Anti-Amerikanismus Mit Absinth und Tollwut gegen Bush
Berlin - Wenn die großen Tiere die Arena verlassen, kommen die Spatzen angeflogen, um aufzupicken, was die Pferde, die Löwen und die Elefanten so fallen ließen. Chris de Burgh hat das "Hilton" verlassen, Bryan Ferry dem "Adlon" Adieu gesagt, und die A-ha haben im "Hyatt" ausgecheckt. Das große VIP-Zelt neben der Siegessäule, mit Teppichen ausgelegt und mit Palmen dekoriert, wurde abgebaut, und die Berliner Müllabfuhr hat die letzten Spuren des Super-Spektakels "Live 8" vom Samstag beseitigt. Nur auf der Ostseite des Brandenburger Tores, auf dem Pariser Platz, geht die Vorstellung weiter, auf einer viel kleineren Bühne, quasi im Spatzenformat.
Die Bühne steht vor einem halbkreisförmigen Panorama, auf dem das schwer beschädigte Brandenburger Tor zu sehen ist, inmitten von Kriegstrümmern und Wrackteilen. "Wir haben den Platz absichtlich gewählt, weil es in Bagdad heute auch so aussieht", sagt Matt Lehitka, der die "Demonstration/Kundgebung" für das "internationale politische Netzwerk vote 44" angemeldet hat. Auch das Datum wurde mit Bedacht gewählt: Es ist der Fourth of July, Amerikas Unabhängigkeitstag, und während die Amis zur Feier des Tages einen unschuldigen Kometen bombardieren, heißt es am Brandenburger Tor in Berlin: "Nein zu Bush heißt Nein zum Irakkrieg!"
Neben der Bühne hängt das eventtypische Plakat, mit dem nach dem "Kriegsverbrecher" Bush gefahndet wird. Der Gag ist nicht ganz taufrisch, aber noch immer ein sinnstiftendes Element von hohem Erkenntniswert. So könnte es mit der Anti-Kriegs-Demo, die am Brandenburger Tor beginnen und an der US-Botschaft enden soll, langsam losgehen, wenn nicht ein wichtiger Bestandteil jeder Demo fehlen würde: die Demonstranten. "Ich verstehe das nicht", sagt Matt Lehitka mit verhaltenem Zorn, "alle haben doch mobilisiert", die PDS, die WASG, Die Grünen, die Perspektive ("Die politische Alternative für die Zukunft"), und die Jugend der IG Metall. Aber die Kundgebung wird "durchgezogen", sagt er, nur auf die Demo zur US-Botschaft wird man mangels Masse wohl verzichten müssen.
Derweil hat sich Gerhard, 65, ein Rentner aus Ostberlin, schon mal einen guten Platz gesichert. Er ist mit dem Fahrrad zum Pariser Platz gekommen, um gegen das Unrecht zu demonstrieren, das den DDR-Deutschen seit 1990 angetan wurde. Am Lenker hängt die Forderung nach der alten "Diktatur" anstelle der neuen "Freiheit", um seinen Hals ein Plakat gegen den US-Imperialismus. In einer "Plus"-Tüte stecken Flugblätter zum "Volkstrauertag" am 3. Oktober 2005.
Gerhard ist ein Wendeverlierer, vor fünf Jahren hat man ihn "gezwungen, in Rente zu gehen". Bush ist ihm egal, der Krieg im Irak auch. Er verlangt "Schadenersatz für geleistete Reparationszahlungen" nach dem Potsdamer Abkommen und "einen gerechten Staat auf allen Ebenen".
Wenn nicht Churchill, dann Roosevelt
Lehitka, vor 40 Jahren in Köln geboren, will mehr, viel mehr. Seine Organisation "vote 44" setzt alles daran, "George W. Bush als Präsidenten der USA abzuschaffen". Bush ist der 43. Präsident der USA, auf keinen Fall soll er auch der 44. werden. Deswegen heißt die Kampagne "vote 44". Auf den Einwand, Bush könne gar nicht zum dritten Mal gewählt werden, sagt Lehitka, die Amis würden dazu tendieren, in Kriegs- und Krisenzeiten auch eine dritte Amtszeit zuzulassen. Zweimal in der US-Geschichte sei das schon passiert, zuletzt mit Churchill. Churchill?
"Ja, Churchill." Ob er sich ganz sicher sei? "Dann war es eben Roosevelt." Auf solche Petitessen kommt es nicht an, denn wer immer es war, der dreimal Präsident der USA wurde, "die Arbeit von vote 44 ist erst abgeschlossen, wenn George W. Bush als Präsident der Vereinigten Staaten der Vergangenheit angehört". Schon Nelson Mandela, "die ultimative Ikone moralischer Autorität", habe gesagt: "Amerika ist eine Bedrohung für den Weltfrieden".
Davon sind auch die Jungs von "Tollwut" überzeugt, fünf Berliner Rapper, die als erste auftreten dürfen. "Die haben einen Song geschrieben, der voll gegen den Krieg ist!" ruft Lehitka ins Mikrofon. Dann geht voll die Mucke ab. "Drum sind wir heute hier, wir verändern die Welt, wir lieben Musik und hassen den Krieg", aber das ist noch nicht alles: "Nein zu Merkel heißt Nein zu Bush!" Und Ja zum Frieden heißt Ja zu Tollwut: "Ihr könnt unsere CD kaufen oder uns einfach Geld schenken!" - "Noch einen fetten Applaus für die Jungs!", ruft zum Abschied Lehitka, der den Disco-Slang voll gut drauf hat.
Nach den Rappern tritt Christine Buchholz von der WASG auf, im Bundesvorstand der Partei zuständig für "internationale Beziehungen". Und so begrüßt sie die mittlerweile zwei Dutzend Zuhörer mit den Worten: "Liebe Kriegsgegner, hier, in den USA, im Irak und überall auf der Welt!" und redet dann gegen den Krieg, gegen den Imperialismus, der an allem schuld sei, gegen die Arbeitslosigkeit und gegen die Hitze an.
"Lenny Kravitz, Jennifer Lopez und so"
18 Uhr ist vorbei und noch immer sind es 31 Grad Celsius auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. Lehitka scheint weder enttäuscht noch frustriert, dass seine Demo so wenig Resonanz hervorgerufen hat. Das mag damit zu tun haben, dass er global denkt. Die wenigen Leute auf dem Pariser Platz sind nicht seine Zielgruppe. Er will "eine junge amerikanische Generation ... mobilisieren, die nicht mit der aggressiven Politik der machtbesessenen Bush-Administration einverstanden ist".
Schon bei den letzten US-Wahlen habe er "über 1,5 Millionen Amerikaner in Europa dazu gebracht, ihre Stimmen abzugeben", vor allem für den Demokraten Kerry, sagt Lehitka. Er selber wolle nicht in die Politik, sein Gebiet seien "Musik, Mode und Medien". Zurzeit bereite er eine "Entertainment-Messe" in Abu Dhabi vor, an der Musiker teilnehmen sollen, die "eigene Mode-Labels" haben, "Lenny Kravitz, Jennifer Lopez und so". Und Ende Juli starte er in Berlin seinen eigenen TV-Sender namens "svtv". sv stehe für "street voice", die Stimme der Straße. Auf zweifache Nachfrage präzisiert der smarte Broadcaster: er bemühe sich um einen Sendeplatz im Offenen Kanal Berlin.
Eminem soll bei der "Anti-Cola" helfen
So bleibt vieles unklar, unter anderem auch, ob "Die Grünen", wie es auf der Homepage von "vote 44" heißt, "gemeinsam" mit der Lehitka-Gruppe zu der Demo aufgerufen haben. Waren es die Berliner Grünen oder die Bundesgrünen? Oder vielleicht nur die Grünen von Berlin-Köpenick? "Es war Ströbele, Sie können es auf seiner Homepage lesen, der ist doch auch ein Grüner", sagt Lehitka mit leichter Empörung ob der Unterstellung, er habe da das Name dropping etwas zu weit getrieben. Schließlich werde er auch "von Künstlern wie Eminem" und dem "international renommierten Filmregisseur Wim Wenders" unterstützt.
Wer Lehitka in jedem Fall unterstützt, "und das unentgeltlich", ist M.G.M. Pfaff, der mit einem großen Mercedes-Wohnwagen am Pariser Platz vorfährt und das absolute Halteverbot souverän ignoriert. Das giftgrüne Wohnmobil macht Werbung für ein "Kultgetränk", das vor ein paar Jahren in Deutschland noch verboten war: Absinth. Über der Fahrerkabine steht: www.absinth-mobil.de. M.G.M. Pfaff betreibt eine Firma, die Absinth aus Ibiza, "den besten der Welt", importiert und vertreibt. Mehr mag Herr Pfaff nicht sagen, nur noch, dass seine Firma nach einer Liebesgöttin benannt wurde. Und dass er zurzeit an einem neuen Getränk arbeite, "einer Anti-Cola", die bald "mit Hilfe von Eminem vorgestellt" wird.
"Das wird ein Pfeil durch den Kopf von Herrn Bush werden", sagt Herr Pfaff und tippt mit dem Zeigefinger der rechten Hand genau zwischen seine Augen. Was wohl Nelson Mandela, "die ultimative Ikone moralischer Autorität" dazu sagen würde?