CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer In der Flügelzange

Annegret Kramp-Karrenbauer
Foto: Thomas Lohnes/ Getty ImagesAls das CDU-Präsidium am Montagmorgen in der Parteizentrale zusammensitzt, hat Armin Laschet eine Frage an die Vorsitzende.
Er wolle wissen, sagt der stellvertretende Parteichef an Annegret Kramp-Karrenbauer gewandt - so berichten es Teilnehmer -, ob das Werkstattgespräch aus ihrer Sicht tatsächlich eine CDU-Kurswende in einem grundsätzlichen Punkt bedeute? Der Hintergrund: Im Abschlusspapier der Konferenz zu Migration wurden "Zurückweisungen" an der deutschen Grenze gefordert, die Parteichefin hatte Grenzschließungen anschließend als mögliche "ultima ratio" bezeichnet.
Die Antwort von Kramp-Karrenbauer ist eindeutig: Nein.
Mit dieser Klarstellung und den folgenden Erläuterungen gibt sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident zufrieden. Nur was der Beschlusslage der Partei entspreche, fügt Kramp-Karrenbauer Teilnehmern zufolge hinzu, werde in den Entwurf des gemeinsamen Europawahlprogramms von CDU und CSU einfließen, also beispielsweise Verbesserungen beim Schutz der EU-Außengrenzen. Über den Rest müsse weiter diskutiert werden, falls sich manches nicht ohnehin schon in Gesetzesform wiederfände.
Auch andere CDU-Präsiden dürften sehr erleichtert über die Ansage der Vorsitzenden gewesen sein. Manchen aus der Parteispitze treibt schon die Sorge um, dass Kramp-Karrenbauer ein bisschen sehr nachgiebig gegenüber denen geworden ist, die am liebsten alles umkehren würden, was die Partei unter Kramp-Karrenbauers Vorgängerin Angela Merkel vertreten hat - insbesondere die liberale Flüchtlingspolitik aus dem Herbst 2015. Der Widerstand gegen Zurückweisungen hatte im vergangenen Frühsommer beinahe zum Bruch mit der CSU geführt.
Festmachen lässt sich das aus Sicht der Kritiker am Aufschwung der Werteunion, einem Zusammenschluss von besonders konservativen Christdemokraten und der CDU Nahestehenden. Jedenfalls erfährt die von Alexander Mitsch angeführte Gruppierung dieser Tage eine Menge öffentliche Aufmerksamkeit, die "Welt" nannte sie gerade einen "Faktor, den die Parteiführung nicht mehr ignorieren kann".
Das liegt zum einen an zwei prominenten Neu-Mitgliedern, die für ihre Kritik an der Merkel-Flüchtlingspolitik bekannt sind : Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen trat der Werteunion kürzlich genauso bei wie der Politologe Werner Patzelt, der für die sächsische CDU das Landtagswahlprogramm mit verfasst. 2000 Mitglieder zählt die Gruppierung laut Mitsch inzwischen. Zum anderen fühlt sich die Werteunion um den Heidelberger Diplomkaufmann von den Ergebnissen des Werkstattgesprächs bestätigt.
Viele Ergebnisse des #Werkstattgespraech s entsprechen den Forderungen der WerteUnion und sind zielführend zur Begrenzung und konsequenten Steuerung der Einwanderung. Jetzt muss die #CDU diese Maßnahmen "nur" noch umsetzen - gegenüber der #SPD und dem Kanzleramt. Wir helfen gern.
— Alexander Mitsch (@MitschAlexander) February 11, 2019
Zumal Mitglieder der Werteunion sogar zu dieser Konferenz eingeladen waren. Vor zwei Wochen versammelten sich im Konrad-Adenauer-Haus auf Initiative von Kramp-Karrenbauer etwa 100 CDU-Politiker und Praktiker mit Parteibuch. Mitsch hatte im Vorfeld nach einem Gespräch mit der Vorsitzenden fünf Vertreter seiner Gruppierung benennen dürfen, die schließlich in Berlin mitdiskutierten.
Dabei ist die Werteunion schon per se eine Provokation für liberale Unionspolitiker, vor allem aus der CDU. Ihr Argument: Auch sie verträten christdemokratische Werte - aber eben andere. Besonders genervt von der Mitsch-Truppe ist man bei der Union der Mitte, einer Gruppierung, die im Sommer 2018 auf dem Höhepunkt des Streits zwischen CDU und CSU entstanden war. Zu ihren Wortführern gehört die schleswig-holsteinische Wissenschaftsministerin Karin Prien, der Kieler Ministerpräsident Daniel Günther ist ein prominenter Sympathisant, genau wie Amtskollege Laschet aus Düsseldorf. Günther und Prien hatten zuletzt öffentlich vor einer grundsätzlichen Kursänderung in der Flüchtlingspolitik gewarnt.
Nun überlegt man bei der Union der Mitte sogar, in den kommenden Wochen in Berlin ein Treffen mit den sie unterstützenden Bundestags-, Europa- und Landtagsabgeordneten mit Blick auf den Europawahlkampf zu organisieren.
„Konservativ“? Welch ein #Etikettenschwindel. Helmut #Kohl und FJS würden sich im Grabe umdrehen. #Konservativ hat mit #rechts nichts,aber auch gar nichts zu tun. Außerdem ist die sogenannte #WerteUnion KEINE Vereinigung der @CDU, @tomvitzthum https://t.co/CWjZ6hFIhO @welt @akk
— 🇺🇦 🇪🇺🇩🇪🇺🇳🏳️🌈 Frank Sarfeld (@sarfeld) February 26, 2019
Und damit ist die CDU dann auch unter der Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer wieder da angekommen, wo sie schon die Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer nicht haben wollte: im Flügelkampf. Wobei schon die Existenz von Parteiflügeln eigentlich zum Unaussprechlichen in der CDU gehört. Die Auseinandersetzungen der klassischen Parteiflügel in der SPD, später bei den Grünen, galten den Christdemokraten immer als abschreckend. "Die Loyalität der Generalsekretärin gilt der CDU als Ganzes", sagte Kramp-Karrenbauer im Juli vergangenen Jahres mahnend, als die Merkel-Verteidiger von der Union der Mitte sich mitunter heftige Social-Media-Scharmützel mit Vertretern der Werteunion lieferten.
Als Vorsitzende, damit warb Kramp-Karrenbauer nach dem angekündigten Rückzug Merkels schon bei den Regionalkonferenzen, werde sie die Partei wieder einen. Aber genau das fällt ihr nun sichtbar schwer. Und Kramp-Karrenbauer muss aufpassen, dass sie gerade ihre eifrigsten Unterstützer nicht vergrätzt - nur, um auf der anderen Seite des christdemokratischen Spektrums zu punkten. "Annegret für alle", wie der "Tagesspiegel" gerade titelte, wird auf Dauer nicht funktionieren.
Dilemma für Kramp-Karrenbauer
Die CDU-Chefin steht vor einem Dilemma: Den christdemokratischen Mitgliedern ist ihre Partei, das zeigte eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung im Dezember 2017, nicht konservativ genug, unter Merkel ist sie aus ihrer Sicht zu weit in die Mitte gerückt. Aber die Wähler honorieren genau diesen Kurs, das wissen Kramp-Karrenbauer und ihre Strategen, die Mitte ist genau der Ort, an dem die CDU mehrheitsfähig bleibt.
Merkel zog daraus den Schluss, die konservativen Kräfte in der Partei mehr oder weniger zu ignorieren. Das brachte einige von ihnen so gegen die Kanzlerin auf, dass sie wie der heutige AfD-Fraktionschef Alexander Gauland die CDU verließen, andere gründeten eigene Zirkel wie den "Berliner Kreis" um einige Bundestagsabgeordnete oder eben die Werteunion. Diesen Fehler kann sich Kramp-Karrenbauer allein deshalb nicht leisten, weil sie nach dem knappen Sieg gegen deren Favoriten Friedrich Merz die Konservativen in der CDU braucht.
Die Werteunion zumindest hat klare Vorstellungen. "Unser Ziel ist es, die Politik der Union so zu ändern, dass wir damit eine bürgerliche Mehrheit in Deutschland ohne SPD und Grüne ermöglichen können", sagt ihr Chef Mitsch. Für die Union der Mitte ist das eine klare Kampfansage.
Dazwischen steht Annegret Kramp-Karrenbauer.
Wer steckt hinter Civey? An dieser Stelle haben Leser in der App und auf der mobilen/stationären Website die Möglichkeit, an einer repräsentativen Civey-Umfrage teilzunehmen. Civey ist ein Online-Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Berlin. Das Start-up arbeitet mit unterschiedlichen Partnern zusammen, darunter sind neben SPIEGEL ONLINE auch der "Tagesspiegel", "Cicero", der "Freitag" und Change.org. Civey wird durch das Förderprogramm ProFit der Investitionsbank Berlin und durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert.