Atomausstieg Schwarz-Gelb-Rot bringt die Grünen in Not

Atom ade! Nach ihrem Beschluss zur Energiewende feiert sich die schwarz-gelbe Koalition als neuer Ökomotor, selbst die SPD ist angetan. Der Schachzug könnte die Grünen ausbremsen. Die sind in der Bredouille: mitmachen - oder querstellen?
Koalitionäre Röttgen, Rösler, Merkel, Ramsauer: Ökoattacke auf die Grünen

Koalitionäre Röttgen, Rösler, Merkel, Ramsauer: Ökoattacke auf die Grünen

Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

Berlin - Der Mann redet sich in Rage an diesem Montagmorgen. Gerade hat Horst Seehofer noch schnell zwei Weißwürste verdrückt, jetzt ist der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef auf einem ordentlichen Energielevel angelangt: Um die "Aussöhnung von Ökologie und Ökonomie" geht es nun, um eine "epochale Weichenstellung", ja sogar einen "neuen Gesellschaftsvertrag".

Mag Winfried Kretschmann auf dem Papier auch der erste grüne Ministerpräsident der Republik sein, der wahre Ökoregierungschef bin ich - das ist Seehofers Botschaft in der bayerischen Landesvertretung. "So, wir managen jetzt diese Energiewende", sagt er. "Was soll diese Kleinmütigkeit? Ich möchte nicht pausenlos hören, das geht nicht, jenes geht nicht."

Es ist der Tag der schwarz-gelben Ökorevolution. Die Regierung, die noch vor wenigen Monaten den Energiekonzernen ein sattes Laufzeitplus für ihre Atomkraftwerke bescherte, feiert sich als Ausstiegs- und Umweltmotor. In einer stundenlangen Nachtsitzung haben sich die Koalitionsspitzen auf ein Papier geeinigt. Der Titel: "Weg zur Energie der Zukunft - sicher, bezahlbar und umweltfreundlich". Auf geht's zum Atomstopp.

Wie Seehofer blickt auch Angela Merkel aus müden Augen, als sie mit ihren zuständigen Ministern im Kanzleramt vor die Journalisten tritt. Und wieder fallen große Worte. Die Kanzlerin spricht von einer "Wende hin zum Strom der Zukunft", nennt diese eine "riesige Chance für kommende Generationen".

Die Öko-Partei sitzt in der Falle

Tatsächlich ist dieser Tag eine Zäsur. Als erste Industrienation der Welt will Deutschland ohne Kernkraft auskommen, und das ziemlich schnell. Die sieben Altmeiler plus Krümmel sollen nach dem Moratorium gar nicht erst wieder ans Netz, bis 2022 soll auch das letzte AKW abgeschaltet werden, eine Hintertür gibt es augenscheinlich nicht. Es ist ein ziemlich grüner Plan. Er musste so grün sein. Denn das, was das Land moderner machen und der Bevölkerung eine Urangst nehmen soll, ist natürlich auch ein Angriff auf das Original. Man will den Grünen ein Thema rauben.

Jetzt sitzt die Öko-Partei in der Falle. Soll sie mitmachen bei den schwarz-gelben Plänen oder nicht?

Klar ist: Die Grünen tun sich schwer damit, dem schwarz-gelben Vorhaben zuzustimmen, die Energiewende von Merkel, Seehofer und Co. zu veredeln. Denn nichts anderes wäre ihr Ja zum Atomausstiegskonsens - die Koalition könnte sich damit eine Art Öko-Siegel aufkleben.

Aber was hätten die Grünen davon? Natürlich gehen ihnen die Pläne von Schwarz-Gelb nicht weit genug: Sie möchten schon 2017 das letzte AKW stilllegen, einen schnelleren Ausbau der regenerativen Energien und auf neue Kohlekraftwerke verzichten. Sich dem Konsens anzuschließen, könnte für sie gefährlich werden, auf dem geplanten Sonderparteitag droht heftiger Widerstand von der Basis. Denn Glaubwürdigkeit, das pauken ihnen die Meinungsforscher regelmäßig ein, ist das höchste Grünen-Gut. Ein Nein zum vorliegenden Konsens würde ihnen deshalb nicht schaden, glauben viele in der Partei.

Andersherum gilt: Scherten die Grünen aus, machen sie sich in der Öffentlichkeit womöglich angreifbar. Das Bild von der Dagegen-Partei würde von den Gegnern wieder hervorgekramt, von einer Partei, die nie genug kriegen kann. Das ist auch keine schöne Aussicht.

SPD signalisiert Zustimmung zum Ausstiegsplan

"Die Grünen sind bereit zum Kompromiss, aber das 'grüne Siegel' bekommt man nur, wenn auch der Inhalt stimmt", sagt Parteichef Cem Özdemir trotzig. Aber es ist schwer vorstellbar, dass Merkel den Grünen mit Blick auf ihren Koalitionspartner und die Kritiker in den eigenen Reihen weiter entgegenkommt. Und so spricht einiges dafür, dass die Grünen außen vor sind, wenn Bundestag und Bundesrat in gut einem Monat die schwarz-gelbe Energiewende verabschieden.

Denn es gibt da noch ein Problem: Es ist eine ganz große Koalition, die sich an diesem Montag für ihre Energiewende feiert und die Grünen umstellt. Die SPD dürften Union und FDP mit im Boot haben, zumindest was das Ausstiegsgesetz betrifft. Natürlich haben auch die Genossen einiges zu mäkeln an der schwarz-gelben Energiewende. Kein begleitender Prozess, keine Vision, so die Vorwürfe. Und "bis 2022 raus" ist auch nicht ganz das, was sich die SPD erhofft hatte. Doch man werde "nicht um zwölf oder 18 Monate feilschen", sagt Sigmar Gabriel. Es ist ein ziemlich deutlicher Hinweis darauf, dass seine Partei den schwarz-gelben Ausstiegsplan mittragen wird.

Aus Sicht einiger SPD-Strategen hätte es durchaus Vorteile, mal nicht an der Seite der Grünen zu stehen. Über Monate waren Rote und Grüne gemeinsam auf die Straße gegangen, vor das Kanzleramt gezogen, hatten im Parlament gegen die Regierung gewettert. Nichts hat es den Genossen genutzt. Im Gegenteil. Profitiert haben immer nur die Grünen.

Damit soll jetzt Schluss sein. Man will wieder unterscheidbarer werden, und die Atomfrage bietet sich an. Die Energiewende, so fordern die Sozialdemokraten schon seit einiger Zeit, müsse auch bezahlbar sein, und gewachsene Industriestrukturen dürften mit dem Ausstieg nicht mitgerissen werden. Wir sind nicht so spinnert wie die Grünen - so lautet ihre Botschaft.

"Die Grünen sind auf dem Weg in die Isolation"

Für die positiven Signale gibt es ausnahmsweise auch mal Lob von der Konkurrenz. "Es gibt Sozialdemokraten, die in der Debatte konstruktiv in Erscheinung treten wollen", sagt FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Man sei "aufgeschlossen" für weitere Gespräche.

Überhaupt ist Lindner guter Stimmung an diesem Montag. Er steht am Mittag in der Parteizentrale und blickt zufrieden auf seinen Zettel. Brennelementesteuer? Bleibt. Kaltreserve? Soll kommen. Ein Ausgleich für höhere Strompreise? Ebenfalls. Sämtliche Kernforderungen der Liberalen, so sieht es jedenfalls Lindner, seien umgesetzt. Selbst einen Ausstiegskorridor will der Generalsekretär in dem Beschluss erkennen - von jetzt bis 2022. So einfach kann Politik sein.

Und Lindner hat noch eine andere Botschaft. Sie geht, natürlich, an die Grünen. Diese beharrten auf "Maximalforderungen", obwohl die gesellschaftliche Debatte längst weitergezogen sei, stichelt er. "Die Grünen", sagt Lindner, "sind auf dem Weg in die Isolation."

Er sieht ganz zufrieden aus in diesem Moment.

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