Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Sollen sie doch ihren Chauffeur holen!

Klassenkampf einmal andersherum: Statt weiter "die da oben" zu quälen, nehmen die Gewerkschaften einfach alle in die Mangel, die sich nicht Limousine oder Privat-Kita leisten können. Unfair? Sicher. Aber wann ist das Leben schon fair?
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal: Sollen sie doch ihren Chauffeur holen!

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Foto: Michael Probst/ AP/dpa

Niemand spricht mehr von Bonzen. Das ist schade. "Bonze" ist ein so schön anschauliches Wort. Der Bonze wohnt in einem dicken Haus mit vielen Angestellten, die ihn umsorgen, und fährt ein dickes Auto. Aber wahrscheinlich liegt genau da das Problem. Man kann ihm nichts anhaben, selbst wenn man das gesamte öffentliche Leben lahm legt. Er lebt einfach sein Bonzenleben weiter, egal, welches Getobe sie vor seiner Tür veranstalten.

Wahrscheinlich bin ich auch ein Bonze, jedenfalls fühle ich mich im Augenblick dank der GDL ein bisschen so. Alle schimpfen auf die Gewerkschaft, weil sie schon wieder den Bahnverkehr zum Erliegen bringt. Ich hingegen sehe die Sache total gelassen. Von mir aus können sie bei der Bahn bis zum Sanktnimmerleinstag streiken, da bin ich mir ausnahmsweise mit Andrea Nahles einig.

Leute wie die Arbeitsministerin und ich kommen ohne öffentlichen Nahverkehr aus. Wir nehmen die Limousine oder das Flugzeug, wenn die Bahn nicht fährt. Bei Andrea Nahles bin ich mir noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch Bahn fährt, selbst wenn diese pünktlich ist. Wahrscheinlich hat sie als Herrin über 120 Milliarden Euro Anspruch auf einen Hubschrauber, was erklären würde, warum sie die Streikankündigungen noch gelassener nimmt als ich.

Auch der Kita-Streik schreckt mich nicht. Ich habe meinen Sohn in einem privaten Kindergarten angemeldet, dahin reicht nicht einmal der lange Arm von Herrn Bsirske. Es gibt Biogemüse am Mittag und Englisch ab sechs Monaten, und wenn man mal zu spät kommt, haben sie einen Babysitter-Backup-Service. Ich habe mir lange überlegt, ob das die Monatsgebühr wert ist, die ich zahle. Von dem Geld für die Kita könnte ich locker einen Mittelklassewagen finanzieren. Jetzt weiß ich, dass ich mich richtig entschieden habe. Wenn demnächst auch die öffentlich beschäftigten Erzieherinnen in den Ausstand treten, habe ich immer ein Plätzchen, wo man mich und meinen Sohn mit Freude aufnimmt.

Wer sich beklagt, wird an die Pflicht zur Solidarität erinnert

Manche Privilegien lernt man erst so richtig zu schätzen, wenn die Welt um einen herum im Chaos versinkt. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die deutschen Gewerkschaften einen daran erinnern würden, dass es sich auszahlt, privat vorzusorgen, indem sie den Klassenkampf einfach umdrehen. Man möchte in diesen Tagen wirklich nicht in der Haut von Leuten stecken, die darauf angewiesen sind, dass die Bahn pünktlich fährt und ihnen morgens jemand die Kinder abnimmt.

Das ist nicht fair, ich weiß, aber seit wann geht es im Leben schon fair zu? Oder wie Andrea Nahles am Sonntag sagte: "Wenn sie nicht mit der Bahn fahren können, sollen sie doch den Chauffeur nehmen." Okay, das habe ich mir jetzt ausgedacht. Trifft aber den Kern der Sache.

Links sein muss man sich leisten können, wie es so schön heißt. Die linke Idee, so wie sie sich heute präsentiert, ist eher ein Projekt für Leute, die ihre Schäfchen im Trockenen haben - oder aber so wenig besitzen, dass es nicht mehr darauf ankommt. Für alle andern, also die große Mehrheit, ist das Ganze eine ziemlich anstrengende Veranstaltung, von der sie weniger haben, als sie vielleicht dachten. Wer sich beklagt, wird an die Pflicht zur Solidarität erinnert. So hat man zum Schaden auch noch den Spott.

Ein Fall für Karlsruhe?

Die Schutzmacht der kleinen Leute war traditionell die Sozialdemokratie. Aber darauf kann man sich schon lange nicht mehr verlassen. Eine Partei, in der als größter historischer Erfolg seit der Durchsetzung von Wahlen für alle die Installation einer Frauenquote für Aufsichtsräte gilt, hat nach meiner Überzeugung den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Ich habe nichts gegen die Quote, ich gönne den infrage kommenden Frauen auch aus ganzem Herzen ihre Aufsichtsratsposten. Ich käme nur nie auf die Idee, von dem gesetzlich angeordneten Karriereschub für eine kleine Elite von 1000 Führungskräften eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zu erwarten. Bis die segensreiche Wirkung dieser Maßnahme bei der Geschlechtsgenossin an der Ladenkasse ankommt, deren Schicksal man immer im Munde führt, ist es jedenfalls ein langer Weg.

Jetzt kommt also der Kita-Streik. Wenn ich Herrn Bsirske nicht so genau kennen würde, dann würde ich das für eine heimliche Werbeaktion für das Betreuungsgeld halten. Wer nicht auf die staatliche Betreuung setzt, sondern Großeltern oder Verwandte eingespannt hat, um tagsüber den Rücken frei zu haben, ist fein raus, wenn Ver.di loslegt.

Aber halt, auch das Betreuungsgeld will die SPD ja abschaffen. Das Bundesverfassungsgericht soll die "Fernhalteprämie" wieder aus dem Verkehr ziehen. Keine Ahnung, wie viele Frauen von den Gewerkschaften an Heim und Herd zurückgezwungen werden, aber können wir uns nicht darauf einigen, dass dies ebenfalls ein Fall für Karlsruhe ist?

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