Parteitagsrede von Annalena Baerbock »Jetzt ist der Moment, unser Land zu erneuern. Und alles ist drin«

Die Grünen haben sich geschlossen hinter ihre Kanzlerkandidatin gestellt. In ihrer Parteitagsrede bedankte Annalena Baerbock sich für den »Rückenwind« und warb für einen breiten gesellschaftlichen Konsens für den Klimaschutz.
Annalena Baerbock beim Parteitag

Annalena Baerbock beim Parteitag

Foto: Kay Nietfeld / picture alliance/dpa

Nach ihrer offiziellen Kür zur Kanzlerkandidatin der Grünen hat Annalena Baerbock über eigene Fehler der vergangenen Wochen gesprochen – und die »volle Solidarität« seitens ihrer Partei gewürdigt. »Vielen Dank für diesen Rückenwind«, sagte die 40-Jährige in ihrer Rede auf dem digitalen Parteitag der Grünen, »gerade nach dem Gegenwind der letzten Wochen. Wo vor allen Dingen ich Fehler gemacht habe, über die ich mich tierisch geärgert habe.«

Kurz vorher hatte die Parteichefin ein fulminantes Abstimmungsergebnis eingefahren. In einer einzigen Abstimmung unterstützten 678 von 688 Online-Delegierten am Samstag die Kandidatin und das Duo aus den beiden Parteichefs Baerbock und Robert Habeck als Wahlkampfteam. Damit erhielten beide 98,5 Prozent der Stimmen.

Die Entscheidung, über die Kanzlerkandidatur und das Spitzenduo beim Parteitag im Paket abzustimmen, war schon Mitte April gefallen. Zeitgleich hatte der Parteivorstand Baerbock als Kanzlerkandidatin nominiert. In den Wochen danach legten Baerbock selbst und auch die grüne Partei eine Art Höhenflug hin und überflügelten in Umfragen zwischenzeitlich sogar die Union. Zuletzt jedoch brachen auch Baerbocks persönliche Werte stark ein.

Die Grünen-Politikerin hatte mehrfach Fehler einräumen müssen. Zuerst wurde bekannt, dass sie Sonderzahlungen an den Bundestag nachmeldete. Dann mussten irreführende Angaben in ihrem Lebenslauf korrigiert werden. Baerbock wurde danach heftig angegriffen. Ihre Glaubwürdigkeit  sei gefährdet, monierten Kritiker.

»Erstmals seit Jahrzehnten liegt echter Wechsel in der Luft«

In ihrer Parteitagsrede gab sich Baerbock nun ihrerseits kämpferisch – und übte harsche Kritik an der amtierenden Bundesregierung: »In den letzten Jahren ist die Regierungspolitik in Deutschland wie auf Autopilot gefahren«, sagte sie. Politik sei das gewesen, was machbar erschien. Sie mahnte grundlegende Änderungen und Reformen an. Es dürfe jetzt keine Ausreden mehr geben, sagte die Parteichefin, auch »kein Wegducken, kein Durchwursteln«. Veränderung schaffe Halt.

»Wir kämpfen für einen neuen Aufbruch«, betonte die 40-Jährige. »Für uns handelt Politik vor allem davon, was wir möglich machen.« Der Wahlkampf sei ein Duell mit der Union. »Erstmals seit Jahrzehnten liegt echter Wechsel in der Luft«, so Baerbock zum Abschluss ihrer rund 40-minütigen Rede. »Jetzt ist der Moment, unser Land zu erneuern. Und alles ist drin.«

Die Grünen treten das erste Mal mit einer eigenen Kanzlerkandidatin bei der Bundestagswahl an. Um am Ende tatsächlich eine Chance auf das Amt der Regierungschefin zu erhalten, sind sie auf Zustimmung auch außerhalb ihrer Kernwählerschaft angewiesen. So versuchte Baerbock in ihrer Rede ausdrücklich, Menschen außerhalb der eigenen »Blase« zu gewinnen.

Wenn sie »Wir« sage, seien damit nicht nur die Mitglieder der eigenen Partei gemeint, sondern »mit ›Wir‹ meine ich jeden Bürger und jede Bürgerin«, betonte die Kanzlerkandidatin. »Dem Wohle aller zu dienen – das ist unser Kompass.«

Über allem stehe die große Aufgabe unserer Zeit: das Abwenden der Klimakrise. »Aber wir als Gesellschaft müssen uns das auch zutrauen«, so Baerbock. »Ich trete an für dieses Zutrauen. Wir treten an für dieses Zutrauen, Probleme zu lösen, Menschen zu schützen und es in Zukunft besser zu machen.«

Gerade beim Klimaschutz zielte die 40-Jährige auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Nur wenn alle Menschen mitgenommen würden, »werden die Bündnisse für den Klimaschutz stärker sein als die Bündnisse dagegen.« Sie reagierte damit auch auf Kritik, wonach die Grünen in ihrem Bestreben für mehr Klimaschutz die Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen aus dem Blick verlieren.

Kritiker werfen der »Ökopartei« zudem häufig mangelnde Wirtschaftskompetenz vor. Baerbock schlug nun der Industrie einen »Pakt« vor. Es gehe um die verbindliche Verabredung, dass der Staat ihnen die Kosten erstatte, die sie zusätzlich aufbringen müssten, um klimaneutral zu wirtschaften: »Statt zu verhindern und abzuwehren, will ich ermöglichen.«

Skepsis bei der politischen Konkurrenz

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak äußerte Kritik am Grünen-Programm. »Die Grünen setzen nicht auf einen fairen sozialen Ausgleich und neue wirtschaftliche Stärke, sondern darauf, dass Sozialleistungen alle Folgen ihrer Politik auffangen«, sagt Ziemiak der »Rheinischen Post«. »Jetzt kommt es aber auf eine kraftvolle Politik an, die eine Dynamik auslöst hin zu mehr Wohlstand und Klimaschutz.«

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gratulierte Annalena Baerbock zur Wahl als Kanzlerkandidatin ihrer Partei. »Die Wahlauseinandersetzung geht jetzt los, das Rennen ist offen«, sagte er der »Rheinischen Post« und fügt hinzu: »Neue Politik als substanzlose Formel – das wird nicht reichen. Dort, wo die Grünen konkret werden, verlieren sie Unterstützung.«

fok/AFP/dpa/Reuters/
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