
Antifaschismus heute Dürfen Nazis Nutella essen?


Roland Tichy
Foto: Frank Leonhardt/ picture alliance / dpaNeulich hat ein aufmerksamer Bürger auf dem Weihnachtsmarkt im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel an einem Kinderkarussell das Kennzeichen "HH 88" entdeckt. In Nazikreisen steht das "HH" für den Hitlergruß, ebenso die doppelte Acht. Die historischen Karussellfahrzeuge, ein Feuerwehrauto und ein kleines Motorrad, trugen die verdächtigen Nummernschilder seit fast 60 Jahren.
Die Veranstalter des Weihnachtsmarktes sorgten umgehend dafür, dass die Schilder ausgetauscht wurden. Aber das reichte nicht, um die Gemüter zu beruhigen. Die Linksfraktion in der Bezirksversammlung forderte, dem Karussellbetreiber die Konzession zu entziehen. Ein Abgeordneter der Linken hatte herausgefunden, dass der Mann aus einem Dorf kam, in dem auch ein Funktionär der NPD lebt. "Für mich ist das kein Zufall", erklärte der Abgeordnete im "Hamburger Abendblatt". Wer mit bekannten Rechtsradikalen im selben Ort lebe, kenne auch deren Umtriebe und Erkennungszeichen.
Zu den Kuriositäten des politischen Lebens in Deutschland gehört es, dass die Zahl der Antifaschisten mit der Entfernung zum Dritten Reich steigt. Was damals versäumt wurde, holen die Nazijäger heute mit umso größerer Entschlossenheit nach. Weil man von Rechten weiß, dass sie Codes benutzen, um unerkannt operieren zu können, nützt es einem als Verdächtigen auch nichts, dass man seine Unschuld beteuert. Wer sich in die Nähe von Nazis begibt, und sei es nur in Form einer Buchstabenkombination, kommt vor das Antifa-Gericht.
Vergangene Woche wurde Roland Tichy als Nazi entlarvt. Seit zwei Jahren betreibt der ehemalige Chefredakteur der "Wirtschaftswoche" die Website "Tichys Einblick", die sich als "liberal-konservatives Meinungsmagazin" versteht. Tichy verweist darauf, dass von seinen Autoren kein einziger Verbindungen ins rechte Lager hat oder Mitglied der AfD ist. Dennoch tauchte "Tichys Einblick" jetzt bei "Netz gegen Nazis" auf, zunächst in einem längeren "Lexikon"-Eintrag, dann unter der Rubrik "digitale Hass-Quellen".
Wer die "Zeit" an seiner Seite hat, ist als Antifaschist über jeden Zweifel erhaben
"Netz gegen Nazis" ist so etwas wie das Wikipedia für Nazijäger. Betrieben wird das Projekt von der Amadeu Antonio Stiftung, die auch beim Runden Tisch des Bundesjustizministers gegen "Hate-Speech" akkreditiert ist. Der wichtigste Partner der Antifa-Plattform ist die "Zeit". An mehreren Stellen wird auf die Unterstützung durch die Wochenzeitung aus Hamburg hingewiesen. Kein Wunder: Wer die "Zeit" an seiner Seite hat, ist als Antifaschist über jeden Zweifel erhaben, auch wenn der Versuch, einen Mann wie Tichy in die Nähe von Rechtsradikalen zu rücken, so plausibel ist wie der, den stellvertretenden "Zeit"-Chefredakteur Bernd Ulrich auf Grund seiner grünen Vergangenheit zum Ökofaschisten zu machen.
Für Tichy hat die Einordnung als Quasi-Nazi unmittelbar Konsequenzen. Als vergangene Woche sein Name auch noch im Zusammenhang mit dem Aufruf des Werbestrategen Gerald Hensel fiel, nicht mehr auf rechten Seiten zu inserieren, schrieb ihm die Vermarktungsagentur, die für die Anzeigenakquise zuständig ist, sie könne leider nichts mehr für ihn tun. Die Aktion des ehemaligen Scholz & Friends-Mitarbeiters Hensel gilt inzwischen als eher dilettantischer Versuch, über Anzeigenboykott Druck auszuüben. Die Rolle von "Netz gegen Nazis" ist dagegen nur am Rande ein Thema. Dabei ist der Schaden, von einem "Zeit"-geförderten Projekt an den Faschismus-Pranger gestellt zu werden, mindestens genau so groß.
"Guilt by association" heißt im Englischen die Verunglimpfung über das Herstellen von Nähe. Dagegen gibt es keine Schiedsstelle, die man anrufen kann, und keine Berufungsinstanz. Das macht die Sache so unheimlich.
Tichy hat sich juristisch beraten lassen, wie er sich dagegen zur Wehr setzen könnte, dass ihn "Netz gegen Nazis" in eine Reihe mit Verschwörungsseiten wie "asylterror.com" stellt. Presserechtlich ist die Sache ziemlich aussichtslos, wie ihm die Anwälte erklärten. Der Lexikoneintrag über "Tichys Einblick" ist sachlich gehalten, Tichy selber wird an keiner Stelle Nazi genannt. Seine Wirkung erzielt der Text durch die Auflistung. Auch links der Mitte weiß man, wie man mit Vorurteilen arbeitet.
Man kann nicht vorsichtig genug sein
Sieht man die Sache in einem größeren Kontext, dann zeigt sich, wohin man kommt, wenn man alles bis zur Kaufentscheidung dem Gesinnungstest unterwirft. Wo es keinen unpolitischen Konsum mehr gibt, reicht schon eine Fahrt auf einem verdächtigen Karussell oder eine Anzeige an der falschen Stelle und man hat sich schuldig gemacht.
Wenn es so weitergeht, sind wir nicht mehr weit davon entfernt, dass sich Unternehmen dafür rechtfertigen müssen, wer ihre Produkte konsumiert. Der Unternehmensberater Hasso Mansfeld hat dieser Tage eine interessante Frage aufgeworfen: Darf ich noch Nutella essen, wenn ich weiß, dass dem Nazi aus meinem Ort Haselnusscreme doppelt so gut schmeckt, weil sie so schön braun ist?
Man kann nicht vorsichtig genug sein. Die Telefonnummer der Amadeu Antonio Stiftung enthält ebenfalls die Doppel-Acht. Außerdem sitzt der Verein in der Novalisstraße in Berlin. Der Dichter Novalis ist eine der Gründungsfiguren der Romantik, die bei den Identitären hoch im Kurs steht. Wer weiß, vielleicht ist die ganze Amadeu Antonio Stiftung in Wahrheit eine rechte Tarnorganisation, um den Antifaschismus zu unterwandern und von innen zu diskreditieren. Ich würde an Stelle der "Zeit" mal nachsehen, was da los ist.