Aussage von Verena Becker im Wortlaut "Ich habe nie selbst ein Motorrad gefahren"
"Bevor ich mit meiner Einlassung beginne, möchte ich Ihnen, Herr Buback, sagen, dass diese Erklärung nicht Ihnen persönlich gilt, sondern dem Gericht. In allen Artikeln und Beiträgen, die ich von Ihnen gelesen habe, wollen Sie wissen, wer Ihren Vater getötet hat. Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, denn ich war nicht dabei. Aber ich beantworte Ihnen heute, wo ich am 7. April 1977 war. Im Übrigen sind meine früheren Überlegungen und Selbstbefragungen im Zusammenhang mit Ihnen durch die Anklageerhebung gegen mich überholt worden, und in diesem Prozess muss ich mich verteidigen.
Ich habe mich von Anfang an dem Strafverfahren gestellt in der Absicht, mich juristisch zu verteidigen, und dazu gehört auch meine heutige Erklärung.
Ohne falsche Behauptungen wäre die Anklageerhebung nicht möglich gewesen. Im Verlaufe dieses langen Prozesses sind entlang der Anklage erneut falsche Beschuldigungen gegen mich erhoben werden, die ich so nicht stehen lassen werde.
Ich habe mich nie versteckt oder in Schweigen geflüchtet, ich habe mich schon seit dem Bekanntwerden der neuerlichen Ermittlungen - offenbar anders als für viele Dritte nachvollziehbar - mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Schon seit Mitte der achtziger Jahre bin ich meinen eigenen Weg gegangen, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Die Anklage macht mir sehr konkrete Vorwürfe, ich antworte darauf ebenso konkret und konzentriere mich auf diejenigen Umstände aus der damaligen Zeit, die aus Sicht der zugelassenen Anklageschrift relevant sind.
Zu meiner Biografie verweise ich auf Angaben, die ich im Rahmen des Begnadigungsverfahrens gemacht habe. Die Erklärungen, die ich in diesem Zusammenhang abgegeben habe, treffen ebenso zu wie die Erklärungen derjenigen, die mich damals unterstützt haben. Die darüber hinaus verlesenen Urkunden über mich geben im Wesentlichen meinen weiteren äußeren Lebenslauf korrekt wieder.
1975 wurde ich bekanntlich nach Verlassen des Gefängnisses in Berlin nach Aden ausgeflogen. Es war danach lange Zeit ungewiss, wann ich nach Europa würde zurückkehren können.
1976 habe ich mich bis in den Juli, vielleicht August im Camp der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) in der Demokratischen Volksrepublik Jemen aufgehalten. Ich war damals 23 bzw. 24 Jahre alt. Dort wurden unter den anwesenden Gruppenmitgliedern ergebnisoffen Möglichkeiten für militante Aktionen in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert. Definitive Entscheidungen sind nicht gefällt worden, erst recht hat niemand konkrete Anschlagsaufgaben übernommen.
Ich selbst habe im Spätsommer 1976 den Nahen Osten verlassen, um nach Europa zurückzukehren.
Vor dieser Rückreise bin ich nach meiner Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland am 3. März 1975 nicht mehr in Deutschland gewesen. Die Aussage von Said Osman Karim ist falsch, er habe mich im Frühjahr 1976 in oder in der Nähe der Wohnung von Sabine Schmitz in Karlsruhe gesehen. Zum einen war ich damals illegal, und zum anderen befand ich mich im Nahen Osten. Darüber hinaus entsprach es nicht unserer damaligen Lebensrealität, uns mit legalen Personen in deren Wohnung zu treffen. Im Übrigen bin ich bis zu meiner Festnahme im Mai 1977 nie in Karlsruhe gewesen.
Nach unserer Rückkehr aus dem Nahen Osten gab es zwei größere Gruppentreffen, bei denen ich dabei war. Das eine fand Ende des Jahres 1976 vor der Verhaftung von S. Haag und R. Mayer im Harz statt. Dort wurde auch über einen Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback gesprochen. Es wurden einige Alternativen diskutiert. Bei dem Treffen sind allerdings konkrete örtliche bzw. zeitliche Einzelheiten nicht abgeklärt gewesen und deshalb ist keine abschließende Entscheidung gefallen. Entgegen der Aussage von Peter-Jürgen Boock in der Vernehmung durch Bundesanwalt Hemberger im November 2009 habe ich mich bei der grundsätzlichen Entscheidung, verschiedene Aktionen anzugehen, in keiner Weise hervorgetan und brauchte dies auch nicht. Richtig ist allein, dass alle, die wir damals in der RAF organisiert waren, von einem starken Bedürfnis geleitet wurden, die Gefangenen in Stuttgart-Stammheim zu befreien. Auch wenn damals noch nichts Näheres feststand, wurde eine Aktion gegen GBA Buback von uns allen im Grundsatz für richtig befunden. Während ich damals - wie wir alle - solche Schritte billigte, hat mich mein Weg - wie in der Folgezeit ja offenkundig wurde - später davon weggeführt.
Meine Aufgabe in der Gruppe bestand damals hauptsächlich darin, unsere Verbindung in den Nahen Osten zu organisieren und den Kontakt zu der Gruppe 'Bewegung 2. Juni' zu halten.
Zu den Papieren, die nach der Verhaftung von Siegfried Haag und Roland Mayer bei ihnen gefunden wurden, möchte ich sagen, dass die mir dort unter dem zutreffenden Tarnnamen 'Paula' verschlüsselt zugeschriebenen Tätigkeiten nichts mit einem Anschlag auf den Generalbundesanwalt zu tun hatten und dies auch gar nicht konnten. Denn an einer konkreten Anschlagsvorbereitung war ich nie beteiligt. Das in den Papieren anscheinend angesprochene Aufsuchen und Umstrukturieren von Depots war Bestandteil unseres Alltages unter den Bedingungen der Illegalität. Allerdings habe ich mich beispielsweise nicht - wie aus den Papieren herausgelesen wurde - in Stuttgart oder dortigen Vororten aufgehalten, denn dort war ich bis zu meiner Verhaftung im Mai 1977 nie gewesen. Es ist deshalb klar, dass einzelne, in den Papieren als wahrscheinlich geplant verzeichnete Aktivitäten gar nicht zur Ausführung gelangt sind. Das stimmt auch nur mit unseren damaligen Lebensbedingungen überein, immer wieder kam es auch in unserem Alltag vor, dass kurzfristig Änderungen vorgenommen werden mussten.
Für einen Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback standen jedenfalls Ende 1976 nach meiner damaligen Kenntnis die Teilnehmer eines solchen Kommandos immer noch nicht fest. Ich selbst war nicht als Mitglied einer solchen Aktion vorgesehen oder sonst an irgendwelchen konkreten Vorbereitungen beteiligt.
Bei einem zweiten Treffen der Gruppe Anfang des Jahres 1977 in Holland war ich nur anfangs dabei. Während meiner Anwesenheit ging es in der Diskussion um unsere Verbindung in den Nahen Osten. Ich musste dieses Treffen damals vorzeitig verlassen, weil ich Verabredungen hatte, die sich nicht verschieben ließen.
So ergab sich für mich im März 1977 eine erneute Reise in den Nahen Osten. Anfangs waren wir dort zu dritt aus unserer Gruppe. Meine beiden Begleiter reisten nach circa zwei Wochen, jedenfalls vor mir, wieder ab. Ich selbst trat meine Rückreise nach Europa am 8. April 1977 an. Bei dieser Reise benutzte ich neben einem anderen Pass zur Belegung der Reiselegende den zypriotischen Pass ausgestellt auf den Namen 'Stella Ratson'.
Reisen von Europa in den Nahen Osten und umgekehrt waren stets nur einem sehr hohen Risiko für uns verbunden. Von daher wurden solche Reisen sorgfältig geplant und durchgeführt. Ein wichtiger Punkt war es zu verschleiern, aus welchem Land die Rückreise angetreten wurde. Dafür hatten wir selbst hergestellte Stempel aus der Region des Nahen Ostens zur Verfügung, und es wurden keine Direktflüge durchgeführt. So habe ich für meine Rückreise nach Europa am 8. April 1977 die Route via Transit über ein osteuropäisches Land - ich meine, es sei Jugoslawien gewesen - gewählt, um von dort wie geplant nach Rom weiterzureisen. Selbstverständlich mussten dafür die Passdaten mit den Daten der tatsächlichen Reise übereinstimmen. Deshalb wurden Reisedaten im Pass erst mit Festlegung der konkreten Flugroute und des genauen Zeitpunktes des Fluges von uns eingefügt.
Dass ein Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback am 7. April stattfinden sollte und stattgefunden hat, wusste ich zum Zeitpunkt der Reise nicht. Sonst hätte ich einen späteren Zeitpunkt für meine Rückreise gewählt, um nicht das erhöhte Risiko einzugehen, in eine großangelegte Fahndung zu geraten.
In Rom angekommen habe ich mich dort noch aufgehalten, um - wie zuvor im Nahen Osten vereinbart - ein Treffen durchzuführen. Ich erfuhr dort noch vor dem Treffen aus den Medien von dem Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback.
Die Aussage der Zeugin Beate Kevitz, die sie noch als Beate Karim am 10. Juni 1977 gemacht hat, sie hätte mich einen Tag vor dem Attentat in Karlsruhe - dazu noch an dem späteren Tatort - gesehen, ist falsch, worauf auch immer dies beruht. Mich hat sie an diesem Tag nicht in Karlsruhe sehen können, da ich - wie ausgeführt - nicht in Europa war.
An dem Banküberfall in Köln am 12. April 1977, der hier in der Hauptverhandlung mit berücksichtigt wurde, bin ich nicht beteiligt gewesen. Solche Aktionen bedurften der Vorbereitung vor Ort. Wegen des geschilderten Zeitpunktes meines Aufenthaltes in Rom kam ich schon aus zeitlichen Gründen für diese Aktion nicht in Frage.
In der Einstellungsverfügung des Ermittlungsverfahrens gegen mich und Günter Sonnenberg im Oktober 1979 wurden Zeugen benannt, die mich im Februar 1979 'mit sehr großer Wahrscheinlichkeit' bis 'absolut sicher' als 'Thekenspringer' wiedererkannt haben wollen. Die Gegenüberstellung war eine Inszenierung mit einer klaren Vorgabe auf meine Person. Direkt nach dem Banküberfall haben diese Zeugen noch gesagt, der Thekenspringer sei ein Mann gewesen. Dieses ganze Ermittlungsverfahren macht deutlich, wie leicht Zeugen irren oder manipuliert werden können und damit objektiv die Möglichkeit einer späteren Verurteilung bahnen, und nur deswegen bin ich hier darauf eingegangen.
Die Problematik einer Wiedererkennung zeigte sich auch deutlich im Zusammenhang meiner Verhaftung im Mai 1977. Dort wurde ich als Juliane Plambeck 'erkannt' und Günter Sonnenberg als Knut Folkerts. Ich wurde über Stunden immer mal wieder auch von BKA-Beamten direkt angesehen, und dabei haben sie mein Gesicht mit den bekannten Fahndungsfotos verglichen. Bis zu der Abnahme der Fingerabdrücke, die in der Krankenabteilung in Stuttgart-Stammheim erfolgte, wurde ich mit 'Juliane' angesprochen. Erst am Nachmittag, als sie das Ergebnis hatten, kam erneut ein BKA-Beamter kurz an die Zellentür und sagte: 'Hallo, Verena'. So viel zu der hier offenkundig gewordenen Problematik beim Wiedererkennen einer Person.
Nach meiner Rückkehr aus Rom bin ich in Deutschland mit anderen Gruppenmitgliedern zusammengetroffen. Bei ihnen lag die bereits fertig gestellte 'Kommandoerklärung Ulrike Meinhof' vor. Seit dem Anschlag waren bereits einige Tage vergangen, und die Versendung stand an. Dass ich dann daran mitgewirkt und beispielsweise Briefumschläge verschlossen habe, war vorher nicht geplant.
Zu der HK 43 und den anderen Waffen, die nach meiner und Günter Sonnebergs Verhaftung am 3. Mai 1977 in einem Rucksack bei uns gefunden wurden, stelle ich fest: Mein einziger Bezug zu diesen Waffen bestand darin, dass wir sie ins nahegelegene Ausland in ein Depot bringen wollten. Mit der HK 43 habe ich im Übrigen nie geschossen.
Kommentare zu den Aussagevariationen des Zeugen Peter-Jürgen Boock überlasse ich meinen Verteidigern.
Nur zu zwei weiteren von ihm aufgestellten Behauptungen möchte ich hier etwas sagen. Erstens - zu der 'Geschichte', Siegfried Haag und ich hätten ihn bei seiner Ankunft in Aden empfangen, wo wir auf dem Vordach des Flughafengebäudes gestanden hätten. Das ist falsch, er hat es erfunden. Dieses Verhalten wäre für uns als Europäer an einem Ort, wo wir von anderen Europäern hätten gesehen und erkannt werden können, extrem unvorsichtig gewesen, zumal bekannt war, dass wir nach Aden ausgeflogen worden waren. Wegen dieses Ausnahmecharakters und weil ein solcher Vorgang völlig deplatziert gewesen wäre, würde ich mich an solch eine Begegnung erinnern. Ich sage das hier nur, damit Sie nicht etwa schlussfolgern: Na, wenn es Monika Haas nicht war, wie sie es hier bekundet hat, dann muss es ja Verona Becker gewesen sein. Nein. Sie können davon ausgehen, dass Peter-Jürgen Boock gelogen hat, was auch immer ihn dazu verleitet haben mag.
Zweitens - er, Boock, gehe davon aus, ich hätte damals Motorrad fahren können, zumal auch schwere Maschinen. Das ist falsch. Richtig ist, dass bis zu meiner Inhaftierung 1972 in Berlin die Gelegenheit fehlte, in einer Fahrschule Fahrstunden zu nehmen, um diese Fähigkeit zu erwerben, insbesondere habe ich mich auch von niemand anderem darin unterweisen lassen. Nach dem Austausch gegen Peter Lorenz im Jahr 1975 hatte ich zu keinem Zeitpunkt mehr die Möglichkeit, Motorrad fahren zu lernen. Um es klar zusagen: Ich habe nie selbst ein Motorrad gefahren.
Zum Abschluss möchte ich sagen, dass ich zu dem stehe, was ich im August 2009 im Rahmen der Vorführung vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes gesagt habe. Das Protokoll dieser Vernehmung ist bereits am ersten Tag dieser Hauptverhandlung verlesen worden. Es sind Spekulationen über die bei mir zu Hause beschlagnahmten Aufzeichnungen angestellt worden. Angeblich soll sich daraus eine Verwicklung meiner Person in den Anschlag vom 7. April 1977 ergeben können. Was ich nach außen zu verantworten habe, ist Gegenstand meiner vorstehenden Erklärung. Wie ich ansonsten mit meiner Vergangenheit umgehe und umgegangen bin, folgt Gedanken, die sich Außenstehenden nicht unbedingt erschließen müssen. Die daraus abgeleiteten Spekulationen sind jedenfalls falsch.
Damit ist das, was ich selbst hier sagen will, gesagt."