Atomenergie Gutachterstreit sorgt für Neuordnung im Strahlenschutz
Berlin Sigmar Gabriel prüft lieber doppelt, bevor er einen Vorwurf auf sich und seinem Bundesumweltministerium sitzen lässt. Vor allem, wenn er einen versteckten Hintergedanken vermutet. Deshalb suchte er sofort den Gegenbeweis, als der Wissenschaftsrat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) kritisierte, das seinem Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zugeordnet ist.
Im Mai hatte der Rat beanstandet, dass das BfS schlechte wissenschaftliche Arbeit leiste - besonders in den Bereichen "Sicherheit in der Kerntechnik" und "Sicherheit nuklearer Entsorgung" entspreche es nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. Der Rat empfahl dem Bundesamt deshalb, sich grundsätzlich neu auszurichten vor allem, seine wissenschaftliche Arbeit zu vertiefen.
Gabriel wittert "hidden agenda"
Gabriel sieht darin eine "völlige Fehlinterpretation". Das BfS sei eine wissenschaftlich-technische Bundesbehörde, der Forschungsbereich nur nachgeordnet. Gabriel stellte im Juli deshalb ein eigenes Beraterteam zusammen: Hans Peter Bull, Verwaltungswissenschaftler und einst Innenmnister in der SPD-geführten Landesregierung in Kiel, der Speyrer Verwaltungswissenschaftler Klaus König und Jörg Kuhbier, langjähriger Umweltsenator und SPD-Vorsitzender Hamburgs, nahmen das BfS unter die Lupe. Heute wurden die Ergebnisse präsentiert.
Die drei Experten bestärken Gabriel in seiner Ansicht, dass hinter dem Gutachten des Wissenschaftsrates eine "hidden agenda" steckt - eine politische Linie, die Gabriels Kurs in der Atompolitik widerspricht. So ist im Vertrag der Großen Koalition vereinbart, dass in dieser Legislaturperiode nicht am Ausstieg aus der Kernenergie gerüttelt werden soll, der noch von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen wurde. Dennoch gibt es von Seiten der Union immer wieder gegenteilige Äußerungen, zuletzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Dresdner Parteitag Ende November.
Forschen gegen den Wählerwillen?
Auch der Wissenschaftsrat habe dem BfS im Mai empfohlen, stärker im Bereich neuer Reaktortypen zu forschen ein völlige falscher Rat meint Gabriel: Denn das BfS finanziere sich durch Mittel des Bundes. Und dieser sei wiederum an den Wählerwillen gebunden. "Und die haben sich für einen Ausstieg entschieden", sagt Gabriel. Zudem dürfe die Struktur des BfS nicht Gegenstand der politischen Debatte sein.
Auch Gabriels Gutachter meinen: "Der Wissenschaftsrat hat mit falscher Elle gemessen." 590 Mitarbeiter kümmern sich im BfS um alles, was mit Strahlen zu tun hat: Castortransporte, Endlager für radioaktive Abfälle, aber auch darum, welches Risiko Mobilfunk- oder UV-Strahlen für Menschen haben. "Da geht es darum, handlungsfähig zu sein, und nicht darum, die Anzahl der Dissertationen zu zählen", sagt Wolfram König, Präsident des BfS.
Doch auch wenn Gabriels Berater mit der Elle der Verwaltung messen das BfS zu modernisieren, schlagen auch sie vor. Im Mittelpunkt steht dabei eine deutlichere Aufgabenverteilung. Beispielswiese beim Verhältnis von Ministerium und BfS auf der einen Seite und der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und der Deutschen Gesellschaft für Bau und Betrieb von Endlagern auf der anderen Seite. Hier soll deutlicher abgegrenzt werden: Welche Aufgaben sind hoheitlich wahrzunehmen? Und welche können durch die privaten Unternehmen erfüllt werden? Denn zurzeit würden manche Themen von zwei, manchmal von drei Einrichtungen gleichzeitig bearbeitet. Das ist wenig effizient.
Gabriel will mehr Geld für das BfS
Die Gutachter schlagen deshalb vor, den Fachbereich "Sicherheit in der Kerntechnik" im BfS aufzulösen und teilweise im Ministerium selbst und auftragsweise von der GRS erfüllen zu lassen. "Wichtig ist jedoch, dass der Bund nicht von den privaten Unternehmen abhängig wird", sagte Gabriel. Das BfS bedürfe deshalb ebenso wie das Ministerium einer Basiskompetenz für alle Fragen der kerntechnischen Sicherheit, damit es die Vorschläge anderer Stellen wie der GRS qualifiziert beurteilen kann.
Zudem soll sich das Bundesumweltministerium stärker auf die ministerielle Arbeit konzentrieren. Vor allem aber will Gabriel mehr Geld für das BfS. "Mit den derzeitigen finanziellen und personellen Ausstattung können wir unsere derzeitigen Aufgaben nicht mehr hinreichend wahrnehmen", sagte Gabriel, betonte im Gegenzug jedoch, dass das BfS sich bei der Aufklärung der Polonium-Kontamination in Hamburg und Schleswig-Holstein bewährt habe.
Das BfS ist eine von 52 Ressortforschungseinrichtungen des Bundes, die der Wissenschaftsrat daraufhin überprüft, wie sie aufgestellt sind und wie sie arbeiten das Gremium wurde dafür 2004 vom Haushaltsausschuss des Bundestags beauftragt. Vorsitzender des Wissenschaftsrates ist Peter Strohschneider, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zum Gutachten von Gabriels Beraterteam konnte er sich heute noch nicht äußern, da er ihm dieser Bericht bisher nicht vorliegt.