Merkels Politik Mädchen, Mutti, Frau

Angela Merkel war die erste CDU-Vorsitzende, die erste Kanzlerin, die mächtigste Frau der Welt. Feministin wollte sie nie sein. Ist sie aber.
Angela Merkel

Angela Merkel

Foto: HAYOUNG JEON/EPA-EFE/REX

"Macht ist nicht unmoralisch oder unweiblich, sondern notwendig." So sagte das einst Angela Merkel. Das war im Juni 1991, bei einem Vortrag über ostdeutsche Frauen. Merkel war damals Frauenministerin.

Es ist ein außergewöhnlicher Satz: Einerseits zeigt er, wie machtbewusst die Kanzlerin schon zu Beginn ihrer Karriere war. Andererseits, dass sie genau wusste, welche kritische Rolle ihre Weiblichkeit im Zusammenhang mit Macht spielte.

Vielleicht hat sie sie deshalb nie in den Vordergrund gerückt.

Wenn sie ihre Weiblichkeit doch mal zeigte, war das gleich Grund zu mehrtägiger Berichterstattung. 2008 zum Beispiel, da trug sie ein Kleid mit Dekolleté. Merkel war zur Eröffnung der Osloer Oper nach Norwegen gefahren. Schwarzes Kleid, tiefer Ausschnitt. In der Bundespressekonferenz musste der damalige stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg die Robe erklären. Es handle sich um eine Neukomposition aus dem Bestand, sagte er.

Für andere Frauen nichts getan?

Als Kanzlerin spricht sie erst zum Ende ihrer Regierungszeit mehr über ihr Frausein. In einem Interview mit der "Zeit " sagte sie jüngst, Parität in allen Bereichen erscheine ihr einfach logisch.

Bislang bezeichnete sie sich nicht öffentlich als Feministin. Aber nach dem G20-Frauengipfel sagte sie, die niederländische Königin Máxima habe dort eine Definition des Feminismus gefunden, der sie sich anschließen könne: "Für sie ist es Feminismus, wenn ich dafür bin, dass Männer und Frauen die gleichen Lebenschancen haben."

Das war tatsächlich schon immer Merkels Position:

  • "Obwohl die Gleichberechtigung ein Grundrecht ist, tut sich hier eine der größten Lücken zwischen dem Anspruch unseres Grundgesetzes und der sozialen Wirklichkeit auf", sagte sie im Jahr 1992.
  • Im Jahr 2005, kurz bevor sie Kanzlerin wurde, sagte sie in einem Interview mit der Zeitschrift "Emma ", sie wolle nicht eines Tages auf ihr politisches Leben zurückblicken und lesen: "Selber Karriere gemacht, aber für andere Frauen nichts getan."

Doch dieser Vorwurf ist ein steter Begleiter in Merkels politischem Leben. Er kommt ja nicht von ungefähr:

  • Sie sprach sich für umstrittene Gesetzesvorhaben wie das Betreuungsgeld für Eltern aus, die ihre Kinder zu Hause erziehen;
  • sie war gegen die Frauenquote;
  • in der vergangenen Legislaturperiode stoppte angeblich das Kanzleramt einen Gesetzesentwurf zum Rückkehrrecht aus der Teilzeit, was vor allem Müttern den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll.

Die Frauenquote für Führungskräfte und Brückenteilzeit sind inzwischen Gesetz. Aber beide Vorgänge zeigen, dass Merkel lange Zeit gar kein Interesse daran hatte, öffentlich als Kämpferin für Frauenrechte zu gelten.

Das scheint sich zu ändern. Nur warum?

Merkel will nicht wiedergewählt werden. Sie kann sagen, was sie denkt, ohne über Machterhalt nachzudenken. Sie war immer eine Frau der Kompromisse - die muss sie nun nicht mehr machen.

Und sie selbst hat Frauen nach vorn gestellt: Merkel machte Ursula von der Leyen zur Familienministerin, von der Leyen modernisierte die Familienpolitik. Sie hat drei Staatsministerinnen ins Bundeskanzleramt geholt, Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin der CDU gemacht. Merkel hat Frauen, so scheint es, zumindest in der eigenen Partei immer gefördert. Sie hat nur nicht darüber geredet.

"Kohls Mädchen"

Helmut Kohl, der sie zur Frauenministerin machte, nannte sie "Mädchen", fortan trug sie den Beinamen "Kohls Mädchen". Damit habe sie kein Problem, das sagte sie auch im Jahr 2009 noch.

Bei einer solch machtbewussten Frau fällt das schwer zu glauben.

Zu Frauenpolitik hatte Merkel immer ein ambivalentes Verhältnis - kein Wunder, selbst als sie mehr wollte, konnte sie darauf nicht beharren. So brachte Merkel als Frauenministerin ein Gleichberechtigungsgesetz ein, das in den Ausschüssen zerrieben wurde.

"Wissen Sie, Mädel, wenn ich Sie nicht so nett fände, würde ich ja für diesen Stuss gar nicht stimmen", sagte ihr CSU-Ministerkollege Carl-Dieter Spranger damals zu ihr, so berichtete es der SPIEGEL. Das Gesetz kam, war aber inhaltlich schwach.

Bloß nicht festlegen

Sich politisch nicht zu positionieren, war damals schon eine Taktik der Kanzlerin. Das zeigt folgende Geschichte: Weil es in der DDR und der Bundesrepublik unterschiedliche Gesetze zur Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen gab, sollte der Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs nach der Wiedervereinigung reformiert werden.

Die Debatte habe ihr oft Sorgen bereitet, ließ Merkel damals in einer Plenardebatte durchblicken. Sie hätten viel über den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens gesprochen, zugleich aber weniger darüber, dass dieses Leben nur mit der Frau zu schützen sei. "Die Frau kam in der Argumentation streckenweise überhaupt nicht mehr vor", sagte sie.

SPD und FDP hatten damals über Fraktionsgrenzen hinweg einen gemeinsamen Antrag zur sogenannten Fristenlösung eingebracht. Die Union stimmte dagegen, Merkel aber enthielt sich. So enttäuschte sie ihre Partei und zeitgleich Frauenrechtlerinnen.

Und Merkel wusste, dass Frauen eigentlich eine Fürsprecherin bräuchten. Sie konstatierte 1992 im SPIEGEL: "Frauen haben tatsächlich keine Lobby."

"Wir müssen die Kirche im Dorf lassen"

Merkel wurde 1998 Generalsekretärin der CDU. Schon damals begann sie das Profil der Partei zu verbreitern. Sie wolle die CDU für Gruppen öffnen, die ihnen kritisch gegenüberstünden, sagte sie der Zeitung "Die Woche".

Wolfgang Schäuble trat im Zuge der Spendenaffäre als CDU-Chef im Jahr 2000 zurück, Merkel wurde seine Nachfolgerin. Sie führte die Union zielstrebig in die politische Mitte.

Podcast Cover

2005 wurde sie Kanzlerin. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Moment, in der sich die Reihen hinter der CDU-Vorsitzenden nach dem schlechten Ergebnis von 35,2 Prozent schlossen, jener war, in dem der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) Merkel in einer TV-Runde am Wahlabend breitbeinig angriff: "Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, in dem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Ich meine, wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen."

Merkel ließ sich als Fraktionsvorsitzende bestätigen, sie sondierte und verhandelte mit der SPD. Am Ende war sie Kanzlerin einer Großen Koalition. Und Schröder war weg.

Irgendwann gab es einen neuen Spitznamen: Mutti. Das war spöttisch gemeint, es heißt, Merkel möge den Namen nicht. Trotzdem wusste sie ihn zu nutzen. Sie wurde die Mutti aller, und bei aller Verniedlichung und Herablassung gegenüber einer mächtigen Frau liegt auch eine gewisse Zuneigung in dem Wort.

Seit mehr als 13 Jahren ist sie Kanzlerin. Die Frauenquote, die Ehe für alle, das Brückenteilzeitgesetz - all diese Projekte wurden zwar nicht von Merkel, aber eben doch unter ihr durchgesetzt. Sie war Klimakanzlerin, Krisenkanzlerin, Flüchtlingskanzlerin.

Frauenkanzlerin war sie nicht. Vielleicht wird sie es noch.

Am 12. November 2018 wurde das 100-jährige Bestehen des Frauenwahlrechts gefeiert. Merkel sagte in ihrer Rede: "Niemand lacht ein junges Mädchen heute mehr aus, wenn es sagt, dass es später Ministerin oder sogar mal Bundeskanzlerin werden will."

Das ist auch Angela Merkel zu verdanken.

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