ARD-Doku über Antisemitismus Hass in Nebensätzen

Jüdisches Bildungszentrum in Berlin: Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft
Foto: Maurizio Gambarini/ picture alliance / dpaHamburg - "Wenn ihr euch hier so benehmt, dann müsst ihr euch nicht wundern, wenn wieder mal so was passiert." Sätze wie diese hat Katarina Seidler von ehemaligen Freunden gehört. Endlos könne sie Beispiele aufzählen, und immer sei es das gleiche Muster: "Ihr", das sind die Juden; "so was", das ist das Tabu, das man lieber nicht ausspricht.
Seidler ist Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinden in Niedersachsen. "Es sind die Extremsachen, die mich ehrlich gesagt am wenigsten aufregen", sagt sie. Seidler treffen vor allem die versteckten Ressentiments gegenüber Juden, die altbekannten Stereotype: "Ich höre immer sehr gespannt, was wir alles sind, was wir alles haben, was wir alles beherrschen. Welche Medien, welche Firmen, welches Geld wir haben." Die subtilen Anfeindungen seien am schlimmsten, Anfeindungen, die immer in Nebensätzen versteckt seien.
In solchen ruhigen Passagen entfaltet sich die Wirkung einer ARD-Reportage, in der unter dem Titel "Antisemitismus heute" drei Autoren Klischees und Anfeindungen gegenüber Juden zusammengetragen haben. Ihre Botschaft: Den Antisemitismus in der Mitte haben wir gern übersehen, auch bei uns.
Um diese These zu untermauern, reisen die Autoren Kirsten Esch, Jo Goll und Ahmad Mansour quer durch Deutschland und bis nach Jerusalem. Sie treffen auf Opfer von antisemitischem Denken: Einen Rabbiner, der in Berlin von Jugendlichen angegriffen wurde. Einen Rabbiner, der sich mit seiner Kippa nicht mehr in die Dessauer Innenstadt traut. Einen Berliner, der von seinen Mitschülern gemobbt wurde und nach Israel auswanderte.
In guten Momenten gelingt es der Dokumentation, die Geschichte hinter Zahlen wie diesen zu erzählen: 15 bis 20 Prozent der Deutschen haben latent antisemitische Haltungen. Acht bis zehn Prozent der Deutschen äußern sich in Umfragen offen antisemitisch, halten Juden etwa für andere, schlechtere Menschen.
"Mörderwalze Israel"
Auf der Suche nach Anfeindungen "aus der sogenannten Mitte" der Gesellschaft treffen die Autoren Monika Schwarz-Friesel. Die Berliner Sprachwissenschaftlerin hat über 14.000 E-Mails an den Zentralrat der Juden und die israelische Botschaft ausgewertet. Darin schreiben Menschen: "Beim nächsten Holocaust beginnt das Gejammer wieder von vorn. Ich habe die Schnauze voll."
Und immer wieder getarnte Anfeindungen, zum Beispiels eines Doktors, der unter dem E-Mail-Betreff "Mörderwalze Israel" fragt: "Ich kenne immer mehr Menschen die mit Hitlers kranker Idee Euch auszurotten sympathisieren. Ist das nicht beängstigend? DIese Leute behaupten sogar Ihr seid die neuen Nazis. Kann man dies nicht sogar verstehen?" (Orthografie unverändert - d. Red.)
Die interessantesten Aspekte dieser Reportage sind jene Einblicke in die Vorurteile der bürgerlichen Gesellschaft. Menschen, die ihre Judenfeindlichkeit mit der Entschuldigung "Das muss man doch sagen dürfen" tarnen. Antisemitismus in der Mitte Deutschlands, versteckt in Nebensätzen.
Eine Frage bleibt
Leider konzentrieren sich die Autoren zu sehr auf ebenso erschreckende wie erwartbare Hauptsätze: Großen Raum nehmen in der Reportage Extrempositionen wie judenfeindliche Parolen im Fußballstadion, rechtsradikale Bands oder antiisraelische Demonstrationen ein. Diese Beispiele erklären das Phänomen eines auch unter Akademikern verbreiteten und salonfähigen Antisemitismus - gerne als Israel-Kritik formuliert - nicht.
Der breite Rundumschlag in der ARD-Produktion lässt auch noch Platz für Henryk M. Broders Kritik an Günter Grass' "Gedicht" und ein lobenswertes Projekt in Duisburg, das sich gegen Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen einsetzt.
Am Ende bleibt so der Eindruck, dass der Dokumentation die nötige Tiefe fehlt. Denn auch die Präsentation zahlloser Facetten der Judenfeindlichkeit in Deutschland lässt den Zuschauer mit einer Frage zurück: Woher kommt der Hass?
"die story: Antisemitismus heute - Wie judenfeindlich ist Deutschland?", Montag, 22.45 Uhr, ARD.