Attacke auf Inder in Mügeln "Die haben einfach eine Heidenangst"

Das sächsische Mügeln macht wieder Schlagzeilen: Mitten im Ortskern wurden zwei Inder angegriffen, wie im Sommer 2007. Der Staatsanwalt will ein ausländerfeindliches Motiv nicht ausschließen, doch Bürgermeister Deuse wiegelt ab - wie damals auch.
Von Susanne Kailitz

Mügeln - Bürgermeister Gotthard Deuse weiß noch nicht, was genau diesmal in seiner Stadt passiert ist. Aber er hat eine Ahnung, was passieren könnte. "Da wird ja wieder so vieles aufgebauscht", sagt er. Der Vorgang, die Deuse herabreden will: Am Wochenende wurden erneut zwei Inder in dem nordsächsischen Ort angegriffen, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung. Ein 29 Jahre alter Mann wird verdächtigt, einem der beiden, einem 43-jährigen Pizzeria- Mitarbeiter, in der Nacht zum Samstag mit einem Faustschlag die Nase gebrochen zu haben. Der zweite Inder soll ebenfalls geschlagen, aber nicht verletzt worden sein.

Woran Bürgermeister Deuse sich ungern erinnert: Im Sommer 2007 hatte Mügeln Schlagzeilen gemacht, nachdem eine Gruppe Deutscher während des Stadtfests acht Inder angegriffen und über den Marktplatz gejagt hatte. Deuse beharrte damals wochenlang darauf, in seiner Stadt gebe es keine Probleme mit Rechtsextremismus, sie sei ein Opfer der Medien.

Die attackierten Inder hatten sich in einer Pizzeria in Sicherheit gebracht - in demselben Lokal soll es am Wochenende zu dem Übergriff gekommen sein. Der Besitzer des "Picobello" sagte der "Oschatzer Allgemeinen", zwei Männer hätten an Fenster und Tür seines Ladens geschlagen. Die Polizei hat den 29-jährigen Tatverdächtiger zwischenzeitlich festgenommen, nach der Feststellung der Personalien aber wieder freigelassen. Man ermittle "in alle Richtungen", und auch der Staatsschutz habe sich eingeschaltet. Ein ausländerfeindlicher Hintergrund könnte nicht ausgeschlossen werden. Die Identität des Tatbeteiligten ist noch ungeklärt.

Am Dienstag will in Mügeln kaum jemand etwas zu dem Vorfall vom Wochenende sagen. Das "Picobello" ist verschlossen, die indischen Betreiber öffnen weder die Tür, noch gehen sie ans Telefon. Die letzte Journalistin, mit der sie gesprochen haben, ist Gabi Liebegall von der "Oschatzer Allgemeinen". Sie hat aus dem Gespräch besonders einen Eindruck mitgenommen: "Die haben ganz einfach eine Heidenangst."

Was am Wochenende am Mügelner Marktplatz vorgefallen sei, wisse er nicht, sagt der Wirt des "Räuberkellers". Sein Restaurant liegt nur wenige Meter von der Pizzeria entfernt - aber er habe nichts gehört. Allerdings fragt sich der Mügelner Gastronom, "warum die die Tür öffnen, wenn mitten in der Nacht einer kommt. Da muss man doch erstmal aus dem Fenster schauen - vor allem, wenn man bedenkt, was schon passiert ist."

Dass man in Mügeln nachts ohnehin besser vorsichtig ist, bestätigt Jörg Mertens-Nachtweide. Seit 2005 lebt er mit seiner Familie in der Kleinstadt. Nachdem er sich 2007 gemeinsam mit seiner Frau für Offenheit und Fremdenfreundlichkeit eingesetzt hatte, wurden er und seine Kinder schon angepöbelt und bedroht, berichtet Mertens-Nachtweide.

Von mehreren Übergriffen seit Sommer 2007 ist die Rede

Der neueste Zwischenfall schockiert ihn - überrascht ist der Unternehmer indes nicht. "Das ist seit 2007 der dritte Übergriff auf Mitarbeiter der Pizzeria, von dem wir wissen." Der "Picobello"-Inhaber nehme bei seinen Erledigungen inzwischen nur noch das Auto und laufe nicht mehr zu Fuß durch die Stadt, nachdem es erst am Hintereingang der Pizzeria einen gewalttätigen Angriff gegeben habe und dann der Fahrer des Imbisses zusammengeschlagen worden sei.

Für Bürgermeister Deuse sind diese Informationen neu - einen rechtsextremen Hintergrund vermutet er nicht. "Das kann ich nicht bestätigen, das stimmt so eigentlich nicht." Vom Angriff auf den Pizza-Fahrer wisse er, aber "das war ja ein Deutscher, der in der Pizzeria arbeitet. Und auch bei dem Vorfall am Wochenende sind, soweit ich weiß, keine fremdenfeindlichen Äußerungen gefallen." Er wolle, sagt Deuse, am Mittwoch in die Pizzeria gehen, um mit dem Besitzer zu sprechen, weil "ich das, was da passiert ist, verabscheue". Für weitere Konsequenzen sei es jedoch zu früh: "Solange die Ermittlungen laufen, müssen wir erstmal abwarten."

Genau das sei der Fehler, glaubt Jörg Mertens-Nachtweide. Für ihn liegt das Problem nicht primär darin, ob der Übergriff rechtsextremistisch motiviert war oder nicht. "Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass Mügeln kein rechtes Nest ist", sagt er, "ich glaube, dass hier weniger als fünf Prozent braun denken". Aber erwiesenermaßen gebe es "drei Treffpunkte von Jugendlichen, von denen in der letzten Zeit mehr als 50 Einbrüche, Gewalttaten oder Fälle von Zerstörung öffentlichen und privaten Eigentums ausgegangen sind".

Mertens-Nachtweide ist sich sicher: "Da sind bestimmt auch ein paar Rechte dabei - und dass der Bürgermeister durch sein permanentes Schönreden diesen Leuten einen Freifahrtschein erteilt, ist das Problem."

Stadtoberhaupt Deuse beschwichtigt auch diesmal: "Dass es gewalttätige Jugendliche gibt, ist doch nicht nur in Mügeln der Fall. Das gibt es doch in allen Städten."

Mit dpa
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