Reaktionen auf Amri-Bericht "Gravierende Fehler auf allen Ebenen"

Der Berliner Breitscheidplatz nach dem Anschlag am im Dezember 2016
Foto: Rainer Jensen/ dpa
Der Berliner Breitscheidplatz nach dem Anschlag am im Dezember 2016
Foto: Rainer Jensen/ dpaFast ein Jahr nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz ist eine drängende Frage noch nicht geklärt: Woran scheiterte es, dass der bekannte Gefährder Anis Amri nicht schon vor dem Attentat dingfest gemacht werden konnte? Der 72-seitige Bericht des Ex-Bundesanwalts Bruno Jost hat die Debatte nun erneut angefacht. Er schreibt den verschiedener Polizeibehörden in Bund und Ländern erhebliche Fehler zu (mehr zu den Details des Berichts lesen Sie hier).
Der vom Berliner Senat eingesetzte Sonderermittler kritisierte sowohl die Berliner Kriminalpolizei als auch die Polizei in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Auch die schlechte Zusammenarbeit der Behörden in ganz Deutschland rügte er.
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) forderte am Donnerstag einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zu dem Terroranschlag. Auch er ist sicher, dass die Fehler vor dem Anschlag länderübergreifend und auch auf Bundesebene begangen wurden. Geisel fordert zudem, auch die Rolle des Terrorabwehrzentrums GTAZ und des Bundeskriminalamts (BKA) zu hinterfragen.
Innensenator Geisel sagte, die LKA-Führung sei an seinem bis Ende November zuständigen Vorgänger Frank Henkel (CDU) "mehrfach gescheitert", als sie auf die schwierige Personalsituation in der Abteilung aufmerksam gemacht habe. In Berlin läuft noch ein Strafverfahren, weil LKA-Beamte Angaben zu Amris Rolle im Drogenhandel nachträglich verändert haben sollen.
Eva Högl, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, reagierte empört auf die neuen Erkenntnisse des Sonderermittlers. Der Bericht offenbare "gravierende Fehler der Behörden auf allen Ebenen", sagte sie. Nach dem Behördenversagen im Fall NSU zeige sich erneut, dass "die eine Behörde nicht weiß, was die andere macht". Ob dieses Chaos auf "Schlamperei und Leichtfertigkeit" zurückzuführen sei oder ob ein strukturelles Behördenversagen vorliege, müsse geklärt werden.
Auch in Baden-Württemberg müssten die dortigen Versäumnisse dringend aufgearbeitet werden, sagte Högl weiter. Jost zufolge hatte eine Festnahme Amris im baden-württembergischen Friedrichshafen am 30. Juli 2016 die Chance eröffnet, den Tunesier zumindest vorübergehend aus dem Verkehr zu ziehen.
Zudem kommt der Sonderermittler zu dem Schluss, dass die ausländerrechtliche Zuständigkeit für den Tunesier ebenfalls in Baden-Württemberg gelegen hätte, wo Amri 2015 erstmals registriert wurde. Demnach hätte sich später auch nicht Nordrhein-Westfalen um seine Abschiebung bemühen müssen, sondern die Behörden im Südwesten.
Das dortige Innenministerium wiegelt jedoch ab - und bestreitet Josts Darstellung der Verantwortlichkeiten. "Die ausländerrechtliche Zuständigkeit lag bei NRW", heißt es in einer Stellungnahme.
Jost räumte in seinem Bericht gleichzeitig ein, dass es für die Polizei viel schwerer geworden sei, Täter wie Amri rechtzeitig zu erkennen. Die islamistischen Terroranschläge würden inzwischen mit einem geringen Aufwand verübt, es gebe kaum Vorbereitungen und daher auch viel schlechtere Chancen für die Polizei, früh genug etwas zu merken.
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Am 19. Dezember 2016 steuerte Anis Amri einen Lastwagen in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben, Dutzende weitere wurden zum Teil schwer verletzt.
Auf dem Beifahrersitz fand die Polizei anschließend den polnischen Lkw-Fahrer Lukasz U. - er hatte er eine Schusswunde in der Stirn. Amri war zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Flucht.
Die Karte zeigt den entscheidenden Ablauf des Anschlags und die Strecke, auf der Amri den Lkw über den Weihnachtsmarkt lenkte.
Schon kurz nach dem Anschlag nahm die Polizei einen Verdächtigen fest, musste diesen wenig später aber laufen lassen.
In Berlin herrschte unterdessen Trauer. Schon oft war das Brandenburger Tor als Zeichen der Solidarität in den Nationalfarben eines vom Terror betroffenen Landes angestrahlt worden. Diesmal waren es die deutschen Farben, die das Wahrzeichen der Stadt beleuchteten.
Die Gedächtniskirche, die direkt am Breitscheidplatz steht, wurde zum Ort des Gedenkens.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière besuchten den Tatort.
Schließlich war klar: Amri ist für den Anschlag verantwortlich. Er hatte Ausweispapiere im Lkw hinterlassen. Der "Islamische Staat" hatte den Angriff unterdessen für sich reklamiert.
Ab dem 21. Dezember, zwei Tage nach dem Anschlag, fahndete die Polizei öffentlich nach Amri, warnte vor dem Attentäter und setzt eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro aus.
Die Flucht Amris endete in Mailand: Vier Tage nach dem Attentat wurde der Tunesier in der italienischen Großstadt erschossen.
Mitte August wurde Amri dann in seiner tunesischen Heimat beerdigt. Sein Fall beschäftigt die deutschen Behörden aber auch heute noch.