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Anschlag in Frankfurt Im Turbotempo zum radikalen Islamisten

Arid U., der geständige Todesschütze vom Frankfurter Flughafen, galt in seiner Nachbarschaft als unfreundlich und verschlossen. Im Netz war er kontaktfreudiger: Seine Verbindungen zeigen ihn als hasserfüllten Islamisten. Angeblich wollte er eigentlich nach Afghanistan reisen.
Von Matthias Bartsch, Matthias Gebauer und Yassin Musharbash

Frankfurt/Berlin - Der Anschlag auf US-Soldaten am Flughafen Frankfurt war ein islamistischer Terroranschlag - das wird immer klarer. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE war die Bluttat möglicherweise zugleich die Folge eines zuvor gescheiterten Ausreiseversuchs des mittlerweile geständigen Schützen Arid U. Auf einer dschihadistischen Internetseite behaupten Gesinnungsgenossen, der 21-Jährige habe ursprünglich nach Afghanistan reisen wollen. Als ihm das trotz "verschiedener Versuche" nicht gelang, habe er sich für "eine Alternative" entschieden und stattdessen die US-Soldaten attackiert. Belege liefern die Dschihadisten nicht, aber sie behaupten, mit persönlichen Bekannten von Arid U. in Kontakt gewesen zu sein.

Arid U. wird derweil immer mehr als radikaler Islamist erkennbar. Mit seinen Eltern und zwei Brüdern lebte er in einer Drei-Zimmer-Eigentumswohnung in einer Hochhaussiedlung aus den siebziger Jahren im Frankfurter Stadtteil Sossenheim. Die meisten der vielen Migranten unter den Bewohnern sind Türken, viele kommen aber auch aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Nachbarn beschreiben die Familie als unauffällig. Seit Ende der neunziger Jahre habe sie in dem zwölfstöckigen Haus mit Waschbetonfassade gelebt, in einer Wohnung in der ersten Etage. Der Vater, ein ehemaliger Dachdecker, habe sich hin und wieder beschwert, dass Kinder zu laut vor seinem Fenster spielen. Und er habe in der Familie offenbar ein recht strenges Regiment geführt, sagt ein Nachbar. Wenn er zu Besuch gekommen sei, hätten Kinder und Ehefrau das Wohnzimmer verlassen müssen. Arid U. habe mit seinem älteren und seinem jüngeren Bruder in einem Zimmer gewohnt.

Seine Nachbarn grüßte er fast nie

Alle im Haus seien völlig überrascht gewesen, als am Mittwochabend, wenige Stunden nach dem Anschlag, plötzlich ein großes Polizeiaufgebot in der Siedlung vorfuhr und die Wohnung der Familie stundenlang durchsuchte. Arid U.s Eltern haben sich seitdem hinter der Wohnungstür verschanzt. Auf Klingeln reagieren sie nicht.

Eine Nachbarin erzählt, dass ihre Tochter mit Arid U. auf der nahe gelegenen Haupt- und Realschule gewesen sei. Sie habe ihn nie als Radikalen eingeschätzt. Nach ihrer Erinnerung habe der junge Mann auch nie großen Wert auf islamische Symbole gelegt. Er habe nie einen Bart oder traditionelle Kleidung getragen, sagt die Frau, die selbst ein Kopftuch trägt. Ein anderer Nachbar beschreibt U. als "verschlossen". Er habe fast nie gegrüßt, sei häufig mit einem Rucksack auf dem Rücken und die Augen auf den Boden gerichtet an ihm vorbeigehetzt, sagt der Mann. Anders als seine beiden Brüder, die immer "sehr freundlich" gewesen seien, habe Arid "eher wie ein Einzelgänger gewirkt".

Im Internet war Arid U. umgänglicher und kontaktfreudiger. Seine digitalen Spuren lassen wenig Zweifel an seiner islamistischen Gesinnung. Zwei Wochen vor der Tat verlinkte Arid U. auf seiner Facebook-Pinnwand ein dschihadistisches Kampflied. "Ich halte dieses Leben der Erniedrigung zwischen euch nicht aus", heißt es darin, "meine Waffe ist jederzeit bereit."

"Who is Who des deutschen Salafismus"

Ein guter Teil seiner 125 Facebook-Freunde dürfte ebenfalls zur radikalen Islamisten-Szene zählen. Antisemitische, antiamerikanische und antischiitische Äußerungen sind auf seiner und ihren Facebook-Seiten häufig.

Einige Verbindungen, die der Verhaftete pflegte, interessieren die Behörden besonders. Denn darunter sind solche zu bekannten Figuren der Szene. "Er gehörte offenbar zum unstrukturiert militant-salafistischen Umfeld", lautet eine erste Einschätzung aus deutschen Sicherheitskreisen. Als Salafisten bezeichnen sich fromme Muslime, die besonderes Gewicht darauf legen, dem Propheten Mohammed und der ersten Generation seiner Anhänger in möglichst jedem Detail zu folgen. Sie gewinnen seit Jahren an Zulauf. Während die meisten Salafisten zwar politisch, aber nicht militant sind, gibt es ein Segment, von dem aus die Übergänge zur dschihadistisch-terroristischen Szene fließend sind. In diesen Graubereich passen einige der Kontakte von Arid U. Ein ranghoher Sicherheitsbeamter sprach am Donnerstagmorgen von einem "regelrechten Who is Who des deutschen Salafismus".

Unter anderem gibt es via Facebook eine Verbindung zu einem marrokanischstämmigen Prediger in Frankfurt, der sich Sheikh Abdellatif nennt. Erst letzte Woche fand bei dem 39-Jährigen eine Durchsuchung statt. Die Behörden vermuteten, dass er seine Anhänger zur Teilnahme am bewaffneten Kampf aufgestachelt habe. Der Mann wurde nicht festgenommen, die Auswertung der mitgenommenen Rechner und anderer Materialien dauert noch an. "Sie werden nur Zeichentrickfilme finden", erklärt der Prediger in einer aktuellen Videostellungnahme, er habe nie zum Dschihad aufgerufen. Er zeigte sich empört darüber, dass hinter seinem Rücken über ihn geredet werde. "In Europa hassen sie uns, weil wir Muslime sind", ergänzte er: Wer den Behörden erzähle, ein Prediger hätte über den Dschihad gesprochen, der würde "Tausende Euro" kassieren.

Verbindungen zur radikalen Szene

Sheikh Abdellatif ist Teil des Netzwerks "Dawaffm", das unter anderem eine Website betreibt und dort Vorträge über ein angeblich islamkonformes Leben anbietet. Das Material ist deutlich salafistisch geprägt. Offene Aufrufe zur Gewalt finden sich zwar nicht. Dafür aber zum Beispiel ein Vortrag von Sheikh Abdellatif, in dem dieser davor warnt, dass Gebete von Frauen, die ihren Männern nicht gehorchen, bei Gott kein Gehör finden.

Als Behörden am Mittwochabend auf die Facebook-Seite des Verdächtigen stießen, erkannten sie darin einen zentralen Beleg dafür, dass die Bluttat vom Airport einen islamistischen Hintergrund hat.

Zugleich entdeckten die Analysten eine Auffälligkeit: Allein in den zwei Wochen vor der Tat hatte er 140 neue Freunde registriert, darunter viele bekannte Islamisten. Die Ermittler vermuten, dass dieser Aktivismus im Zusammenhang mit der Tat stehen könnte. Womöglich, so eine Hypothese, hat sich Arid U. erst kurz vor der Tat im Turbotempo radikalisiert und geriet sehr schnell in eine radikale Szene, die ihn zu einem Angriff anspornte. Deswegen versuchen die Techniker, die gesamte Kommunikation der letzten Wochen zu sichern und auszuwerten. Am Donnerstagvormittag war die Seite nicht mehr erreichbar.

Unklare Verbindungen im echten Leben

Weniger gut weiß man bisher über die Verbindungen des 21-Jährigen im echten Leben Bescheid. Wie beschaffte er sich die mutmaßlichen zwei Waffen? Gibt es Hintermänner, die ihm die Tat vorschlugen - oder halfen, sie zu planen? Was war der Auslöser für die Tat? Gab es Mitwisser? Und lässt sich der Verdacht, er habe eigentlich nach Afghanistan reisen wollen, erhärten? Bisher scheint Arid U. nur sich selbst zu belasten. Diesen Fragen gehen die Ermittler nun mit Hochdruck nach. Auch das amerikanische FBI ist eingeschaltet.

Die Eltern des Täters konnten nach Informationen von SPIEGEL ONLINE bisher wenig beitragen. Am Mittwoch sagten sie bei der Polizei aus, sie könnten sich die Attacke ihres Sohns nicht erklären. Zwar sei Arid ein gläubiger Muslim gewesen, Kontakte ins radikale Milieu aber habe er nicht gehabt. Die Eltern erfuhren erst von der Polizei von der Tat.

Sie hatten sich lediglich gewundert, dass ihr Sohn nicht wie gewohnt von seiner Arbeit am Flughafen zurückgekehrt war.

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