
Anti-Terror-Datei Die große Datenpanscherei


Verfassungsrichter in Karlsruhe: Terrorismusbekämpfung "erhebliches Gewicht beimessen"
Foto: Uli Deck/ dpaEs gab mal Zeiten, da galt das Bundesverfassungsgericht als Schutzburg der Bürgerrechte. Dem Verfolgungswahn der Krieger gegen den Terrorismus, die mit immer neuen Rechtsverschärfungen immer neu entdeckte Sicherheitslücken im Land zu stopfen versuchten, setzten die Richter in berühmt gewordenen Urteilen klare Grenzen: Bei der Vorratsdatenspeicherung, bei der Rasterfahndung, beim Lauschangriff, zuletzt bei Computer-Razzien stellten sich die Karlsruher heldenhaft gegen den Zeitgeist der inneren Sicherheit.
Nun scheinen die Helden etwas müde zu sein. Das Urteil über die Verfassungsmäßigkeit der zentralen Anti-Terror-Datei vom Mittwoch ist geprägt von einer resignativen Kompromissbereitschaft, vor der sich kein strammer Innenminister mehr fürchten muss. Der rechtsstaatliche Irrwitz, den Islamismus mit einem Supercomputer voller Verdächtigungen gegen zumeist unbescholtene Bürger über alle Datenschutz-Grenzen hinweg kontrollieren zu wollen, fand Gnade in Karlsruhe. Ein paar Verschönerungen des Gesetzes über die Anti-Terror-Datei allerdings wurden dem Bundesinnenminister und dem Bundestag aufgegeben.
Dabei macht das Gesetz über die Anti-Terror-Datei zur Regel, was von Verfassung wegen eigentlich ausgeschlossen sein sollte: ein Informationsverbund zwischen Geheimdiensten und Polizei. Zum Zwecke des Aufspürens von künftigen Terroristen werfen Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern, Polizeibehörden ihre Informationen in einen riesigen Topf, aus dem sich jeder - nach vorgegebenen Regeln - bedienen darf. Eine große Datenpanscherei: Da landen mit dubiosen Mitteln erlangte Spitzelberichte ausländischer Geheimdienste ebenso wie Beschuldigungen von V-Leuten aus den Landeskriminalämtern. 60 Behörden, so zählt das Verfassungsgericht, liefern ihre Daten ab - unter anderem "Fingerabdrücke von Asylantragstellern", Infos über "Eigentumskriminalität osteuropäischer Tätergruppen" ebenso wie über "Globalisierungsgegner", auch "Tafas" liefert Daten, das "Taschendiebstahlfahndungsystem".
Haben wir alle im Topf?
Das Verfassungsgericht sieht in all dem eine besorgniserregende Entwicklung: Gerade das "informationelle Trennungsprinzip zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden" mache die Weitergabe von personenbezogenen Informationen etwa für "operatives Tätigwerden" zu einem "besonders schweren Eingriff". Das Gericht hebt den Finger: "Für den Betroffenen kann die Aufnahme in eine solche Datei erheblich belastende Wirkung haben."
Besonders, wenn man sieht, wer die "Betroffenen" sind. In den Topf kommen Bürger nicht nur, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte" bestehen, dass sie Mitglied einer terroristischen Vereinigung sind, sondern auch, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie Mitglied einer Gruppe sind, die eine terroristische Vereinigung unterstützt; oder wenn es Anhaltspunkte gibt, dass sie eine Unterstützergruppe unterstützen.
Haben wir alle im Topf? Nein, fehlen noch jene, von denen Anhaltspunkte vorliegen, dass sie "Kontaktpersonen" von solchen Personen sind, von denen Anhaltspunkte vorliegen, dass sie Terroristen sind oder Unterstützer von Terroristen oder Unterstützer von Unterstützern von Terroristen.
17.000 Personendaten-Sätze sind auf diese Weise in dem Supercomputer des Bundesinnenministers versammelt, jede Woche, so verriet der Minister vor Gericht, gebe es 1200 Abfragen. "So viel?", staunte der fürs Polizeirecht zuständige Richter Johannes Masing.
Was sein muss, muss sein. "Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus, wie sie das Anti-Terror-Datei-Gesetz zum Bezugspunkt hat, richten sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes", erklärt das Gericht in seinem Urteil in ganz neuem staatstragenden Ton. Deshalb müsse manches hingenommen werden: Der Terrorismusbekämpfung sei "erhebliches Gewicht beizumessen".
Der Datenpool, so rechtfertigt das Gericht, sei außerdem halb so schlimm, weil es ja nicht um ungeregelte Verbreitung, sondern nur um "Informationsanbahnung" gehe. Das Bundes-Informationsanbahnungsinstitut gibt in der Regel tatsächlich nicht alle über Verdachtspersonen gespeicherten Daten heraus, sondern nur ein paar Grundinformationen - und den Hinweis, bei welcher Behörde mehr gespeichert wird. Da darf der Fahnder dann anrufen.
Ein bisschen unheimlich wurde da selbst Richter Masing
Weil das Verfahren, wenn es um die "Grundpfeiler" geht, etwas umständlich ist, sind zahlreiche Ausnahmen vorgesehen: Im "Eilfall" spuckt der Computer alles aus, bis hin zu "besonderen Fähigkeiten" des Betroffenen, "die nach den auf bestimmten Tatsachen beruhenden Erkenntnissen der beteiligten Behörden der Vorbereitung und Durchführung terroristischer Straftaten dienen können".
Ein bisschen unheimlich wurde da selbst Richter Masing: "Jeder von uns hat eine Fähigkeit, die man letztlich für den internationalen Terrorismus nutzen kann."
Auch auf die Gefahr hin, dass sie vielleicht so selbst eines Tages als befähigte Terroristen, Unterstützer oder Kontaktpersonen im großen Computer landen, segneten Masing und Kollegen das Gesetz im Wesentlichen ab: Was sein muss, muss sein.
Ein paar Sachen allerdings, fanden sie, gingen zu weit: Etwa, dass unter Umständen auch solche Personen im Anti-Terror-Computer landen können, die eine Unterstützer-Vereinigung unterstützen, etwa durch Spenden, ohne etwas von der Verwendung ihrer Hilfe zu ahnen. Ebenso überflüssig sei es, auch solche Kontaktpersonen in den Datenverbund aufzunehmen, die gar nicht genau wissen, zu wem sie da eigentlich Kontakt pflegen. Zu weit geht den Richtern schließlich, dass Bürger als terrorismusnah in den Computer kommen, die im Verdacht stehen, "Gewalt zu befürworten". Wenn etwa die Verteidigung von Sitzblockaden schon reicht, um ins Visier der Terrorfahnder zu kommen, so das Gericht, werde der Mensch zum Opfer von Maßnahmen, die er "durch rechtstreues Verhalten" nicht mehr beeinflussen könne.