einmal von der CSU geladen gewesen. Stattdessen sei der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz gekommen.

Dobrindt wirft Günther Provokation vor

CSU-Landesgruppenchef Dobrindt reagierte ungehalten auf Günthers Äußerungen. "Ich erkenne natürlich den Versuch der Provokation", sagte er vor einer CSU-Vorstandssitzung. Deshalb wolle man darauf nicht einsteigen. "Was der Genosse Günther auch gerade im Sommer an Positionen verbreitet hat mit möglichem Zusammenarbeiten mit der Linkspartei, das hat weder Vertrauen noch Orientierung gebracht." Wer meine, jetzt "schlaue Ratschläge an die Schwesterpartei geben" zu müssen, solle erst mal über seine eigene Position nachdenken, sagte Dobrindt.

Seehofer wollte Äußerungen aus der CDU nicht öffentlich kommentieren. "Wir sehen jetzt neben der Regierungsbildung in Bayern die große Aufgabe, dass Hessen ein gutes Wahlergebnis mit der CDU bekommt und dass die Große Koalition in Berlin stabil arbeitet." Über seine persönliche Zukunft wollte Seehofer am Morgen nach der Wahl nicht sprechen: "Ich führe auch heute keine Personaldiskussionen über mich."

Ministerpräsident Söder erfuhr in der CSU Unterstützung. Der Vorstand nominierte ihn am Tag nach der enttäuschenden Landtagswahl einstimmig für das Amt des Ministerpräsidenten. Seehofer sagte, die Frage nach einer Ablösung Söders stelle sich nicht.

Auch der ehemalige bayerische CSU-Ministerpräsident Günther Beckstein warnte seine Partei vor Personaldebatten. Söder sei eindeutig die stärkste Persönlichkeit, die die CSU für das Amt des Ministerpräsidenten habe, sagte er. "Er hat auch nur sechs Monate Zeit gehabt, also sollten wir ihm da auf jeden Fall das Weiterarbeiten ermöglichen."

Der CSU-Vorstand sieht das offenbar ähnlich: Dieser hat Söder erneut für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert. Beckstein stärkte auch dem CSU-Chef den Rücken: "Horst Seehofer als Parteivorsitzender wird aber nach meiner Einschätzung auch weitermachen, und ich halte das auch für richtig."

Analyse des Wahlergebnisses erst nach der Koalitionsbildung

Mögliche personelle und inhaltliche Konsequenzen aus dem Wahlergebnis wollen die Christsozialen erst nach der geplanten Koalitionsbildung in Bayern ziehen. Parteichef Seehofer sagte in München, im November oder Anfang Dezember solle ein noch zu benennendes Gremium das Landtagswahlergebnis vertieft analysieren, "mit all den Vorschlägen die es strategisch, programmatisch und auch personell geben mag". Darauf habe sich der Parteivorstand geeinigt.

"Mir liegt sehr daran, eine Analyse durchzuführen und auch Konsequenzen aus diesem Wahlergebnis zu ziehen", sagte Seehofer. In der schwarz-roten Koalition in Berlin wolle die CSU nach dem zurückliegenden Streit eine konstruktive Rolle spielen. Priorität habe zunächst die Bildung einer stabilen Koalitionsregierung in Bayern, sagte Seehofer bei einem gemeinsamen Auftritt mit Ministerpräsident Markus Söder. "Deshalb werden wir alles tun, dass wir nicht selbst Ursachen für Instabilität setzen." Die CSU gebe einer Koalition mit den Freien Wählern die größten Chancen.

kmk

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asa/dpa/AFP
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