Atomausstieg Sieg des Merkelismus

Kanzlerin Merkel: Grüne ausgebremst
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSAngela Merkel, die einstige Hohepriesterin der Atomkraft, präsentiert sich in einer neuen Rolle. Zu besichtigen ist eine Regierungschefin, die scheinbar mit jeder Faser ihres Körpers nur das eine will: schnell raus aus der Atomkraft, Solardächer auf jedem Haus, Windräder hinter jedem Deich.
Man könnte Angela Merkel jetzt vieles vorwerfen, zum Beispiel, dass sie ihr Fähnchen nach dem Wind hängt. Weil die Mehrheit der Deutschen den Ausstieg will, will sie es plötzlich auch. Basta. Vielleicht ist die Wahrheit aber viel einfacher: Angela Merkel hat erkannt, dass es so nicht weitergehen kann mit der Atomkraft in Deutschland. Deshalb hat sie umgesteuert. Deshalb ist sie nun die Sonnenkönigin. Zufällig passte das zum Willen des Volks. Wie schön.
So oder so ist die Entscheidung für den Ausstieg ein Sieg für Merkels Regierungsstil, den Merkelismus. Der Merkelismus folgt zwei Prinzipien: Wenn es das Volk so will, ist es vernünftig. Und: Was dem Volk nutzt, nutzt auch der Kanzlerin.
Im Merkelismus wird Politik meistens in langen Linien gedacht - nämlich bis zur nächsten Bundestagswahl. Nach der Katastrophe in Fukushima stand die Kanzlerin vor zwei Möglichkeiten: Entweder sie beschließt den schnellen Ausstieg und legt sich mit den Atomfreunden in ihrer Partei an. Oder: Sie hält stur an der Verlängerung der Kernkraft fest - und legt sich mit der Mehrheit in ihrem Land an.
Sie hat sich für das kleinere Übel entschieden. Auch wenn das vielleicht ihre Partei nervt, ist es aus ihrer Sicht richtig. Wenn sie Kanzlerin bleiben will, ist das der einzige Weg. Alles andere hätte ihr einen Dauer-Atomstreit mit der Opposition eingehandelt, den sie nur hätte verlieren können. Mit dem Ausstieg erhält sie sich die große Chance, dass eine Mehrheit der Wähler weiterhin sagt: "Och, die macht das gar nicht so übel."
Auch der Merkelismus kann Fortschritt bringen
Es ist wie bei vielen Ismen, auch der Merkelismus kann Fortschritt bringen: Spätestens nach der Katastrophe in Fukushima ist klar, dass die Atomkraft eine Technologie ist, die nicht beherrschbar ist. Die friedliche Nutzung der Atomkraft war eine schöne Idee, ein Zukunftstraum aus den sechziger und siebziger Jahren, so wie Fußgängerzonen, Betonblumenkübel oder Stadtautobahnen. Sie sollte unser Leben schöner machen. Doch die Träume platzten: Die Blumenkübel verschandelten die Städte und die Atomkraftwerke machten Angst. In der einstigen Sowjetunion, in Japan töteten sie Menschen. Die deutschen Atomkraftwerke seien die sichersten der Welt, hier könne nichts passieren, hieß es immer wieder. Aber wirklich garantieren konnte, wollte das niemand. Erst recht nicht nach Fukushima. Abschalten ist daher der einzige, der konsequente Weg.
Das Land der gelben Tonnen und Bioläden will den anderen Nationen nun vormachen, wie das geht, saubere, politisch-korrekte Energie. Das ist weniger naiv als es sich anhört. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich mit Wind bald auch Wohlstand sichern lässt: Deutsche Techniker waren Weltklasse beim Bau der Kernkraftwerke, sie werden den anderen Ländern auch noch mehr exzellente Windräder, Solarparks und Elektrospeicherzellen verkaufen. Das frühe Ausstiegsdatum verbunden mit staatlichen Subventionen wird für die Erneuerbaren-Branche wie eine weitere Gründerzeit wirken.
Zum Wesen des Merkelismus gehört, dass man sich besser nicht mit dem Kleingedruckten, den Details einer Entscheidung beschäftigt. Denn dann stößt man unweigerlich auf etliche ungelöste Widersprüche und Probleme. Sie werden übertönt, durch die eine famose Grundsatzentscheidung, die Geste, den großen Auftritt.
Gerds Gas macht's möglich
So ist es auch beim Atomausstieg. Es gibt eine Menge Haken, da muss man sich im Öko-Rausch nichts vormachen. Kaum jemand redet davon, aber alle wissen es. Strom wird künftig zunächst einmal noch teurer werden. Die Oligopol-Konzerne werden sich das Geld für ihre Investitionen in neue Technologien wahlweise beim Staat und/oder beim Verbraucher holen. Über diese Rechnung wird bislang kaum geredet, zumindest nicht im Kanzleramt. Bis der Segen des Ökobooms wirkt, kann es noch ein reichlich langes Weilchen dauern.
Dann ist da die Sache mit der Landschaft: Schafft die Regierung den schnellen Netzausbau, die Errichtung vieler zusätzlicher Windparks sowie den Bau von Pumpspeicherwerken, wird Deutschland nicht schöner, sondern hässlicher. Da muss man nicht lange drumherumreden - wie es die Grünen gerne tun. Windkrafträder oder Strommasten vor der eigenen Haustür sind blöd, das ist eben so.
Und der Ausstieg bedeutet vor allem erst einmal eine Fokussierung auf Gas- und Kohlekraftwerke. Die Russen können sich freuen, sie werden Dank Gerhard Schröders neuer Pipeline durch die Ostsee bald noch bessere Geschäfte mit den Deutschen machen. Neue, moderne Gaskraftwerke mit hohen Wirkungsgraden werden unsere wichtigsten Energieträger der nächsten 100 Jahre. Gerds Gas macht's möglich. Hinzu kommen die großen deutschen Steinkohlekraftwerke, die bald mit billiger Importkohle reichlich CO2 erzeugen werden.
Aber wer will sich schon mit dem Kleingedruckten aufhalten?
Auf lange Sicht hat der Anti-Atom-Kurs für die Kanzlerin mehr Vor- als Nachteile. Die Grünen und die SPD verlieren ihr wichtigstes Mobilisierungsthema. Angela Merkel erfüllt Jürgen Trittins Träume. Wer hätte das gedacht?
Natürlich versuchen SPD und Grüne das Haar in der Suppe zu finden, aber es wird immer schwieriger. Für sie wird es künftig noch komplizierter, gegen Merkel zu mobilisieren. Der Merkelismus verwischt die Unterschiede zwischen den Parteien, er demobilisiert, er verhindert Wechselstimmungen.
Schwarz-Grün, Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb, anything goes. Hauptsache Merkel bleibt Kanzlerin - findet Angela Merkel.