Atom-Streit Merkel fürchtet die Ausstiegsnörgler

Umweltminister Röttgen, Kanzlerin Merkel: "Nicht immer nur Bedenken äußern"
Foto: JOHANNES EISELE/ AFPBerlin - Von Dinosauriern und toten Pferden ist da die Rede. Die Wortwahl ist so eindeutig wie selten in der Politik. Wer gegen die Energiewende sei, der werde "das Schicksal der Dinosaurier teilen und aussterben", ruft Umweltminister Norbert Röttgen den verbliebenen Atom-Freunden zu. Und Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister gibt den Ratschlag, auch die Letzten müssten jetzt "vom toten Pferd absteigen".
Hört sich kräftig an. Ist aber eher das laute Pfeifen im Wald.
Denn Röttgen und Co. haben Angst vorm Rollback. Sie sehen zwar den schnellen Atomausstieg zum Greifen nahe, doch sorgen sie sich, dass der Einfluss ihrer Gegner vom Wirtschaftsflügel der Unionsparteien wieder steigen könnte. Die kommen fünf Wochen nach Beginn der Katastrophe in Fukushima mehr und mehr aus der Deckung. Ihre Argumentation: Raus aus der Atomenergie wollen wir alle. Aber doch bitteschön nicht überhastet. Die Dinosaurier wehren sich. Es ist vor allem das Kostenargument, dass sie nun in die Debatte tragen.
Kostet die Atomwende mehrere hundert Milliarden Euro?
Während Röttgen und auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) bislang mit jährlichen Zusatzkosten zwischen einer und fünf Milliarden Euro hantieren, gehen manche Wirtschaftspolitiker in die Vollen. CDU-Mann Joachim Pfeiffer etwa rechnet mit insgesamt bis zu 50 Milliarden Euro allein für den Netzausbau. Kurt Lauk, der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, prophezeit "einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag" für die Energiewende, falls Deutschland den Atomausstieg im Alleingang in Europa durchziehe. Die "Bild"-Zeitung berichtet von 16 Milliarden Euro bis 2015.
Die Konsequenz? Höhere Strompreise. Neue Subventionen. So warnt etwa der Wirtschaftsflügel: "Aufgrund der Strompreissteigerungen werden wir wohl Subventionen für energieintensive Betriebe wie Aluminium- und Stahlhersteller brauchen, damit die Firmen nicht ins Ausland abwandern", so Unionsfraktionsvize Michael Fuchs in der "Bild am Sonntag".
Der CDU-Finanzpolitiker Michael Meister rechnet parallel mit geringeren Zahlungen der Atomkonzerne an die Regierung: "Das ist ein zweistelliger Milliardenbetrag, und an der Stelle werden wir natürlich weniger Einnahmen haben." Dies könne aber nicht durch höhere Steuern oder mehr Schulden ausgeglichen werden, sondern müsse vom Stromverbraucher übernommen werden, sagte Meister dem NDR. CSU-Mittelstandschef Hans Michelbach fordert mehr Ehrlichkeit in der Energiedebatte, warnt vor gefährlich steigenden Stromkosten.

Grafiken: Deutschlands Energiewirtschaft
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) erklärte in der "Bild"-Zeitung, es könne "nicht allein um den schnellsten Ausstieg gehen, sondern um die klügste Lösung. Der Ausstieg darf keinesfalls allein zu Lasten der Verbraucher gehen."
So geht das immer munter weiter. Seit Tagen schon. Die vermeintlich vom Aussterben Bedrohten geben keine Ruhe.
Längst suchen die anderen Parteien die florierende Kostendebatte für sich zu nutzen. Philipp Rösler, designierter FDP-Chef, sagte der "Passauer Neuen Presse", mit ihm werde es keine Steuererhöhung zur Finanzierung des Umstiegs auf erneuerbare Energien geben: "Ich bin gegen einen Energie-Soli." Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erklärte, es könne nicht sein, dass am Ende die Stromkunden Merkels schnellen Ausstieg finanzieren müssten.
Kanzlerin Angela Merkel ist gewarnt. Intern hat sie klargemacht, dass sie an der Seite Röttgens steht. Sie hat die Wirtschaftspolitiker gebeten, den Ausstieg nicht schlechtzureden. Doch öffentlich? Da fehlt die klare Ansage. Merkel wartet noch ab, beruft sich auf ihre beiden Expertengruppen zur Energiewende, die in wenigen Wochen Ergebnisse vorlegen sollen. An diesem Montag trifft sich die Ethikkommission unter Leitung des früheren Umweltministers Klaus Töpfer (CDU) zu einer dreitägigen Klausur. Mit den Regierungschefs der Länder hat Merkel sich am Freitag auf ein parlamentarisches Schnellverfahren im Juni geeinigt, um nach dem Atommoratorium rasch ein neues Gesetz möglichst im Konsens zu verabschieden.
CSU: "Brauchen jetzt Macher und nicht Nörgler"
Für ihren am Wochenende veröffentlichten Video-Podcast ließ sich die Kanzlerin in Sachen Atomausstieg ein paar freundliche Fragen von einer verschüchterten Politikstudentin stellen und versuchte es mit einer Ansage: "Jetzt geht es darum, dass wir nicht als erstes immer nur Bedenken äußern, sondern dass man einfach sagt: Wir wollen das schaffen." Das ist noch der entschiedenste Satz, der bislang von ihr zu haben ist.
"Merkel steht da wie eine Frau, die in der wichtigsten politischen Frage der Koalition keine Meinung hat", schreibt der SPIEGEL. "Merkel gibt die Leitung ab, sie führt nicht", konstatiert die "taz".
Andere versuchen einzuspringen, insbesondere die CSU-Granden haben sich mittlerweile an die Spitze der Anti-AKW-Bewegung gestellt. Während Merkel noch keine Zahl zum Ausstieg nennen will, markiert CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt auf SPIEGEL ONLINE das Jahr 2020: "Ich glaube, wenn die Nein-Sager - die heute noch gegen Pumpspeicherkraftwerke oder neue Stromtrassen sind - ihre Blockadehaltung aufgeben, dann können wir in zehn Jahren einen Energiemix ohne Kernenergie haben."
Was anmutet wie eine Attacke gegen die Grünen, richtet sich allerdings auch gegen die Bedenkenträger in den eigenen Reihen. "Die miesepetrige Begleitung der ausschließlichen Problembeschreiber aller Seiten ist nicht hilfreich", so Dobrindt: "Für den Energiemix der Zukunft brauchen wir jetzt Macher und nicht Nörgler."
Intern hat CSU-Chef Horst Seehofer schon mehrfach versucht, Druck auf die Kanzlerin aufzubauen, damit sie sich doch festlegen möge: auf eine Jahreszahl; auf das endgültige Aus für die derzeit abgeschalteten Alt-Meiler. Doch nichts zu machen bisher. In dieser Phase der Führungslosigkeit kann die Kostendebatte voll durchschlagen. Eine feine Sache ist das: Ein jeder kann munter drauflosspekulieren, weil die Kanzlerin schweigt. "Wie die Energiewende ablaufen wird, ist noch nicht klar. Also kann es jetzt keine belastbaren Zahlen geben", erklärte der Regierungssprecher.
Klingt logisch. Verunsichert jedoch die Bevölkerung - und gibt den Nörglern mehr Raum. Das wissen sie natürlich auch im Umfeld der Kanzlerin. "Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist die Wiederherstellung alter Fronten", so Annette Schavan, CDU-Vize-Chefin und Merkel-Vertraute, gegenüber dem SPIEGEL. Von ihrer Partei wünscht sie sich nun vor allem eines: "mehr Disziplin".