Armenien-Resolution Historiker wirft Bundestag Doppelmoral vor

Der Bundestag bekennt sich zur deutschen Mitschuld am Völkermord an den Armeniern. Im SPIEGEL verlangt der Historiker Jürgen Zimmerer, auch deutsche Taten in Afrika als Völkermord zu bezeichnen.
Abstimmung im Bundestag über Armenien-Resolution

Abstimmung im Bundestag über Armenien-Resolution

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Die Verabschiedung der Völkermord-Resolution im Bundestag stößt auf Kritik unter Wissenschaftlern. Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer, Vorsitzender des Weltverbandes der Genozidforschenden, wirft dem Bundestag in einem Interview mit dem SPIEGEL vor, mit zweierlei Maß zu messen. (Diese Meldung stammt aus dem SPIEGEL. Den neuen SPIEGEL finden Sie hier.)

Zimmerer verweist auf die Taten des Deutschen Kaiserreichs in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika an den Herero und Nama. "Dieser Genozid fand elf Jahre vor den Massakern an den Armeniern statt. Es ist schon sehr eigenartig, dass der Bundestag bislang nicht den Mut gefunden hat, diese deutsche Schuld klar zu benennen", so Zimmerer.

101 Jahre nach dem Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich, das im Ersten Weltkrieg mit Deutschland verbündet war, hatte der Bundestag am Donnerstag eine Resolution verabschiedet. Darin ist nunmehr von Völkermord die Rede. In der Debatte hatten Redner auch an das Schicksal der Stämme in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika, dem heutigen Namibia, erinnert. So erklärte der Grünen-Parteichef Cem Özedmir: "Auch der Völkermord an den Herero und Nama wartet darauf, dass er aufgearbeitet wird."

Der Historiker Zimmerer fordert das Parlament auf, dieses historische Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte mit der nötigen Klarheit anzugehen. Ansonsten lasse man "den Eindruck zu, dass der Bundestag mit zweierlei Maß misst".


SPIEGEL: Herr Zimmerer, steht es dem Bundestag zu, eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern vor 101 Jahren zu verabschieden?

Zimmerer: Historiker und Genozidforscher sind sich international nahezu geschlossen einig darin, dass es sich bei den Taten der damaligen türkischen Regierung um einen Völkermord handelte. Es ist nicht Aufgabe eines Parlaments, diese historische Wahrheit festzustellen. Wenn es aber darum geht, eine deutsche Mitschuld anzuerkennen, dann ist der Bundestag der richtige Ort. Denn das damalige deutsche Kaiserreich ließ die türkische Regierung gewähren. Sich dieser Verantwortung zu stellen, finde ich richtig.

SPIEGEL: Die heutige Regierung in Ankara hat die Resolution heftig kritisiert.

Zimmerer: Die Türkei vertritt bis heute die Auffassung, dass es keinen Völkermord gab. Das ist ein Ausdruck großer Geschichtsvergessenheit. Aber die deutsche Politik hätte sich, bevor sie mit erhobenem Zeigefinger auf Ankara deutet, zu ihrer Verantwortung für einen anderen Genozid bekennen müssen.

SPIEGEL: Welchen meinen Sie?

Zimmerer: Den Völkermord an den Herero und Nama in Namibia durch das deutsche Kaiserreich. Dieser Genozid fand elf Jahre vor den Massakern an den Armeniern statt. Es ist schon sehr eigenartig, dass der Bundestag bislang nicht den Mut gefunden hat, diese deutsche Schuld klar zu benennen.

SPIEGEL: Macht das die Armenien-Resolution unglaubwürdig?

Zimmerer: Das nicht, aber es lässt den Eindruck zu, dass der Bundestag mit zweierlei Maß misst. Das spielt den Kritikern in die Hände, zumal die Resolution einen Partner verärgert, von dem man sich in der Flüchtlingsfrage komplett abhängig gemacht hat. Glaubwürdig wird die Resolution zudem erst, wenn Taten folgen: eine symbolische oder materielle Anerkennung der armenischen Opfer zum Beispiel. Sonst bleiben es leere Worte.

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