Wahlkampf in Baden-Württemberg Klimaaktivisten gefährden Grünen-Wahlsieg
Im schwäbischen Dotternhausen gibt es einen Ort, an dem Moritz Rothacher vieles von dem festmacht, was schiefläuft in der Umwelt- und Klimapolitik. Die örtliche Zementfabrik verbrennt Müll und darf bei den Luftschadstoffen seit Jahren Grenzwerte überschreiten. Eine Gesetzeslücke macht es möglich. Die Anwohner klagen – vergeblich.
Moritz Rothacher, Klimaliste Baden-Württemberg:
»Es ist natürlich auch ein bisschen frustrierend, wenn man dann sieht, dass eigentlich Leute, die zu Recht um ihre Gesundheit besorgt sind, dass sie von der Politik einfach so ein bisschen im Stich gelassen werden. Und da entwickelt man natürlich dann auch selbst einen Ansporn dazu, das besser zu machen.«
Der 18-Jährige hat sein Abi an einer Hochbegabtenschule gemacht und engagiert sich schon seit längerem politisch, unter anderem bei Fridays for Future. Nun ist er Landtagskandidat für die neugegründete Kimaliste Baden-Württemberg im Wahlkreis Balingen, wo auch das Zementwerk steht. Hauptanliegen: die Pariser Klimaziele erreichen.
O-Töne:
»Genau, der Plan steht da drin. Also wir haben jetzt in den letzten Monaten an einem Wahlprogramm gearbeitet.«
»Nein, das Herstellen eines Elektroautos ist unheimlich umweltbelastend.«
Im Straßenwahlkampf hat Rothacher keinen leichten Stand. Er selbst und seine Partei sind noch weitgehend unbekannt. Hinzu kommt, dass laut einer Umfrage des Süd-West-Rundfunks nur 15 Prozent der Wähler das Klima gerade als größte Herausforderung für die Politik sehen.
Moritz Rothacher, Klimaliste Baden-Württemberg:
»Die Erderwärmung nimmt schon jahrzehntelang ihren Lauf und sie wird auch noch die nächsten Jahrzehnte lang ihren Lauf nehmen. Und deswegen ist es eben so wichtig, dass wir auch langfristig dieses Thema im Auge behalten und uns jetzt von der Coronapandemie nicht blenden lassen und das Thema vergessen.«
Eine neue Klima-Partei im grün regierten Baden-Württemberg – kann das funktionieren?
O-Töne:
»Ich finde das jetzt nicht so gut, weil es ja schon eine Umweltpartei gibt. Und das würde genügen. Und zu viele Splitterungen finde ich nicht gut. Dann verteilen sich die Stimmen auf verschiedene Parteien.«
»Ich finde es auf jeden Fall eine ganz tolle Sache, dass sich die jungen Leute engagieren. Ich bin selber Lehrerin und ermuntere auch dazu. Ich war auch schon auf Fridyas For Future-Demonstrationen mit meinen Schülern.«
»Ich sehe die jungen Leute sind engagiert. Und so waren die Friday for Future auch engagiert und sie haben eine Bewegung hervorgerufen, die einmalig ist.«.
»Deutschland allein kann das sowieso nicht retten, das Klima. Es geht einfach nicht, weil Deutschland ist so klein. Und wir müssten nur einfach komplett mal auf die ganze Welt gucken.«
Mit ihrem globalen Umwelt-Fokus könnten die Vertreter der Klimaliste vor allem den Grünen gefährlich werden. Die stellen in Baden-Württemberg immerhin den Ministerpräsidenten. Ein Dilemma. In der neuen Partei gab es deshalb Streit darüber, ob man überhaupt gegen die Grünen antreten sollte, nachdem die ihr eigenes Wahlprogramm in Sachen Klima nachgeschärft hatten.
Moritz Rothacher, Klimaliste Baden-Württemberg:
»Viele eben in der Partei, die geblieben sind, oder auch der Flügel, der gesagt hat, wir treten auf jeden Fall an, sind eben auch zum großen Teil alte Grüne, die einfach gesagt haben, das ist inzwischen ein Machtapparat, der sich nicht so leicht umlenken lässt von einem Wahlprogramm. Und wie gesagt, das Risiko, dass wir in den nächsten fünf Jahren, wenn die das Wahlprogramm nicht einhalten, die Klimaziele gerissen haben werden, ist einfach zu hoch, dass wir das jetzt im Vertrauen nicht antreten.
Moritz wohnt noch bei seinen Eltern und die Wahrscheinlichkeit, dass er demnächst als Berufspolitiker nach Stuttgart zieht, ist eher gering. Prognosen sehen die Jungpartei bei ein bis zwei Prozent. Vorerst wird sich Moritz also weiter um die Hühner im Garten kümmern können. Demnächst will er ein Wirtschaftsstudium anfangen. Erfahrungen hat er schon mit seinem eigenen Startup sammeln können. Seine Erfindung: das »HefterHeft«, das für Ordnung im Schulranzen sorgen soll und ihn auch schon ins Fernsehen brachte.
»Seit wie vielen Jahren gibt es Hefter? Seit Jahrzehnten. Es ist noch nie jemand darauf gekommen und du sagst es ja selber: Es ist simpel, aber es ist …«
»… verrückt. Es ist einfach nur, ja, irre.«
Jungunternehmer und Öko-Aktivist. Das ist für Moritz Rothacher kein Widerspruch.
Moritz Rothacher, Klimaliste Baden-Württemberg:
»Ich denke, das hat vielleicht auch einen Teil damit zu tun, dass ich nicht von meiner Firma leben muss. Aber wir haben nicht dieses Denken, dass wir auf Gewinnmaximierung hin arbeiten. Wir haben als Grundsatz, dass wir immer versuchen, unsere Produkte möglichst nachhaltig – möglichst kurze Transportwege, möglichst nachaltige Ressourcen – herzustellen. Und so wie dann letztendlich der Preis ist, so ist er. Und so wie die Marge dann ausfällt, so ist sie halt. Und wir versuchen nicht das Produkt irgendwie schlechter zu machen oder in Asien herstellen zu lassen, damit wir dann mehr Geld dran verdienen.«
Ein wirtschaften, das sich nicht jeder leisten kann oder will, das aber für Moritz Rothacher entscheidend ist. In der Zementfabrik in seinem Wahlkreis sieht er das Gegenteil: Profitmaximierung ohne Gewissen. Als gewählter Volksvertreter würde er dem ein Ende setzen.
Moritz Rothacher, Klimaliste Baden-Württemberg:
»Also ich würde auf jeden Fall die wirtschaftlichen Interessen von dem Konzern, Holcim hier in diesem Fall, auf jeden Fall ganz unten hinpacken. Und wir haben die Aufgabe als Politiker, die Bürger zu schützen und das Klima zu schützen und die Lebensgrundlagen zu erhalten. Und das Wirtschaften darf eben nur stattfinden wenn die Bedingungen erfüllt sind. Ansonsten wird man hier um Einschränkung nicht herumkommen.«
Radikaler Kursschwenk der Klimaliste gegen den pragmatischen, gemäßigten Stil des grünen Landesvaters Winfried Kretschmann. Wie dieser Gegensatz sich in Wählerstimmen ausdrückt, wird sich am Sonntag zeigen.