Angriff auf Exilanten Berliner Prügelopfer vermutet Drahtzieher in Damaskus

Der syrischstämmige Menschenrechtsaktivist Farhad Ahma ist in seiner Wohnung mitten in Berlin brutal verprügelt worden - von Schergen des  Regimes, vermutet er. Das Auswärtige Amt warnte den Botschafter des Landes: Einschüchterungsversuche würden nicht geduldet.
Von Yassin Musharbash
Farhad Ahma: "Die hätten meinen Tod billigend in Kauf genommen"

Farhad Ahma: "Die hätten meinen Tod billigend in Kauf genommen"

Foto: Maurizio Gambarini/ dpa

Berlin - Es ging glimpflich aus für Farhad Ahma, gerade noch. Seine Rettung war, dass ein Nachbar seine Schreie hörte: Als der Mann seine Wohnungstür öffnete, flohen die Angreifer. Unerkannt.

Der Angriff aus dem Nichts ereignete sich am zweiten Weihnachtsfeiertag, um zwei Uhr nachts. Farhad Ahma, syrischstämmiger Menschenrechtsaktivist, Dolmetscher und grüner Kommunalpolitiker, saß noch an seinem Laptop, um die neusten Meldungen aus Syrien zu verfolgen. Als es an der Tür klopfte, dachte er zunächst, dass sich ein Nachbar durch die Geräusche belästigt fühlte. "Wer ist da?", fragte er. "Polizei, wir wollen kontrollieren", lautete die Antwort. Farhad Ahma fühlte sich in seiner Mutmaßung bestätigt. Doch als er die Klinke nach unten drückte, traten keine Beamten ein. Stattdessen wurde er sofort mit der Tür in den kleinen Vorraum seiner Wohnung gedrückt, wo er so hart auf seinen eigenen Schuhschrank fiel, dass der zerbarst.

Augenblicklich begannen die zwei Eindringlinge, mit etwa 50 Zentimeter langen Knüppeln auf ihn einzuschlagen. Sie zielten auf den Kopf des 37-Jährigen, sein angeschwollenes Handgelenk zeugt von seinen Abwehrversuchen. Zwischen fünf und acht Minuten lang droschen die Männer auf ihn ein, wo immer sie ihn treffen konnten. Ahmas Oberschenkel sind übersät von handtellergroßen Blutergüssen, wie es im Untersuchungsbericht aus dem Krankenhaus heißt. Auch zwei Tage später kann er nur mühsam gehen. Ein Schlag traf sein Auge, doch Ahma hat Glück im Unglück: Die Verletzung ist nicht gefährlich.

Warnungen an seine Familie

Ahma, der 1996 als vom syrischen Regime politisch verfolgter kurdischer Menschenrechtsaktivist in Deutschland Asyl erhielt, ist sich sicher, dass die Schläger weitergemacht hätten, wenn der Nachbar nicht seine Schreie gehört hätte.

Zwei Tage nach der Attacke sitzt Ahma in seiner karg eingerichteten kleinen Wohnung im Berliner Stadtteil Wedding. In einer Obstschale stapeln sich drei Äpfel und zwei Apfelsinen zu einer kleinen Pyramide, im Schrank steht ein kurdisch-englisches Wörterbuch und ein arabisches Buch über Syriens Präsidenten Baschar al-Assad. Farhad Ahma spricht leise und gemessen, in exaktem und fast vollständig akzentfreiem Deutsch. "Ich gehe davon aus, dass die Täter Syrer waren", sagt er. Zwar hätten sie kein Wort mit ihm gewechselt, nachdem sie in seine Wohnung eingedrungen waren. Aber zum einen hätten die beiden "definitiv ausgesehen, als würden sie aus dem Nahen Osten kommen". Und zum anderen sind die syrischen Sicherheits- und Geheimdienste bekannt dafür, dass sie auch im Ausland regelmäßig versuchen, Oppositionelle einzuschüchtern - und Ahma ist ein Oppositioneller.

Reicht der Arm von Baschar al-Assad also bis nach Berlin? Ahma kennt ähnliche Fälle aus Belgien, Großbritannien und Frankreich, sagt er. Er kennt auch Fälle aus Deutschland, in denen Exilanten Drohbotschaften an ihren Autos fanden, oder warnende Hinweise, nachts unter der Tür durchgeschoben. Er selbst dürfte der syrischen Botschaft in Berlin ebenso bekannt sein wie den syrischen Regime-Diensten in Damaskus: Mehrfach, so Ahma, habe seine Familie in Syrien Besuch von mutmaßlichen Regimeangehörigen erhalten: Farhad solle nicht so einen Unsinn anstellen, das bringe nichts.

Patenschaften für die Aufständischen

In den letzten Monaten, in denen der Volksaufstand in Syrien immer mehr anschwoll und die Protestierenden in den Straßen und auf den Plätzen immer brutaler attackiert wurden, hat auch Farhad Ahma sein Engagement intensiviert: Er ist Mitglied im "Syrischen Nationalrat", dem tonangebenden politischen Zusammenschluss der syrischen Opposition. Zu einem Treffen reiste er eigens nach Tunis. Er engagiert sich zudem bei dem Projekt "Adopt a Revolution" , dessen Idee darin besteht, dass in Deutschland "Patenschaften" für die lokalen Bürgerkomitees in Syrien übernommen werden, welche die Proteste organisieren.

Diese Komitees, so sagt der Initiator des Projekts, Elias Perabo, organisieren Geheimlazarette für Verwundete, sammeln Opferzahlen und schafften Bilder ins Ausland, um das Ausmaß des Aufstands zu zeigen und die Brutalität des Regimes zu dokumentieren. Perabo und seine Mitstreiter wollen Geld sammeln, damit die Komitees vor Ort Rechner und Internetverbindungen bezahlen können, aber auch Medikamente. Als Gegenleistung sollen die Komitees sich verpflichten, alle vier bis sechs Wochen einen Bericht an ihre "Paten" zu schreiben, um Transparenz herzustellen. Perabo betont, dass die Netzwerke, in denen die Komitees verknüpft sind und denen er helfen will, Gewalt ablehnten.

Farhad Ahma ist einer von Perabos Mitstreitern: Vier Tage vor dem Überfall stellte "Adopt a Revolution" ein Video ins Internet, in dem auch Ahma auftritt  - war das der Anlass für Schergen des Regimes, ihn zu verprügeln? Ahma glaubt, dass die Täter "meinen Tod billigend in Kauf genommen hätten". Haben sie sich deshalb nicht einmal die Mühe gemacht, sich zu vermummen?

Noch sind die Täter nicht identifiziert. Laut Ahma ermittelt der polizeiliche Staatsschutz, dem er seine Vermutung mitgeteilt habe. Es kann alles auch ganz anders gewesen sein. Aber Ahmas Verdacht ist nicht aus der Luft gegriffen.

Das scheint auch das Auswärtige Amt so zu sehen, denn es bat nach dem Vorfall den syrischen Botschafter zum Gespräch. "Ihm wurde erneut verdeutlicht, dass die Androhung von Gewalt oder Einschüchterungsversuche gegen syrische Oppositionelle in Deutschland in keinster Weise geduldet würden", teilte das Ministerium am Mittwoch laut dpa mit. "Sollte Derartiges vorkommen, werde man nicht zögern und die notwendigen Konsequenzen ziehen."

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