Dieser Beitrag wurde am 11.11.2018 auf bento.de veröffentlicht.
Meine Jugend
verbrachte ich in einer großen Blase: Ich wuchs auf zwischen zurechtgestutzten bayrischen
Vorstadthecken in einer Doppelhaushälfte, die ich mir mit meinen zwei älteren
Schwestern und Beamteneltern teilte. Ich besuchte das Gymnasium, fuhr auf jede
Klassenfahrt mit – wir hatten nie zu viel Geld, aber auch nie zu wenig, die
klassische Mittelschicht. Meine Probleme waren die nächste Matheklausur oder der
verpasste Schulbus. Die politische Situation unseres Landes? Ging an mir vorbei.
Meine erste
politische Erfahrung – wenn man es denn so nennen kann – hatte ich mit 16.
Ich
sah das erste Mal bewusst ein Wahlplakat im Zuge der Bundestagswahl 2013 – von
der AfD. Wer oder was diese Partei war, das wusste ich nicht. Trotzdem
belächelte ich die Forderung auf dem Plakat, aus dem Euro auszusteigen. 4,7 %
der Wählerinnen und Wähler belächelten das Parteiprogramm damals nicht – dieser
Wert sollte sich vier Jahren später fast verdreifachen.
Foto: dpa
Ich war durch
Zufall dabei, als die ersten Geflüchteten aus Syrien im Herbst 2015 am
Münchener Hauptbahnhof ankamen: Knapp hundert Menschen standen dort, mit
Schildern, Kleidung. "Welcome to Germany", "You are safe now", hörte ich die Menschen rufen. Dass über solche Stimmen immer seltener berichtet werden
würde, sich der Fokus stattdessen auf Rufe aus dem rechten Lager legte, die das Gegenteil propagierten, konnte ich mir damals nicht vorstellen.
Freiwillige Helfer stehen am 05.09.2015 am Hauptbahnhof in München (Bayern) neben dem Schild "Welcome to Munich (Willkommen in München)". Die deutsche Bundespolizei rechnet für Samstag mit der Ankunft von 5000 bis 7000 Flüchtlingen aus Ungarn in Bayern. Foto: Nicolas Armer/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
Foto: dpa
Denn ich hatte damals überhaupt keine Ahnung von Politik.
Bei uns zu Hause war es so: Die Union, das waren "die
Guten". Als ich für mein Studium nach Wien
zog, begann dieses naive Bild zu bröckeln. Meine neuen Freunde diskutierten auf
jeder Studentenparty ohne Unterlass über die immer weiter nach rechts
schlitternde Parteien, eine verschärfte politische Rhetorik – und die AfD. Ich begann das erste Mal, den
politischen Duktus meines Elternhauses zu hinterfragen, und versuchte mir
selbst ein Bild der deutschen Parteien zu machen.
Dieses
politische Coming of Age war eine verspätete Rebellion: Die CDU/CSU war für mich schon im
Wahlkampf vor der Bundestagswahl 2017 keinesfalls wählbar – ich schaffte es
nicht, mit meinen Eltern über Politik zu sprechen, ohne aufgebracht den Raum zu
verlassen. Pragmatismus und eine gewisse Portion Lethargie schien ihre Devise
zu sein: Auch sie waren betroffen von der rechten Hetze und den Bildern
ertrinkender Menschen im Mittelmeer, aber sie sagten auch, man könne schlichtweg
nicht jedem helfen – man müsse jetzt realistisch sein, und unsere Wirtschaft und Sozialkassen nicht zusätzlich belasten.
ARCHIV - ILLUSTRATION - Das Handoutfoto der italienischen Marine zeigt ein am 24.05.2016 kenterndes Flüchtlingsboot vor der libyschen Küste. Die Marine bestätigte fünft Tote auf dem Boot gefunden zu haben, über 550 Flüchtlinge konnten gerettet werden. EPA/ITALIAN NAVY / HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES (zu dpa «Unicef: Schmuggler schossen vor Katastrophe auf Flüchtlinge» vom 04.11.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
Foto: dpa
Solche Lösungen,
die Tausenden Menschen das Leben kosten könnten, kamen für mich damals nicht in Frage. Ich wollte nicht, dass meine Eltern so dachten, aber konnte ihren
Standpunkt in gewisser Weise verstehen – sie hatten jahrelang für ihre Pension gearbeitet, sie
wollten Sicherheit und Stabilität. Die AfD zu wählen war für sie trotzdem niemals eine Option.
Dass viele Menschen das anders sahen, machte sich spätestens bei der
Bundestagswahl 2017 bemerkbar.
Im Alter von 20 Jahren konnte ich selbst das erste Mal
wählen – und musste fassungslos dabei zusehen, wie die AfD über zwölf Prozent
der Wählerstimmen bekam und die CSU rhetorisch immer näher an sie ranrückte.
Während sich der
Rechtspopulismus in Deutschland erst entwickelte, konnte ich in Wien
beobachten, wozu diese Rhetorik führte: Bei der Nationalratswahl 2017
gingen die ÖVP und FPÖ als klare Sieger hervor. Die Koalition – grob vergleichbar mit einer Koalition im Bundestag
aus CSU und AfD – schürt seither die Angst vor Flüchtlingen, Terroristen und
Ausländern. Die FPÖ bekam unter anderem das Innenministerium unter Leitung von
Herbert Kickl: Die Polizei rekrutiert ihren Nachwuchs seither auch auf rechten
Internetforen und hat kritischen Medien laut internen Dokumenten den Kampf
angekündigt.
Ein Wahlplakat der FPÖ zur bevorstehenden Nationalratswahl steht am 01.10.2017 in Salzburg (Österreich). Foto: Barbara Gindl/APA/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
Foto: Barbara Gindl/dpa
Und auch in
Deutschland ging der Kampf um Wählerinnen und Wähler am rechten Rand weiter.
Ein Markus Söder berichtete im Zuge des Wahlkampfs zur bayerischen Landtagswahl
anfangs ganz ohne Scham vom angeblichen "Asyltourismus". Die AfD forderte islamfreie
Schulen, klassische Familien und konsequente Abschiebungen – das machte mich
nicht nur wütend, sondern regelreicht verzweifelt.
Denn ich wollte
eine zukunftsorientierte Umweltpolitik, eine liberale Gesellschaft und
Menschlichkeit – auch für Geflüchtete. Die Zuspitzung der politischen Situation
Deutschlands ließ auch junge Leute in meinem Freundeskreis nicht kalt. Sie reagierten unterschiedlich: Die einen setzten politische Scheuklappen auf, die anderen verzweifelten im
Gespräch mit ihren eigenen Eltern.
Am 13. Januar
2018, knapp einen Monat nach der österreichischen Regierungsangelobung, demonstrierten
mindestens 20.000 Menschenvor dem Regierungsgebäude am Heldenplatz in Wien –
auch ich stand in der Menschenmasse, zum ersten Mal nahm ich an einer
Demonstration teil. Meine Eltern, geboren in der Bundesrepublik der Fünfzigerjahre, sind für
ihre politische Überzeugung noch kein einziges Mal auf die Straße gegangen –
und zwar, weil sie nie das Gefühl hatten, es zu müssen. Ich empfand es hingegen als Pflicht.
Aus Protest gegen die neue rechtskonservative Regierung in Österreich gehen am 13.01.2018 in Wien (Österreich) mehrere tausend Menschen auf die Straße. Die Organisatoren werfen der Regierung aus der konservativen ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz und der rechten FPÖ rassistische, rechtsextreme und neofaschistische Tendenzen vor. Foto: Hans Punz/APA/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
Foto: Hans Punz/dpa
Die AfD sitzt
jetzt in allen 16 deutschen Landtagen. Als ich begann, ein politisches
Bewusstsein zu entwickeln, war sie in keinem einzigen vertreten.
Die einzige
Kanzlerin, die ich jemals kannte, wird nicht mehr zur Wahl antreten. In den
vergangenen drei Jahren ist die politische Situationrauer geworden, nach rechts gerückt.Das prägte nicht nur mein politisches Denken, sondern das vieler junger Menschen.
Wären Rechtspopulisten wie die AfD nicht so erfolgreich,
läge mir Politik heute vielleicht nicht so sehr am Herzen.
In Zeiten der AfD politisch zu werden ist zweischneidig.
Ihr Aufstieg spaltet die Gesellschaft, schürt den
Generationenkonflikt, auch zwischen mir und meinen Eltern.
Aber sie gibt mir
auch die Chance, in dieser einmaligen politischen Situation aktiv meine Meinung
zu vertreten – und mich gegen den Rechtsruck zu wehren. Ich merke, was dieser
Ruck mit Österreich gemacht hat; das möchte ich auf
keinen Fall in Deutschland erleben.
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Foto: dpa/Britta Pedersen
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Freiwillige Helfer stehen am 05.09.2015 am Hauptbahnhof in München (Bayern) neben dem Schild "Welcome to Munich (Willkommen in München)". Die deutsche Bundespolizei rechnet für Samstag mit der Ankunft von 5000 bis 7000 Flüchtlingen aus Ungarn in Bayern. Foto: Nicolas Armer/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
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ARCHIV - ILLUSTRATION - Das Handoutfoto der italienischen Marine zeigt ein am 24.05.2016 kenterndes Flüchtlingsboot vor der libyschen Küste. Die Marine bestätigte fünft Tote auf dem Boot gefunden zu haben, über 550 Flüchtlinge konnten gerettet werden. EPA/ITALIAN NAVY / HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES (zu dpa «Unicef: Schmuggler schossen vor Katastrophe auf Flüchtlinge» vom 04.11.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
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Ein Wahlplakat der FPÖ zur bevorstehenden Nationalratswahl steht am 01.10.2017 in Salzburg (Österreich). Foto: Barbara Gindl/APA/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
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Aus Protest gegen die neue rechtskonservative Regierung in Österreich gehen am 13.01.2018 in Wien (Österreich) mehrere tausend Menschen auf die Straße. Die Organisatoren werfen der Regierung aus der konservativen ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz und der rechten FPÖ rassistische, rechtsextreme und neofaschistische Tendenzen vor. Foto: Hans Punz/APA/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
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