Florian Gathmann

Mindestlohn und Arbeitslosigkeit Erfreulicher Irrtum, doch kein Grund zur Übertreibung

Elf Monate nach der Einführung des Mindestlohns ist die Arbeitslosenquote niedrig wie seit 24 Jahren nicht mehr. Alle, die vor einem großen Jobsterben gewarnt hatten, haben geirrt. Das ist allerdings kein Grund für Häme - oder überzogene Forderungen.
Kellnerin in Leipzig: Mehr Einkommen, weniger Arbeitslosigkeit in Deutschland

Kellnerin in Leipzig: Mehr Einkommen, weniger Arbeitslosigkeit in Deutschland

Foto: Sebastian Willnow/ picture alliance / dpa

Mancher erscheint inzwischen ein bisschen kleinlauter. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln teilte schon Mitte September mit, der Arbeitsmarkt sei "nach wie vor in blendender Verfassung. Daran hat auch die Einführung des Mindestlohns zu Jahresbeginn nichts geändert".

Zweieinhalb Monate später ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland sogar nochmals gesunken, mit 2,633 Millionen liegt sie so niedrig wie seit 1991 nicht mehr.

Das Kölner IW zählte zu den lautesten Mahnern in den vergangenen Jahren, wenn über die Einführung eines allgemeinen und gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland debattiert wurde. Aber man war in guter Gesellschaft: Noch im März vergangenen Jahres prognostizierte das renommierte Münchner Ifo-Institut den Wegfall von bis zu 900.000 Jobs, das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn rechnete mit einem Minus von rund 570.000 Stellen bei Einführung des Mindestlohns.

Wehklagen ohne Grund

Das Wehklagen schwoll nochmals an, als sich SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles an die konkrete Umsetzung des von ihrer Partei im Koalitionsvertrag gegen den Willen von großen Teilen der Union festgeschriebenen Mindestlohns von 8.50 Euro pro Stunde machte. Dieser galt schließlich zum 1. Januar diesen Jahres.

Jetzt ist es offensichtlich: Der Mindestlohn hat den Arbeitsmarkt nicht ruiniert. Wer das Thema ideologiefrei betrachtet, dürfte darüber nicht verwundert sein.

Aber wer tut das schon in Deutschland? Der Mindestlohn hatte hierzulande in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Ideologisierung erfahren: In vielen anderen westlichen Industrieländern längst etabliert, bekämpfte man ihn zwischen Kiel und Konstanz entweder als arbeitsmarktpolitisches Teufelszeug oder überhöhte ihn gleichsam zum sozialen Wundermittel. Teile der Union und die FDP, Arbeitgeber und ihre Verbündeten Experten vs. politische Linke, Gewerkschaften und deren Helfer.

Dass die Bilanz nach einem knappen Jahr nun so positiv ausfällt, freut natürlich die Befürworter. Und dabei ist es müßig, andere positive Faktoren ins Feld zu führen: Ja, die gute Konjunktur ist natürlich außerordentlich hilfreich - aber wenn all die Unkenrufer recht gehabt hätten, wäre die Abrechnung nach Einführung des Mindestlohns trotzdem eine andere gewesen.

Dass im November nur noch 4,5 Prozent der Deutschen ohne Job sind, während gleichzeitig die arbeitende Bevölkerung dank des Mindestlohns deutlich mehr Geld in der Tasche hat, ist eine positive Nachricht - nicht nur fürs Weihnachtsgeschäft. Insbesondere in den neuen Ländern, wo besonders viele Menschen profitieren.

Jobverluste drohen doch noch

Das müssten auch die Mindestlohn-Schwarzmaler anerkennen. Noch wichtiger wäre es allerdings, dass nun die andere Seite vor lauter Triumphgeheul nicht überdreht: Arbeitsministerin Nahles wünscht sich genau wie Gewerkschaftsvertreter schon ab Beginn des neuen Jahres eine Erhöhung des Mindestlohns.

Sie sollten nüchtern bleiben, auch angesichts ihres Erfolgs. Denn steigt der Mindestlohn zu hoch und trübt sich die Konjunktur gleichzeitig leicht ein, wie es manche Prognosen voraussagen, könnten gerade kleinere Unternehmen das nicht mehr ausgleichen. Viele Jobs würden gestrichen - und es träte ein, was die Mindestlohn-Kritiker von Anfang an beschworen haben. Also bitte nicht übertreiben.

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