Metoo-Fälle Linke fordern Konsequenzen nach Vorwürfen sexueller Belästigung in der Partei

Nachdem der SPIEGEL über mutmaßliche Übergriffe bei den Linken berichtete, verlangen mehrere führende Politiker Aufklärung. Die Vorsitzende Janine Wissler wehrt sich gegen Vorwürfe, nicht frühzeitig reagiert zu haben.
Linkenvorsitzende Janine Wissler weist Vorwürfe zurück

Linkenvorsitzende Janine Wissler weist Vorwürfe zurück

Foto: Clemens Bilan / epa

Der linke Parteivorstand reagierte auf Twitter  empört. So schrieb Niema Movassat: »In der Partei die Linke darf es keinerlei Toleranz für Täter geben! Wer Menschen sexuell belästigt und missbraucht, gehört aus der Partei ausgeschlossen.«

Der Thüringer Staatskanzleichef Benjamin Hoff forderte , die Organisationskultur müsse grundlegend erneuert werden.

Die den Linken nahestehende Jugendorganisation Solid veröffentlichte einen offenen Brief mit dem Titel »Aktion für eine feministische Linke«. Darin heißt es etwa, die Linke werde ihrem feministischen Anspruch nicht gerecht. »Es kann nicht angehen, dass Täter in Strukturen bleiben und durch Vorstände und andere einflussreiche Personen Rückendeckung bekommen«. Das Vertrauen vieler Betroffener gegenüber den Strukturen der Linken sei »zerrüttet«.

Die Linksjugend will sogar den »Rücktritt aller beteiligter Personen, die selbst Täter sind oder die von den Taten wussten und diese gedeckt haben« sowie eine lückenlose Aufklärung und verpflichtende Seminare zu dem Thema. Der Brief  wurde bis Samstagmittag rund 500 Mal unterzeichnet.

Bild einer Partei, die Betroffene zu selten unterstützt

Auslöser der Reaktionen ist ein Enthüllungsreport des SPIEGEL. Chatverläufe, Fotos, E-Mails, eidesstattliche Versicherungen von Betroffenen und weitere Dokumente geben darin Hinweise auf mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur insbesondere innerhalb der hessischen Linken. Die Recherchen zeichnen das Bild einer Partei, die Betroffene zu selten unterstützt und möglichen Tätern kaum Einhalt geboten hat.

Sarah Dubiel, Bundessprecherin der Linksjugend, erklärte am Samstagmittag: »Es haben sich seit gestern 17 weitere mutmaßlich Betroffene bei uns gemeldet.« Die neuen Vorwürfe beträfen auch Bundespolitiker. Die hessische Linke schrieb in einem Statement , die Vorwürfe würden »sehr ernst genommen«, auf einer kommenden Sitzung des Landesvorstands sollten Vertrauenspersonen eingesetzt werden. Der Kreisverband Wiesbaden , in dem sich mehrere der Vorfälle abgespielt haben sollen, will einen Workshop zum Thema Sexismus-Sensibilisierung organisieren.

Die Jugendorganisation der Wiesbadener FDP forderte die Distanzierung der städtischen Rathausparteien von der Linken. SPD, Grüne und Volt, so heißt es in dem Statement weiter, müssten die derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen umgehend abbrechen.

Die Bundespartei verweist  auf eine Vertrauensgruppe im Parteivorstand, die seit einigen Monaten an einer Aufarbeitung arbeitet. »Wir sichern zu, dass wir grenzüberschreitendes Verhalten nicht dulden und unter den Tisch kehren werden.«

Wissler weist Vorwürfe zurück

Die Bundesvorsitzende Janine Wissler, die viele Jahre Fraktionschefin der hessischen Linke war, wehrt sich gegen den Vorwurf, nicht frühzeitig agiert zu haben. »Ich nehme Vorwürfe von sexueller Belästigung, sexueller Gewalt und Missbrauch sehr ernst und habe sofort gehandelt, als mir derartige Vorwürfe bekannt wurden«, schrieb Wissler in einer am Freitag veröffentlichen Stellungnahme .

Sie bestreitet, bereits vor November 2021 von Vorwürfen von sexueller Belästigung und Machtmissbrauch gewusst zu haben. Auch der hessische Landesverband erklärt, erst Ende November 2021 Kenntnis über die Vorwürfe erlangt zu haben.

Dem gegenüber steht eine interne Mail eines früheren Mitglieds des Landesvorstands, laut der sowohl die hessische Linkenführung als auch die damalige Fraktionsvorsitzende Wissler frühzeitig Kenntnis von Anschuldigungen gehabt haben sollen (siehe Fotostrecke). Dabei geht es auch um Vorwürfe der sexuellen Belästigung, die gegen einen damaligen Bundesabgeordnete erhoben wurden. Der Mann weist auf Anfrage jede Schuld von sich, wie auch alle weiteren Männer, gegen die im SPIEGEL-Artikel Anschuldigungen erhoben wurden.

Noch problematischer ist für Wissler der Fall Hannah Maas*. Diese hatte im Alter zwischen 17 und 19 Jahren ein Verhältnis zu dem Linken-Kreisvorstand Adrian G., der zu dieser Zeit mit Wissler liiert war und zugleich Mitarbeiter der Landtagsfraktion war, deren Vorsitz sie innehatte.

In einer Nacht 2018, kurz nachdem Maas die Beziehung zu G. beendet hatte, sei der 24 Jahre ältere Mann unangekündigt über den Balkon in ihre Wohnung eingestiegen, sagt Maas. G. erklärt, Maas habe ihn hineingelassen. Den Abend mit der sehr jungen Parteinovizin bezeichnete er am nächsten Tag in einer Mail als »crazy, romantisch, prickelnd«. Maas leitete diese Mail anschließend an Wissler weiter, der Verlauf liegt dem SPIEGEL vor. Dazu schrieb sie: »Entschuldige das hier bitte, Janine, aber ich drehe endgültig durch, wenn Adrian nochmal nachts plötzlich auf meinem Balkon steht und das romantisch nennt.«

Bereits 2018 wandte sich die Betroffene Maas an Janine Wissler

Bereits 2018 wandte sich die Betroffene Maas an Janine Wissler

Wissler bestätigt den Kontakt zu Maas in der Stellungnahme. Sie erklärte, die junge Frau habe ihr gegenüber nie den »Vorwurf des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Gewalt erhoben«. Maas habe sie auch nicht um Hilfe gebeten. Ihr gegenüber sei nie dargestellt worden, dass es bei dem Verhältnis zu »Belästigungen oder Unfreiwilligkeiten« gekommen sei.

Dem SPIEGEL erklärte Maas, sie wolle nun eine Unterlassung gegen Wissler erwirken. Es sei »nachweislich unwahr«, dass sie Wissler nicht um Hilfe gebeten habe. »Das habe ich spätestens im September 2018. Ich rief sie an, weil ich Angst vor Adrian hatte, nachdem dieser im August 2018 auf meinen Balkon geklettert war.« Später habe sie zudem die Angst geäußert, dass er »ausrastet, wenn er erfährt, dass ich ihn nicht nur verlasse, sondern auch jemand anderen kennenlerne«.

Auf Instagram führte Maas am Freitag ihre Darstellung weiter aus: »Habe ich im Telefonat [mit Wissler; Anmerkung der Redaktion] etwa nicht gesagt ›Ich habe ein Date und Panik, dass dein Mitarbeiter auftaucht und durchdreht‹?« Weiter schrieb Maas: »Muss man Täter wirklich weiter schützen in einem Statement, in dem man Täterschutz von sich weist?«

In ihrer Erklärung schrieb Wissler, sie sei »bestürzt darüber, dass ihr ›unterstellt‹ würde, sie »hätte irgendjemanden geschützt«. Sie »hielt diese Verbindung [zwischen Maas und G.; Anmerkung der Redaktion] – insbesondere durch den großen Altersunterschied – für höchst problematisch« und habe das auch beiden gegenüber geäußert. Wissler erklärt, sie habe ihre damalige Beziehung nach der »Offenbarung« durch Maas beendet. Auch sei sie durch »diese Vorgänge zutiefst verletzt« gewesen und hatte »nicht den geringsten Anlass, meinen ehemaligen Partner nach alledem zu schützen.«

Fotostrecke

Interne Dokumente

Mehrere Linkenpolitiker stellten sich nach Wisslers Erklärung vor die Parteivorsitzende. So schrieb  der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion Jan Korte: »Ich stehe zu meiner Parteivorsitzenden Janine Wissler, die nach Kenntnis der Fälle sofort Konsequenzen gezogen hat.« Aus der Basis der Linken gab es in den sozialen Medien jedoch mehrere kritische Nachfragen, Wissler wurde zudem für ihr mutmaßlich zu zögerliches Handeln kritisiert, weitere Stimmen forderten Konsequenzen für die beschuldigten Männer.

Auf Twitter löste der Hashtag #LinkeMeToo  eine so breite Diskussion aus, dass er damit zwischenzeitlich auf Platz drei der bundesweiten Trends geführt wurde.

*Name geändert

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