Attentäter von Ansbach "Ich habe Mohammad niemals beten sehen"
• Mohammad Daleel, 27, hat am Sonntagabend bei einem Musikfestival im fränkischen Ansbach eine Splitterbombe gezündet und sich damit selbst getötet.
• 15 Personen wurden verletzt, vier von ihnen schwer.
• Der Syrer Daleel hatte 2014 Asyl in Deutschland beantragt, der Antrag wurde abgelehnt. Er lebte mit einer Duldung in Ansbach.
• Ein Video auf Daleels Handy zeigt einen Vermummten, der Daleel sein soll. Er droht mit einem Anschlag "im Namen Allahs" und bekennt sich zum "Islamischen Staat".
• Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen Terrorverdachts an sich gezogen.
Ansbach und Ochsenfurt liegen nur 60 Kilometer auseinander, beides idyllische Städte in Franken. Seit diesem Montag teilen die beiden Orte eine weitere Gemeinsamkeit: Sie sind Schauplätze von möglicherweise islamistisch motivierten Angriffen auf Unbeteiligte. Beide Male starben die Täter bei ihren Attacken, in beiden Fällen waren es Flüchtlinge.
In Ansbach, rund 40.000 Einwohner, zündete am Sonntagabend ein 27-jähriger Flüchtling aus Syrien einen Sprengsatz, den er in seinem Rucksack mit sich trug und den er mit scharfen Metallteilen angereichert hatte.
Der junge Mann hatte versucht, damit auf das Gelände eines Open-Air-Musikfestivals in der Ansbacher Innenstadt zu gelangen. Als die Ordner ihm den Eintritt verwehrten, zündete er gegen 22 Uhr die Bombe am Eingang. 15 umstehende Menschen wurden verletzt, mindestens vier davon schwer. Man müsse leider davon ausgehen, dass es sich um einen echten islamistischen Anschlag handele, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.

Anschlag in Ansbach: Vom Asylsuchenden zum Attentäter
Dass die neuerliche Attacke einen religiösen Hintergrund hatte, ist wahrscheinlich. Auf einem Handy von Mohammad Daleel, des mutmaßlichen Ansbacher Attentäters, fanden die Ermittler ein Video mit einer Anschlagsdrohung. Der Mann beziehe sich auf Abu Bakr al-Baghdadi, den Anführer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), sagte Herrmann. Daleel kündige einen Racheakt gegen Deutsche an als Vergeltung, weil sie Muslime umbrächten.
Auch in dem Zimmer des jungen Mannes, der mehrere Monate in Ochsenfurt lebte und am 18. Juli in der Regionalbahn nach Würzburg mit einer Axt auf Passagiere losging, fanden Ermittler Propaganda des IS. Zudem veröffentlichte die IS-nahe Agentur Amak ein Video des Attentäters, in dem dieser mit weiteren Anschlägen der Miliz droht.
Der Attentäter von Ansbach lebte mit mehreren Flüchtlingen zusammen im Hotel Christl, einer zur Flüchtlingsunterkunft umgewidmeten Pension garni. In dem abgewohnten Gebäude in einem kleinbürgerlichen Viertel bewohnte Daleel ein Zimmer im zweiten Stock. Dort sind am Montag die Rollläden heruntergelassen, über dem Geländer hängen ein Teppich und eine Decke zum Lüften, davor steht ein blauer Plastikmülleimer. Neben dem Aufgang hängt eine Namensliste der Bewohner in alphabetischer Reihenfolge.
In der Flüchtlingsunterkunft erholen sich die Bewohner noch vom Schock des frühen Morgens, als die Polizei mit mehreren Wagen vorfuhr, um Daleels Zimmer zu durchsuchen. Die Beamten trugen Kisten aus dem Heim. Später heißt es, die Ermittler hätten einen Benzinkanister mit Diesel sowie Salzsäure, Alkoholreiniger, Lötkolben, Drähte, Batterien und Kieselsteine gefunden. Außerdem: einen Laptop mit gewaltverherrlichenden Bildern, die in Verbindung zum IS stehen.
Die Bewohner fragen sich, woher ihr Nachbar die Bombe für den Anschlag hatte. "Ich habe Mohammad niemals beten sehen", sagt Mahmood Mubariz, ein 28-jähriger Mitbewohner aus Pakistan. "Er war sicherlich kein fanatischer Muslim."
Daleels Spitzname im Heim sei Rambo gewesen, doch das habe nichts mit gewalttätigem Auftreten zu tun gehabt. Die anderen Bewohner nannten Daleel so wegen seiner schulterlangen Haare und seinem muskulösen Körperbau, der die anderen offenbar an den jungen Sylvester Stallone erinnerte. Daleel habe auf sein Äußeres geachtet und mit Vorliebe Jeans und Polohemd getragen. Anders als sein pakistanischer Mitbewohner Mubariz, der bei McDonald's arbeitet, habe der Attentäter wohl keinen Job gehabt, sich aber zumindest um einen bemüht.
Immer fröhlich sei Daleel gewesen, aber zumeist für sich geblieben. "Manchmal hat er für sich etwas in der Küche gekocht", erzählt Mubariz. Über sein Heimatland und den Grund der Flucht aus Syrien habe Daleel vor allem Allgemeines erzählt: Dort sei der Krieg ausgebrochen, also habe er fliehen müssen. "Er war ein normaler Mann", so fasst der Mitbewohner in gutem Englisch seinen Eindruck zusammen.
Attentäter in psychiatrischer Behandlung
Was der Mitbewohner nicht mitbekam: Der Attentäter soll sich laut Behörden in psychiatrischer Behandlung befunden haben, teilweise auch stationär. Zweimal soll er versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Mehrfach war er in der Zeit polizeilich aufgefallen, unter anderem wegen eines Drogendelikts.
Vor zwei Jahren kam der Täter nach Deutschland und stellte dort einen Asylantrag. Der wurde vor einem Jahr abgelehnt, der Flüchtling lebte seither mit einer Duldung in einer Unterkunft in Ansbach. Laut dem Sozialamt der Stadt bezog er soziale Leistungen, er soll sich "freundlich, unauffällig und nett" verhalten haben. Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums sollte der Flüchtling nach Bulgarien abgeschoben werden.
Die Staatsanwaltschaft versucht gerade herauszufinden, mit wem der mutmaßliche Attentäter vor der Tat kommuniziert hat. Das Gerät Daleels ist wohl noch gut auszuwerten, anders als beim Ochsenfurter Attentäter, der ein zerstörtes Handy zurücklies.
Mit Sprengsatz in die Weinstube
Der Tatort in der Ansbacher Innenstadt war am Morgen mit rot-weißen Flatterbändern der Polizei abgesperrt. Experten der Spurensicherung waren zu sehen, eine Polizeikamera filmte den Tatort. Die Umrisse des Täters sind am Montagnachmittag noch mit gelber Kreide auf das Pflaster gezeichnet.
Die Explosion kann nicht sehr stark gewesen sein, nahe beim Tatort standen abgestellte Fahrräder noch aufrecht. An dem blassgelben Haus mit dem Torbogen zum Innenhof der Ansbacher Residenz waren nicht einmal Fensterscheiben geborsten.
Doch Daleel wollte offenbar möglichst viele Menschen töten. Sonst hätte er sich nicht unter die Gäste gesetzt, die vor dem Torbogen in Eugens Weinstube an Holztischen den Abend genossen, während im Innenhof das Konzert lief. Auf einem Tisch des Gasthauses liegt nun eine einzelne Blume.
In Ansbach sitzt der Schock über den heimtückischen Anschlag tief. Die evangelische Kirche hat für die nächsten Tage eine Andacht geplant, zu der auch viele Rettungskräfte erwartet werden. Pfarrer Martin Reutter, stellvertretender Dekan des evangelisch-lutherischen Dekanats Ansbach, hat mit den Einsatzkräften gesprochen. Er sagt: "Vielen brennt das auf der Seele."