SPIEGEL-Buch über das Menschsein der Politiker Auf ein Tänzchen mit Katrin Göring-Eckardt

Katrin Göring-Eckardt und Christian Wulff im Gespräch mit Marc Hujer
Foto: Julia ParkerIn der Spitzenpolitik sind menschliche Momente selten. Jedes Wort, jede Geste, jedes Bild wird vorher auf seine, auf ihre Wirkung überprüft. Dass ein Politiker in der Öffentlichkeit aus seiner Rolle fällt, kommt selten vor.
Aus dieser Not heraus entstand das neue Buch des SPIEGEL-Autors Marc Hujer: "Auch nur ein Mensch: Politiker und ihre Leidenschaften – und was sie uns über sie verraten". Hujer arbeitete im Jahr 2017 an einem Porträt der damaligen Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Obwohl er sie über Wochen hinweg begleitete, bekam er Wagenknecht jenseits des politischen Rampenlichts nur schwer zu fassen. "Wenn ich sie nach ihren Auftritten erlebt habe, ist sie praktisch in sich hineingekrochen", erzählt Hujer. "Sie hat eine Wand vor sich aufgebaut."
Auch nur ein Mensch: Politiker und ihre Leidenschaften - und was sie uns über sie verraten - Ein SPIEGEL-Buch
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20.03.2023 20.08 Uhr
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Als Hujer sie darauf ansprach, lud Wagenknecht ihn zu einer Radtour ins Saarland ein. "Das Schöne daran war", so Hujer, "dass Frau Wagenknecht ihr Trainingsprogramm durchgezogen hat. Auf diese Weise habe ich viel mehr über sie gelernt, als ich das in zehn ihrer Auftritte hätte machen können."
Aus dem anfänglichen Vorhaben, ein Porträt über Wagenknecht zu verfassen, entstand so die Idee eines Buches, das die Menschen abseits der Spitzenpolitik einfangen sollte. Auf die Radtour mit Wagenknecht folgte eine Spritztour im Porsche mit FDP-Chef Christian Lindner. Lars Klingbeil nahm ihn mit zum Crossfit, Philipp Amthor auf die Jagd.
Zu den insgesamt elf von Hujer porträtierten Spitzenpolitikern gehören auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Alt-Bundespräsident Christian Wulff. Während Wulff den SPIEGEL-Autor zu einem Kaffeekränzchen nach Hannover einlud, tanzte Hujer mit Karin Göring-Eckardt, die als Tochter eines Tanzlehrers aufwuchs, Walzer. Bei der Veranstaltung "SPIEGEL live" am Sonntag im Deutschen Theater in Berlin sprachen Wulff und Göring-Eckardt gemeinsam mit Hujer über das Menschsein jenseits der politischen Bühne. Ulrich Matthes las zum Einstieg zwei Passagen aus Hujers Buch.
Ex-Bundespräsident Christian Wulff
Göring-Eckardt wünschte sich vor allem zu Beginn ihrer Karriere, das Politische klar aus ihrem Privatleben herauszuhalten. Schnell habe sie jedoch gemerkt, dass dies nicht möglich sei. "Privat ist nicht", erzählte die Grünenchefin. Es sei es ihr extrem wichtig, sich auch als Politikerin selbst treu zu bleiben. Für sie ein Ritt auf der Rasierklinge: "Ich kann mich nicht den ganzen Tag verstellen", so Göring-Eckardt. Gleichzeitig müsse sie trotzdem jederzeit darauf achten, sich mit Bedacht zu äußern und im Zweifelsfall immer für ein gutes Foto bereitstehen.
Dass das politische Rampenlicht auch extreme Schattenseiten mit sich bringt, erlebt Ex-Bundespräsident Wulff regelmäßig – selbst acht Jahre nach seinem Rücktritt. Immer wieder sei sein Privatleben Gegenstand der Berichterstattung sagte der CDU-Politiker im Deutschen Theater. "Inzwischen habe ich gelernt, dass ich keine Kontrolle über Bilder von mir habe", so Wulff. Es gebe allerdings zwei Bereiche, die er nicht anstandslos hinnehme. "Das sind Fotos meiner Kinder und meiner Wohnung."
Trotz des schwierigen Balanceakts zwischen Privatsphäre und politischer Öffentlichkeit, ist auch Wulff überzeugt davon, dass Politiker Authentizität wahren sollten. Schauspielerei werde am Ende immer entlarvt, so Wulff. "Und wenn es der Tweet nach der Talkshow ist: Die Leute kommen am Ende immer rüber, wie sie sind."
Der Tag, an dem Göring-Eckardt beschlossen habe, sich als Politikerin nie wieder zu verstellen, sei der Tag gewesen, an dem sie per Urwahl zur Grünen-Spitzenkandidatin gewählt wurde. Sehr lange habe sie versucht, auf Parteitagen das zu sagen, von dem sie dachte, dass die Leute es hören wollen. "Die Wahl war wie eine Liebeserklärung meiner Partei an mich. Sie wollten mich haben – und zwar so, wie ich bin."
Die Leser erleben Göring-Eckardt in Hujers Buch als Frau, die schon früh merkt, dass Aufmerksamkeit das Leben von Spitzenpolitikern nicht unbedingt einfacher macht. Auch Buchautor Hujer merkt, wie viel Last die Öffentlichkeit Politikern bescheren kann. Vor allem in den sozialen Medien arbeite man sich heute viel an den Personen ab, so Hujer.
Auch aus diesem Grund gibt der Autor in seinem Buch bewusst Einblicke in Momente, die im Scheinwerferlicht der Spitzenpolitik normalerweise verborgen bleiben: "In der heutigen Zeit vergisst man schnell, dass auch hinter Politikern immer noch Menschen stecken."