Atomausstieg Propheten der Angst
Mit der "Atomlobby" redet man nicht. Da könnte man sich auch gleich zur Teilnahme an einer Sitzung des Ku-Klux-Klan bekennen. Und wenn die deutsche Atomindustrie etwas von "Energiedialog" flötet, verschließt man sich besser die Ohren wie weiland Odysseus, man könnte ihrem Sirenengesang ja sonst erliegen. Als man kürzlich unter der Führung der Spitze der Grünen in Berlin gegen eine Tagung des Atomforums demonstrierte, hieß die Parole deshalb: "Eure Argumente bleiben drin!" Wo kämen wir denn hin, wenn die Betreiber von AKWs im Mutterland der Anti-Atomkraft-Bewegung nicht nur Argumente hätten, sondern sie auch noch zu Gehör bringen dürften?

Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace auf der Kuppel des AKW Unterweser: Alte Grabenkämpfe
Foto: ddpDie Fronten sind seit Jahrzehnten festgestampft und im Niemandsland dazwischen spielen sich nur noch gewohnheitsmäßige Rituale ab. Wer sich seiner Sache gewiss ist, den erschüttert der Hinweis daher wenig, dass Deutschland mit seiner Angst vorm Atomstrom mittlerweile ziemlich allein dasteht. Ja, im Ausland lacht man über die deutsche Atomangst, spricht vom deutschen "Sonderweg", nennt es Doppelmoral, dass die Deutschen von Wind und Sonne und sonst gar nichts leben wollen, aber in der Zwischenzeit ihren Atomstrom aus Frankreich beziehen. Und Schweden ist Anfang des Jahres sogar aus dem Ausstieg ausgestiegen.
Na und? Wir lassen uns nicht verbiegen. Trotz ist deutsche Kernkompetenz. Weshalb uns auch die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen nicht schreckt. Schließlich haben wir einen Ex-Bundeskanzler bei Gazprom eingeschleust.
So viel zu den Chancen und Möglichkeiten eines Dialogs.
Allerdings haben diejenigen, die neuerdings den "Dialog" anbieten, in der Vergangenheit wirklich nicht gerade mit Kommunikationskompetenz geglänzt. So macht man es seinen Gegnern leicht.
Das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle wartet schon seit Jahrzehnten auf eine seriöse Lösung. Das Krisenmanagement bei "Zwischenfällen" war bislang, höflich gesagt, bescheiden, was das Vertrauen in die Sicherheit des Atomstroms nicht gerade vergrößert hat. Auch dass man jahrelang nicht nur darauf verzichtete, intensiv nach Energiealternativen zu forschen, sondern solches nicht selten zu hintertreiben suchte, hat den Ruf nicht verbessert. Ihre Gegner nehmen den Energiemanagern jene "Energieverantwortung" nicht ab, von der man heute dort redet.
Abneigung gegen Technik ist weit verbreitet
Wenn tatsächlich etwas schiefläuft, forscht der redliche Ingenieur erst mal in aller Ruhe nach, was Sache ist, bevor er etwas sagt oder gar etwas erklärt. Das ist bei einem so schwierigen Thema wie der Atomenergie meist zu spät. Gelungenes Krisenmanagement sieht anders aus.
Gleichzeitig ist es mit der Sachlichkeit so eine Sache: Den einen ist sie heilig, den anderen bedeutet sie eine verkürzte Sicht auf die Welt. Viel mag an der Wurzel einer hierzulande weitverbreiteten Technikabneigung liegen - zuerst vielleicht die mangelnde Grundlagenerziehung in den Schulen. Sicher auch ein leiser Hang zum Esoterischen und Unerklärlichen, den viele lieben.
Wer in einem Kosmos lebt, in dem es nur Naturgesetze, technische Rationalität und unanfechtbare Logik gibt, hält wiederum alles für entbehrlich, was sich damit nicht erklären lässt: zuerst und vor allem Emotionen. Damit aber kommt man nicht mehr weit, seit Wirtschaftsgurus und Politiker die Macht der Gefühle erkannt haben. Noch in den fünfziger und sechziger Jahren durften Politiker bei schwierigen politischen Entscheidungen ungestraft von "Sachzwängen" reden. Heute müssen sie ihr Publikum als erstes über ihre Gefühle dabei informieren.
Dem Klischee des profitorientierten Technokraten, der zur Not auch über Leichen geht, wie es bei vielen Atomkraftgegnern gepflegt wird, entspricht das Zerrbild von den "rückwärtsgewandten Spinnern" da draußen, das bei selbstbewussten Ingenieuren zu Hause ist, die wissen, dass bei ihnen alles sicher ist - was nur die irrationalen Chaoten nicht kapieren wollen, die Propheten der Angst, die rücksichtslosen Ideologen, die mit den Emotionen verunsicherter Bürger spielen.
Ja, die gibt es. Auch gibt es sicherlich ein politisches Interesse jener Partei, für die der Kampf gegen das Atom Alleinstellungsmerkmal und Gründungsmythos zugleich ist. Das heißt indes nicht, dass man Emotionen nicht ernst nehmen müsste. Auch das nicht Rationale muss verstanden werden, wenn man nicht möchte, dass es politische Prozesse dominiert.
Emotionen dominieren die Energiedebatte
Die Abneigung gegen alles, was mit "Atom" zu tun hat, ist auch in der - "bürgerlichen" - Mitte der Gesellschaft stark und fest verankert. Mag sein, dass sich mittlerweile die Jüngeren in diesen Fragen einen entspannten Pragmatismus leisten. Mag sein, dass man nur warten muss, bis die heute 30- bis 60-Jährigen ausgestorben sind, wie Zyniker meinen, bevor jener "Dialog" geführt werden kann, der es erlaubte, Energiepolitik mit allen möglichen und denkbaren Optionen zu diskutieren.
Mal abgesehen davon, dass das eine ziemlich unfreundliche Einschätzung menschlichen Lernvermögens ist - haben wir so viel Zeit? Nein. In diesem Land ist es dringend nötig, sich ein paar neue Gedanken zu machen, statt die alten Grabenkämpfe fortzuführen.
Doch die Emotionen, die hierzulande die Energiedebatte dominieren, wurzeln tief. Und vielleicht sind sie ein bisschen mehr als die bloße Eigenheit romantischer Spinner, für die uns unsere Nachbarn (noch immer) halten. Man muss gar nicht tief ins deutsche Gemüt hinabsteigen, um Gründe für das zu finden, was man um uns herum spöttelnd "German Angst" nennt. Vor allem der Kalte Krieg hatte verheerende Folgen für die Wahrnehmung der Deutschen in West wie Ost: Jahrelang war Gesamtdeutschlands Rolle im Fall der Fälle klar. Es war als Austragungsort eines atomaren Schlagabtauschs vorgesehen und deshalb ein sicherer Kandidat für die Vernichtung. Einige Generationen Deutscher sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass auch eine minderschwere Krise den Dritten Weltkrieg entzünden könnte. Die hysterische Ausprägung dieser Vorstellung buchstabierte sich ANGST und sah die Deutschen als Opfer. "Besuchen Sie Europa, solange es noch steht."
Atom - in Deutschland ein Symbol der Vernichtung
Im 68er-Gedenkjahr ist womöglich untergegangen, dass die politische Empfindungswelt hierzulande weit stärker von der Friedensbewegung als von der Studentenbewegung geprägt ist. Und die paarte sich nicht nur des Wortes "Atom" wegen mit der Anti-AKW-Bewegung: mit dem "Bauernprotest" gegen AKW-Baupläne in Wyhl am Kaiserstuhl wähnte man die "Volksmassen" hinter sich. Auf dem emotionalen Hintergrund eines Szenarios, das die vollständige Vernichtung Deutschlands vorsah, entfaltete das Negativbild des von Robert Jungk 1977 im gleichnamigen Buch ausgerufenen "Atomstaates" seine Kraft: die These nämlich, dass eine so gefährliche wie gefährdete Technologie einen starken, bis an die Zähne bewaffneten Staat braucht.

Greenpeace-Aktivisten auf der Reaktorkuppel des AKW Unterweser: Alte Grabenkämpfe
Foto: ddpDamit ist eigentlich alles über die emotionale Stärke der Argumente der Atomkraftgegner gesagt: Der Stoff, aus dem die Energie gewonnen wird, ist mit Vernichtung assoziiert. Technische Sicherheit kann es nicht geben und hätte überdies einen hohen politischen Preis. Atomenergie bedeutet potentielle Vernichtung und - den totalen Überwachungsstaat wie im Faschismus.
Das sind so ziemlich die beiden stärksten Feind- und Angstbilder, die man in Deutschland kennt.
Deutsche glauben an die reine Natur - Sonne und Wind
Nein, die friedliche Nutzung der Kernenergie hatte in Deutschland Ost wie West nie gute Karten, obwohl man in China wie in der DDR oder der Sowjetunion behauptete, im Sozialismus, also in den Händen des Volkes, sei Atomstrom sicher. Wer daran noch glaubte, tat es spätestens mit der AKW-Havarie in Tschernobyl nicht mehr. Jener Mai 1986, als eine radioaktive Wolke über Deutschland zog, ist sicherlich bei allen, die damals älter als sieben, acht Jahre waren, tief in der Erinnerung verwurzelt.
Wer den atomaren "Sonderweg" der Deutschen verstehen will, sollte womöglich noch das evangelische Pfarrhaus hinzufügen. Protestantisches Ethos warnt vor Hybris - und ist die Vorstellung, das atomare Feuer bändigen zu können, nicht geradezu der auf die Spitze getriebene menschliche Größenwahn? Ist nicht verblendet, wer, statt demütig seine Grenzen zu akzeptieren, mit technikgläubiger Vermessenheit immer und immer wieder gegen sie anrennt? Übermut wird bestraft. Wir lesen die Zeichen an der Wand: Waldsterben. Vogelgrippe. Aids. Rinderwahn.
Auch deshalb sind Sonnen- und Windenergie bei uns so beliebt. Nicht nur, weil sie "klimaneutral" und "erneuerbar" sind, sondern weil sie nichts anderes als die "reine Natur" zu sein scheinen. "Die Sonne schickt uns keine Rechnung", glauben wir mit Franz Alt. Und verdrängen, dass hierzulande auf längere Sicht weder Wind- noch Sonnenenergie rentabel sind - noch gar die Grundversorgung garantieren können.
Mag sein, dass immer mehr Deutsche, zumal angesichts von Energie- und Finanzkrise, einer Nutzung der Kernenergie zustimmen - was sich in längeren Laufzeiten ausdrücken könnte, worüber mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland mit sich reden ließe, aber auch im Bau neuer, sicherer, effizienterer Atomkraftwerke. Mag sein, dass der Ausstieg lediglich ein "Generationenprojekt" (Michael Miersch) ist, dass man auf die "pragmatische" Jugend setzen muss.
Aber so bald sterben wir Älteren nicht aus. Und auch ohne uns werden die mächtigen Bilder bleiben, die nicht nur die Bomben auf Nagasaki und Hiroshima überliefert haben, sondern die auch die Literatur bereithält - von Schreckensszenarien in der Science-Fiction (etwa "Lobgesang auf Leibowitz" von Walter M. Miller) bis zu deutschen Angst-Epen in hohen Auflagen, man denke an Gudrun Pausewangs Kinderbuch "Die Wolke", das 1987 erschien und auch noch den einen oder anderen unter 30-Jährigen erreicht haben könnte.
Das lange Gedächtnis der Deutschen muss man also einbeziehen, wenn man neu über Kernenergie reden will. Das ist mühsam, gewiss. Immerhin gibt es leuchtende Beispiele: In den USA ist eine frühere Anti-Atomkraft-Aktivistin, die Journalistin Gwyneth Cravens, mittlerweile davon überzeugt, es mit der sichersten Energieform der Welt zu tun zu haben. Der Grund? Gespräche mit Wissenschaftlern und Ingenieuren bei Besuchen in Atomkraftwerken.
Darauf muss man erst mal kommen.