Merkel in der ARD-"Wahlarena" Die Kanzlerin auf dem Waldweg

"Sie geben mir Ihr Wort?" In der ARD-Sendung "Wahlarena" bekam Angela Merkel es mit erstaunlich kritischen, beharrlichen Bürgern zu tun. Sie wollten die Kanzlerin nicht mit hohlen Phrasen davonkommen lassen. Mehrfach windet sich die Regierungschefin - und kommt am Ende trotzdem nicht schlecht weg.
Kanzlerin Merkel (CDU) in der ARD-"Wahlarena": "Ich nehme das mal auf"

Kanzlerin Merkel (CDU) in der ARD-"Wahlarena": "Ich nehme das mal auf"

Foto: Oliver Berg/ dpa

Was von dieser Sendung hängen bleibt? Wahrscheinlich die Sache mit dem Auto. Schon lange sei sie nicht mehr allein gefahren, erzählt Angela Merkel. "Jetzt traue ich mich nur noch auf Waldwegen." Und darüber seien ihre Sicherheitsbeamten auch froh. Oder dass sie ihre "Schlandkette" aus dem TV-Duell nicht als Pfand für die Einlösung der Wahlversprechen hergeben will. Aber wenn der Zuschauer ein Präsent für seine Freundin oder Frau brauche, solle er sich noch mal bei ihr melden.

Es sind diese weichen Plaudereien, die die meisten Menschen im Gedächtnis behalten, wenn sie ihre Bundeskanzlerin sehen. Merkel kennt das von den Wahlkundgebungen. Da erinnern sich die Leute im Anschluss auch eher an ihre Fußballtipps aus dem Aufwärm-Talk als an ihre Ausführungen zum Mindestlohn, wissen ihre Strategen. An diesem Montagabend aber gäbe es tatsächlich einiges mehr, das man aus der sogenannten ARD-"Wahlarena" mitnehmen könnte.

75 Minuten stellte sich die Regierungschefin knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl zur besten Sendezeit den Fragen von 150 ausgewählten Bürgern (Lesen Sie hier die Höhepunkte der Wahlarena nach). Und auch wenn es mal menschelte - die Wähler ließen Merkel nicht so leicht davonkommen. Am Ende geriet sie zwar nicht wirklich in die Defensive. Aber die zum Teil beharrlichen, kritischen Nachfragen entlarvten ein ums andere Mal die notorische Merkel-Taktik, sich möglichst nicht festzulegen. Und mit vagen Antworten wollten sich eben nicht alle der größtenteils von Meinungsforschern ausgesuchten Gäste im "Kunstwerk" in Mönchengladbach zufriedengeben.

"Lassen Sie es uns bei dieser Offenheit bestehen"

Zum Beispiel der junge Mann, der seit Jahren mit seinem Partner zusammenlebt. Er will wissen, wie es die Kanzlerin mit der Gleichstellung beim Thema Adoption hält. Das ist ein heikles Feld in CDU und CSU, die Union mag gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften meist nur mehr Rechte einräumen, wenn das Bundesverfassungsgericht sie dazu zwingt. Merkel darf also die konservative Stammklientel nicht verprellen, sie windet sich, ihre Sätze holpern, als würde sie genau jetzt mit ihrem alten Golf einen mit Schlaglöchern übersäten Waldweg entlangrumpeln.

Mit ihr werde es keinen Gesetzentwurf zur völligen Gleichberechtigung bei der Adoption geben, sagt sie immerhin noch ehrlich. Aber warum, hakt der Fragesteller nach. Sie sei sich nicht ganz sicher, sie tue sich schwer, es sei nicht ganz einfach. Merkel fällt nichts mehr ein. "Lassen Sie es uns bei dieser Offenheit bestehen." Im Abspann der Sendung sieht man noch, wie Merkel zu dem Mann geht, um ihm die Hand zu schütteln. Ich verstehe Sie ja, ist ihre Botschaft, aber ich kann nicht anders - bitte verstehen Sie mich auch.

Klare Antworten bleibt Merkel auch zur NSA-Affäre schuldig, nach der eine 16-jährige Schülerin fragt. Merkel spult ihre üblichen Argumente ab: Die Ausspäh-Vorwürfe seien aus ihrer Sicht nicht bewiesen, im Ausland gelte nun mal ein anderer Datenschutz, man arbeite an gemeinsamen europäischen Richtlinien, und es brauche Alternativen zu den großen US-Internetkonzernen. Klare Ansagen in Richtung Amerika sind nicht zu hören. Und der besorgte Bürger bleibt einigermaßen ratlos zurück. Es müsse sich also jeder selbst um den Schutz seiner Daten kümmern, konstatiert die Schülerin sinngemäß.

Merkel erntet Widerspruch

So läuft das häufiger, auch, weil die Moderatoren, die Chefredakteure von NDR und WDR, Andreas Cichowicz und Jörg Schönenborn, sich meist angenehm zurückhalten. Wenn Merkel zu einer "Wir haben da schon viel getan"-Lobeshymne auf ihre Regierung ansetzt, bekommt sie immer wieder Widerspruch. Als die Kanzlerin "Arbeit für alle" als großes Ziel nennt, ruft ein Mann dazwischen: "Aber nicht zu jedem Preis". Ein anderer will mehr als nur ihr loses Versprechen, sich der unmenschlichen Zustände in Unterkünften mancher Werksarbeiter anzunehmen: "Sie geben mir Ihr Wort?" Da guckt die Kanzlerin schon mal erstaunt ob der forschen Beharrlichkeit der Gäste, um dann aber anerkennend zu sagen: "Ist doch in Ordnung."

Wirklich ins Schleudern kommt sie nicht. Merkel hat inzwischen schließlich eine gewisse Routine in sogenannten "Townhall Meetings", ein Format, das einst aus den USA nach Deutschland schwappte - freilich ohne die Show und Schärfe aus Amerika. Schon vor den Wahlen 2005 und 2009 ging sie in die Wahlarena, im vergangenen Jahr organisierte sich die Kanzlerin abseits des Wahlkampfs selbst ein paar Bürgersprechstunden, um sich als Kümmerin zu präsentieren. Auch diesmal darf sie sich lernbegierig zeigen, sie erkundigt sich nach persönlichen Lebensumständen und sagt Sätze wie: "Das müssen wir uns noch mal im Detail anschauen." Oder: "Ich nehme das mal auf."

Das für Merkel unangenehme Syrien-Thema wird nur kurz angesprochen, und das auch nur auf Initiative der Moderatoren. Große Verteidigungsreden wegen des Durcheinanders bei der G-20-Erklärung muss die Kanzlerin nicht halten. Alles sei besser als eine Militärintervention, stellt sie fest und lobt die jüngste Idee, Syriens Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen als "interessanten Vorschlag". Nachfragen nach ihrem erratischen Kurs bleiben hier aus.

Am Ende macht es der CDU-Chefin schon wieder so viel Spaß, dass sie nach einer Fortsetzung, einer zweiten Folge der Wahlarena fragt. Die wird es tatsächlich geben, allerdings nicht mit Angela Merkel. Am Mittwoch muss sich ihr SPD-Herausforderer Peer Steinbrück den Fragen der Wähler stellen. SPIEGEL ONLINE ist auch dann wieder live dabei.

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