Austritt bei den Grünen Realo-Vorkämpferin Hermenau verlässt die Partei

Ex-Grüne Hermenau (Archivbild): "Fühle mich politisch heimatlos"
Foto: Matthias Hiekel/ DPABerlin/Dresden - Der Abgang passt zu Antje Hermenau. Wenn ihr Verhalten mitunter Leute vor den Kopf stieß, auch in der eigenen Partei, war das Hermenau egal. Klare Ansagen machen einem nicht nur Freunde, das wusste sie - aber manchmal muss es dennoch sein. Ihre jüngste Ansage wird viele bei den Grünen noch mal so richtig ärgern: Sie verlässt die Partei.
"Meine politischen Überzeugungen waren bei 90/G offenkundig nicht mehr mehrheitsfähig", so begründet Hermenau in ihrem offiziellen Austrittsschreiben den Schritt. Der "Zeit" sagte sie: "Mein Versuch, mich an die Grünen anzupassen, ist gescheitert."
Hermenau, 50, galt von 1994 bis 2004 im Bundestag als eine der besten Rednerinnen des Parlaments, inhaltlich machte sie sich als Haushaltspolitikerin einen Namen. Die diplomierte Sprachlehrerin, die später noch einen Abschluss in Verwaltungswissenschaft erwarb, gehörte rasch zu den Wortführern des Realo-Flügels ihrer Partei und galt als Schwarz-Grün-Vorkämpferin. 2004 führte sie die sächsischen Grünen als Spitzenkandidatin wieder in den Landtag und führte die Fraktion bis zum Herbst 2014 an.
Bei der Landtagswahl im vergangenen August trat die gebürtige Leipzigerin wieder als Spitzenkandidatin an - doch unumstritten war sie da schon nicht mehr. Ihre klare Präferenz für eine Koalition mit der CDU stieß bei vielen sächsischen Grünen auf Kritik. Wegen des relativ schwachen Ergebnisses von 5,7 Prozent war rasch klar, dass Hermenau ein schwarz-grünes Bündnis in der eigenen Partei nicht würde umsetzen können. Nach der Entscheidung gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der CDU reagierte sie gewohnt konsequent - und legte ihr Landtagsmandat nieder.
Nun geht Hermenau noch einen Schritt weiter - und verlässt die Partei komplett. "Ich bedaure den Schritt sehr", sagt Parteichef Cem Özdemir, auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner äußert sich betrübt über die Nachricht. Beide betonen Hermenaus Verdienste.
Nicht alle sind erstaunt über den Austritt
Wenn man sich am Mittwoch in der Partei umhört, geben sich die einen sehr überrascht und verwundert über Hermenaus Austritt. Sie soll noch jüngst beim Treffen der Länder-Fraktionschefs sehr freundlich verabschiedet worden sein und habe nichts Derartiges erkennen lassen, heißt es. Bei anderen Grünen ist allerdings herauszuhören, dass Hermenaus Schritt nicht völlig unerwartet kommt.
Ihre Entfremdung von der Partei ist im Nachhinein tatsächlich erkennbar: Zuletzt hatte Hermenau mit empathischen Äußerungen zu den Pegida-Demonstrationen heftige Kritik bei den Grünen hervorgerufen - die Partei hat sich bisher so klar wie niemand von der etablierten Konkurrenz von den Islamgegnern distanziert.
Aber auch die Kritik an ihrer Ex-Partei, die Hermenau in der "Zeit" in deutlichen Worten formuliert, ist so nicht neu: Vor dem Bundesparteitag im November in Hamburg gab sie der "Badischen Zeitung" ein Interview, das in Teilen einer Abrechnung mit den Grünen glich. Allerdings nahm von dem Gespräch damals kaum jemand Notiz.
Hermenaus zentrale Vorwürfe an die Grünen: Diese müssten ihre Angst vor Koalitionen mit der Union ablegen, sich mit den wirklichen Problemen der Bürger beschäftigen und ideologische Auseinandersetzungen endgültig sein lassen. Das zielt vor allem gegen den linken Parteiflügel, mit dessen Vertretern Hermenau immer wieder aneinandergeraten ist.
Gibt es für knallharte Realos keinen Raum mehr bei den Grünen?
Dort wird Hermenau deshalb niemand eine Träne nachweinen, aber diese letzte Breitseite schon für Unwillen sorgen. Zumal Hermenau damit den Eindruck erweckt, als gebe es für knallharte Realos wie sie keinen Raum mehr bei den Grünen. Und das wäre am Ende auch für ihren eigenen Parteiflügel keine gute Nachricht.
Prompt bemüht sich Parteichef und Realo-Kopf Özdemir, die Sache geradezurücken. "Ihre Gründe kann ich nicht nachvollziehen", sagt er. "Heute sind wir viel weiter als Partei als Antje Hermenau offensichtlich glaubt."
Allerdings könnte ihr Austritt auch noch andere, persönliche Gründe haben. Hermenau wird künftig als Beraterin und Coach arbeiten, dabei könnte eine Parteimitgliedschaft stören. Oder will sie vielleicht in eine andere Partei, vielleicht in die CDU? Das erwäge sie nicht, sagt Hermenau, sie fühle sich "politisch heimatlos".
Mindestens einen Grünen gibt es, den die Nachricht von Hermenaus Austritt an diesem Mittwoch wirklich trifft: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, wie Hermenau ausgewiesener Realo und in der Vergangenheit mindestens so häufig mit der Parteilinken über Kreuz. "Das macht mich wirklich traurig", sagt er. Und fügt hinzu: "Ich würde mir wünschen, dass unsere Partei solchen eigenwilligen Köpfen mehr Raum gibt."