Attacke auf türkischstämmige Abgeordnete Bundestag verurteilt Erdogans Rassenrhetorik

Attacke auf türkischstämmige Abgeordnete: Bundestag verurteilt Erdogans Rassenrhetorik
Foto: Kay Nietfeld/ dpaBundestagspräsident Norbert Lammert hat im Namen aller Fraktionen Drohungen gegen türkischstämmige Abgeordnete wegen der Armenien-Resolution scharf verurteilt.
"Jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen, er greift das ganze Parlament an", sagte der CDU-Politiker zur Eröffnung der Bundestagssitzung. Die zum Teil hasserfüllten Drohungen und Schmähungen seien leider auch durch Äußerungen hochrangiger türkischer Politiker befördert worden, betonte er.
"Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestags mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten", sagte Lammert über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Verdächtigung von Bundestagsabgeordneten als Sprachrohr von Terroristen weise er zudem in aller Form zurück.
Der Bundesinnenminister bedankt sich bei Lammert
Die eigentlich für Donnerstagvormittag angesetzte Aktuelle Stunde entfiel, weil die Linke ihren Antrag darauf kurzfristig zurückzog. Sie war erst am späten Mittwochabend wieder auf die Tagesordnung gesetzt worden. Offenbar als Zeichen der Unterstützung war auch Bundeskanzlerin Merkel im Parlament. Anschließend applaudierten die Kanzlerin und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) von der Regierungsbank, was eigentlich nicht üblich ist. De Maizière, der am Donnerstag zur Debatte des ersten Tagesordnungspunkts nach Lammert im Bundestag das Wort bekam, dankte dem Bundestagspräsidenten "ganz herzlich" für die "klaren Worte". Merkel und de Maizière hatten - wie auch andere Bundesminister - am vergangenen Donnerstag nicht an der Armenien-Abstimmung im Bundestag teilgenommen. Merkel nahm einen anderen Termin war, ebenso Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) war auf einer Reise nach Argentinien.
Nach der Verurteilung der Massaker an den Armeniern vor 101 Jahren als Völkermord im Bundestag hatte Erdogan türkischstämmige Abgeordnete wegen ihres Abstimmungsverhaltens als verlängerten Arm der verbotenen kurdischen PKK bezeichnet. Er verlangte auch, sie sollten ihr Blut im Labor testen lassen. Im Internet wurden die türkischstämmigen Parlamentarier massiv bedroht.
Abscheulich und absolut deplatziert
Die Bundesregierung hatte bereits zuvor die Angriffe und Drohungen gegen Abgeordnete kritisiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Dienstag, die deutschen Parlamentarier seien frei gewählte Abgeordnete und die Vorwürfe von türkischer Seite für sie "nicht nachvollziehbar". Merkels Bemerkung - "nicht nachvollziehbar" - war unter Abgeordneten auf Kritik gestoßen. Die Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann hatte erklärt: "Da sind deutlich klarere Worte angesagt." Merkel habe "erst mal zwei Tage lang ihren Regierungssprecher vorgeschickt", bevor sie sich persönlich äußerte. Für die schwache Reaktion der Kanzlerin habe die Grünen-Fraktion "wirklich kein Verständnis", so Haßelmann am Mittwoch. "Wir erwarten eine eindeutige Zurückweisung", sagt sie.
Die Drohungen gegen Abgeordnete seien nach der Armenien-Abstimmung zum Teil noch heftiger geworden, beklagte Lammert. "Ich bin daher von den Vorsitzenden aller Fraktionen gebeten worden, unsere gemeinsame Position noch einmal unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen: Ich bekräftige unsere ganz selbstverständliche Solidarität mit allen Kolleginnen und Kollegen, die im Zusammenhang mit ihrer politischen Tätigkeit bedroht oder unter Druck gesetzt werden."
Lammert dankte unter anderem dem Verband der türkischen Gemeinde in Deutschland, der die Aussagen Erdogans ebenso wie Morddrohungen gegen Abgeordnete "zu Recht als abscheulich und absolut deplatziert" bezeichnet habe. "Ich würde mir wünschen, dass auch andere, der zum Teil sehr großen türkischen Organisationen in Deutschland ebenso Partei für die Abgeordneten und unsere Demokratie ergreifen mit ähnlich klaren und eindeutigen Stellungnahmen, wie sie bei anderen Gelegenheiten häufig sehr schnell und sehr lautstark abgegeben werden."
Lesen Sie hier, wie es zu der Eskalation kam: