Außenminister in der Krise Rösler gibt Westerwelle eine letzte Chance

Guido Westerwelle darf bleiben. Obwohl verärgert über dessen Libyen-Politik, will FDP-Chef Philipp Rösler den Außenminister nicht aus dem Kabinett jagen. Doch das Vertrauen ist dahin - und wohl nur die Euro-Krise rettet dem ungeliebten Chefdiplomaten den Job. Vorerst.
Guido Westerwelle: Druck von FDP-Chef Rösler

Guido Westerwelle: Druck von FDP-Chef Rösler

Foto: Markus Schreiber/ AP

Berlin - Den entscheidenden Satz hat Guido Westerwelle ganz tief vergraben. In der "Welt am Sonntag" hat der Außenminister sein "Grundsatzprogramm" veröffentlicht, auf einer ganzen Seite. In der vierten Spalte, nach fast 12.000 Buchstaben über eine globalisierte Welt im Umbruch und die Lehren, die Deutschland daraus zu ziehen habe, steht da: "Wir sind froh, dass es den Libyern auch mithilfe des internationalen Militäreinsatzes gelungen ist, das Gaddafi-Regime zu stürzen. Wir haben Respekt für das, was unsere Partner zur Erfüllung von Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates geleistet haben."

Die versteckten Worte zeugen zwar nicht unbedingt von Einsicht. Aber sie retten Westerwelle den Job. Vorerst.

Denn die FDP-Spitze gibt sich mit der verbalen Kehrtwende bei der Bewertung der deutschen und internationalen Libyen-Politik zufrieden. Das öffentliche Lob für den Einsatz der Nato komme "spät, aber nicht zu spät", hieß es am Sonntag in führenden Parteikreisen. Zugleich wurden Spekulationen zurückgewiesen, die Ablösung des Außenministers stehe kurz bevor. Man legt sich fest: Westerwelle darf bleiben.

Fragt sich nur, wie lange dieses Bekenntnis hält. Denn im Umfeld von FDP-Chef Philipp Rösler hieß es auch, man erwarte von Westerwelle künftig eine konstruktive, an der Politik der gesamten Bundesregierung ausgerichtete Amtsführung. Im Klartext: Rösler und seine Gefolgsleute geben dem umstrittenen Chefdiplomaten eine letzte Chance - eine allerletzte Chance. Westerwelle steht unter Beobachtung, einen weiteren Fehler darf er sich nicht leisten.

Rösler stellt Westerwelle öffentlich bloß

Die FDP-Führung hatte in den vergangenen Tagen zunehmend verzweifelt beobachtet, wie sich Westerwelle in peinlichen Rechtfertigungen seiner Libyen-Politik verlor und nicht ein Wort des Dankes an die Nato-Verbündeten für deren militärische Unterstützung der libyschen Rebellen über die Lippen bekam. Stattdessen lobte er die angebliche Wirkung deutscher Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime. "Jeder weiß, dass das Unfug ist", wetterte der frühere Außenminister Joschka Fischer im SPIEGEL. "Würdelos" nannte SPD-Chef Sigmar Gabriel Westerwelles Auftritte.

Auch aus den eigenen Reihen gab es pikante Kritik. Noch vor Westerwelles Aufsatz vom Sonntag meldete sich dessen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu Wort. "Wir haben allen Grund, unseren Partnern in der Nato zu dem Erfolg in Libyen zu gratulieren", schrieb Hoyer, der als möglicher Nachfolger Westerwelles gehandelt wird. Die Altliberalen Gerhart Baum und Hans-Artur Bauckhage legten dem Außenminister in der vergangenen Woche den Rücktritt nahe. Auch beim Koalitionspartner gab es Kopfschütteln.

Fotostrecke

Guido Westerwelle: Stationen seiner Karriere

Foto: dapd

Doch Westerwelle blieb uneinsichtig - selbst als Parteichef und Vizekanzler Rösler am vergangenen Mittwoch beim gemeinsamen Frühstück der FDP-Minister vor der Kabinettssitzung seinen Vorgänger nach SPIEGEL-Informationen darauf hinwies, dass eine Rechtfertigung der deutschen Enthaltung zum Libyen-Einsatz im Sicherheitsrat fehl am Platze sei. Rösler und sein Generalsekretär Christian Lindner zogen die Notbremse: In Interviews dankten sie - sogar noch vor Kanzlerin Angela Merkel, die am Wochenende in der "Bild am Sonntag" nachzog - der Nato ausdrücklich für ihren Einsatz.

Der eigene Minister war damit öffentlich bloß gestellt. Selbst in FDP-Kreisen räumt man ein, dass es ein bemerkenswerter Vorgang sei, wie sich Rösler an die Stelle des Außenministers gesetzt habe und auch als Vizekanzler für die Bundesregierung gesprochen habe. Nach SPIEGEL-Informationen sagte der FDP-Chef gegenüber Vertrauten, seine distanzierenden Interviewäußerungen seien ein erster Schritt, um Westerwelle loszuwerden.

"Personalspekulationen liegen hinter uns"

Ein erster Schritt - Westerwelle ist ein Minister auf Bewährung. Dass sich Rösler entschlossen hat, ihn vorerst im Amt zu belassen, ist weniger dem Vertrauen in dessen Qualitäten geschuldet, als vielmehr der besonderen innenpolitischen Situation. Rösler wolle von FDP-Seite keine Unruhe in die Koalition bringen, hieß es am Sonntag aus FDP-Kreisen. Schließlich gibt es davon schon genug. Vor Merkel und ihrer Regierung liegen die Euro-Schicksalswochen, die eigene Mehrheit bei der Abstimmung über den erweiterten Rettungsschirm Ende September wackelt. Zusätzliche Verwerfungen im Kabinett kann sie nicht gebrauchen.

Die Frage ist, ob die Rücksicht angebracht ist. In der FDP glauben viele längst nicht mehr daran, dass Westerwelle noch ins Amt findet. Schon vor dem Libyen-Ärger trauerte mancher den Tagen des Rostocker Parteitages vom Mai hinterher, in denen Rösler zwar den Parteivorsitz vom längjährigen Chef und das Amt des Vizekanzlers übernahm, nicht aber den kompletten Neuanfang wagte. "Man hätte im Frühjahr die Ära Westerwelle in der FDP auch personell konsequent beenden müssen, dazu waren leider die Jungen in meiner Partei nicht bereit", klagte Ex-Innenminister Baum jüngst.

Nun bietet sich erneut die Gelegenheit: Der Unmut über Westerwelle ist groß, in einer Partei, die um das politische Überleben kämpft, die aus dem Umfragekeller nicht herauskommt, der in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zwei herbe Wahlschlappen drohen, in so einer Partei wirkt er wie überflüssiger Ballast. Selbst früher stets wohlgesonnene Medien haben sich abgewandt: Aufmerksam registrierte man in der FDP, wie die "FAZ" jüngst genüsslich einen namenlosen US-Diplomaten zitierte, der Westerwelle "politisch irrelevant" nannte. Da fragt sich mancher Liberaler: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Doch Rösler will offensichtlich wieder keinen Schlussstrich ziehen. "Es war meine wohl überlegte Entscheidung, uns mit diesem Team in der Bundesregierung zu bewähren, das gilt auch für den Bundesaußenminister", sagte Rösler nun der "Rheinischen Post". Und Generalsekretär Lindner erklärte in der ARD: "Die Personalspekulationen liegen hinter uns."

Ob das Kalkül aufgeht, ist allerdings ungewiss. Am Dienstag trifft sich die FDP-Bundestagsfraktion zur Klausurtagung auf Schloss Bensberg bei Köln. Dort könnte das Unbehagen über Westerwelle erneut hochkochen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten