
Militärtechnik: Wettrüsten der Cyber-Krieger
Zukunft der Kriegführung Die Schlachtfelder von morgen
Hamburg - Die Zukunft der modernen Kriegsführung offenbart sich am 8. August 2008. Russische Panzer rollen nach Südossetien. Sie treffen dort auf georgische Einheiten, die die abtrünnige Mini-Republik am Schwarzen Meer überfallen haben. 800 Menschen sterben in fünf Tagen Kaukasus-Krieg.
Doch neben der Offensive mit Gewehren und Granaten läuft noch eine zweite Schlacht - im Internet. Seit der Attacke auf Südossetien spielt in Georgien das Netz verrückt. Internetseiten der Regierung liegen lahm, die Präsenz des Verteidigungsministeriums zeigt eine Kollage aus Porträts von Präsident Micheil Saakaschwili und Adolf Hitler. Umgekehrt kommt es zu wütenden Attacken auf russische Server.
Kanonen gegen Kanonen, Hacker gegen Hacker: Als einer der ersten Konflikte überhaupt wird der Krieg am Kaukasus gleichzeitig physisch auf dem Schlachtfeld und virtuell im Cyberspace ausgetragen. Bis heute ist nicht klar, ob russische Hacker eigenmächtig oder im Auftrag der Regierung ihre Attacken lancierten. Unbestritten ist jedoch, dass die Auseinandersetzung am Schwarzen Meer einen Ausblick auf die Zukunft der modernen Kriegsführung geliefert hat.
Es ist nicht nur der Einsatz von Hackern, der die Kriegsführung in Zukunft beeinflusst. Die Zeit der großen Feldzüge ist vorüber. Armeen müssen immer schneller auf immer neue Herausforderungen reagieren. Statt gegen Staaten geht es gegen Terroristen und kriminelle Organisationen. Welchen Herausforderungen müssen sich die Strategen stellen? Eine Übersicht.
Herausforderung Nummer eins: Krieg der plötzlichen Nadelstiche
"Konflikte werden in Zukunft durch Informationsüberlegenheit entschieden. Der Informationskrieg kennt keine Warnzeit und keinen Verteidigervorteil", sagt Reiner Huber. An der Universität der Bundeswehr in München entwickelt er Modelle für den Kriegsalltag des Soldaten von übermorgen. Große Landkriege zwischen Nationalstaaten werden dabei die absolute Ausnahme sein. Dazu, so Huber, seien die meisten Länder inzwischen vor allem wirtschaftlich viel zu stark verflochten. "Die Armee der Zukunft wird - noch mehr als heute schon - eine Streitmacht, die primär auf Krisen reagiert."
Dabei formuliert er klare Anforderungen, die eine moderne Armee in Zukunft erfüllen muss: Flexibel und vor allem schnell sollen die Soldaten auf eine asymmetrische Bedrohung reagieren können. Der Feind greift nicht mehr großflächig und planbar an, sondern setzt Nadelstiche. Entsprechend muss sich auch die Verteidigungsstrategie weiterentwickeln. Nicht mehr die gewaltige Mobilmachung ist gefragt - sondern kompakte und reaktionsschnelle Einheiten.
Herausforderung Nummer zwei: Einsatz der vernetzten Armee
Eine Schlüsselqualifikation ist dabei nach ein Einschätzung von Christian Mölling die sogenannte Modularität. Für die Stiftung Wissenschaft und Politik am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit forscht er in Berlin über Kriegsführung heute und morgen. Modularität beschreibt den Zustand, in dem man sich die Truppen schnell und individuell so zusammenstellen kann, wie es der Einsatz verlangt.
In der Zukunft der modernen Kriegsführung, zumindest darin sind sich die meisten Experten einig, werden drei Buchstaben eine entscheidende Rolle spielen: NCW für Network Centric Warfare.
Dahinter verbergen sich Netzwerke, die Einheiten untereinander und mit ihren Kommandeuren verbinden - und ihnen damit die Möglichkeit zur schnellen, flexiblen und asymmetrischen Kriegsführung bieten. Das Ziel ist dabei klar formuliert: Informationsüberlegenheit über den Feind. Ein ideales System funktioniert nach diesem Ansatz in drei Stufen.
- Die Sensorebene sammelt Daten. Dabei reichen die Varianten von der Radarüberwachung über satellitengestützte Datenerfassung bis zum Hacken feindlicher Computer- oder Telefonnetze.
- Die Kommandoebene wertet die Daten aus und zieht Schlüsse, wie gegen die feindlichen Einheiten vorgegangen werden kann.
- Die ausführende Ebene nimmt die Beschlüsse der Kommandoebene als Befehl entgegen und führt sie aus. Immer schnellere, längst kabellose Online-Netzwerke machen eine ständige Neuevaluierung der Situation möglich - samt rascher Gegenmaßnahmen. In der Obama-Doktrin für die Neuausrichtung der US-Armee - mit Drohnen, Spezialkommandos und virtueller Kriegsführung - ist das Modell fest verankert.
Herausforderung Nummer drei: Hacker an die Front
Armeen der Zukunft werden versuchen, diese Netzwerke - und damit ihren Informationsvorsprung - weiter auszubauen. Gleichzeitig arbeiten Entwickler an Methoden, nicht nur die eigenen Systeme zu optimieren, sondern auch die des Gegners lahmzulegen.
Dafür bildet auch die Bundeswehr eine Einheit aus Hackern in Uniform aus. In Rheinbach bei Bonn tüfteln rund 80 Militär-Informatiker an Techniken, mit denen feindliche Angriffe auf die Netzwerke der Bundeswehr abgewehrt werden können. Selbstverständlich gibt es, für den elektronischen Ernstfall, auch Szenarien für eine eigene Attacke. Einen solchen Ernstfall hatte der Nato-Partner Estland 2007 erlebt, als Cyber-Attacken die Republik so gut wie lahmlegten. Auch dort könnten russische Hacker hinter den Angriffen stecken, zwischen beiden Ländern hatte es damals erhebliche diplomatische Verstimmungen gegeben.
Aktuelle Beispiele: Die Computerwürmer Stuxnet und Flame, die - wohl entwickelt in den USA und Israel - unter anderem in iranischen Atomanlagen für Software-Schäden sorgen. Sie stellen nicht zuletzt die Völkerrechtler vor die Herausforderung, Regeln für die Cyberschlacht festzulegen.
Herausforderung Nummer vier: Neue Gegner, neue Kriegsgründe
Eine weitere Entwicklung bereitet Zukunftsforscher Huber Sorgen: "Die Grenze zwischen Terrorismus und internationaler Kriminalität verschwimmt. Wenn etwa Kämpfer durch Drogenhandel ihre Waffenkäufe finanzieren, ist schwer zu sagen, wo Kriminalität aufhört und Terrorismus anfängt."
Huber spricht in diesem Zusammenhang von "Gewaltunternehmern des 21. Jahrhunderts", die von gewalttätigen Konflikten und der "Entstaatlichung des Krieges" profitieren - und sich dabei oft von Bürgerkriegen zerrissene Staaten als Basis suchen. Die Gewaltunternehmer handeln dabei entweder auf eigene Rechnung oder im Auftrag von Staaten.
Vor allem der internationale Drogenhandel baut sich gezielt in destabilisierten Ländern wichtige Transferzentren auf. So gelten zahlreiche Staaten Westafrikas als Zwischenstationen für die Rauschmittel. Konflikte wie derzeit in Mali, wo Islamisten im Norden die Macht übernommen haben, kommen den milliardenschweren Drogenhändlern gerade recht - und werden von diesen befeuert. Länder wie Mexiko schicken schon heute die Armee in den Kampf mit den Gewaltunternehmern, auch hier vor allem der internationalen Drogenmafia.
Potentielle Krisenherde der Zukunft vermutet Experte Huber jedoch nicht allein in spärlich besiedelten Regionen, sondern auch in den Ballungszentren der Dritten Welt. "Kriege werden dabei noch häufiger um Ressourcen geführt. Dabei stehen jedoch nicht mehr nur Rohstoffe - wie Öl oder Metalle - im Vordergrund, sondern auch Wasser und Nahrung", so Huber. Die Uno listet mehr als 260 "internationale Wasservorkommen", die also über mehrere Länder verteilt sind. Mit der Bevölkerungszahl dürften auch die Spannungen um den Rohstoff Wasser steigen.
Bescheiden blickt Brigadier-General Herbert Raymond McMaster in die Zukunft. Als Irak-Veteran hat er die Risiken eines modernen Konflikts aus nächster Nähe erlebt. Heute entwirft er in einem Think-Tank der US-Armee Szenarien für die Kriege der Zukunft. Im US-Sender CBS formulierte er seinen Anspruch an die Führung moderner Streitkräfte: "Die Prognosen werden niemals exakt stimmen. Unser Ziel ist daher, nicht so extrem falsch zu liegen, dass wir uns nicht mehr anpassen können."