Bahrs Ehec-Krisenmanagement Verseucht, verheddert, vermurkst

Gesundheitsminister Bahr: Jagd nach dem Feind im Essen
Foto: FABIAN BIMMER/ REUTERSBerlin - Er war doch so gut vorbereitet auf den neuen Job: Banklehre und Wirtschaftsstudium, danach ein MBA mit Schwerpunkt "Internationales Gesundheitswesen und Krankenhausmanagement", im Bundestag qualifizierte sich Daniel Bahr als gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion weiter, schließlich zwei Jahre Staatssekretär im Gesundheitsministerium. Bahr, 34, ist ein Bundesgesundheitsminister wie aus dem Baukasten.
Aber dann kam Ehec. Und plötzlich muss der Minister feststellen, dass ihm dafür ein Baustein fehlt - der Crashkurs in Krisenmanagement, in Führungsstärke.
21 Menschen starben bisher in Deutschland an den Folgen der Infektion, erst sollten daran spanische Gurken schuld sein, jetzt tippt man auf Sprossen aus Norddeutschland - auch wenn erste Labortests den Verdacht nicht erhärtet haben. "Der Feind im Essen" titelt der SPIEGEL, die Nation fragt sich: Was können wir noch essen? Natürlich hat Bahr darauf keine Antwort, das wäre auch zu viel verlangt von ihm. Aber das Gefühl drängt sich schon auf, dass der FDP-Politiker - Amtszeit knapp ein Monat - in der Ehec-Krise ein bisschen überfordert ist.
"Das Krisenmanagement von Gesundheitsminister Bahr ist wenig überzeugend", findet Thomas Oppermann, Fraktionsgeschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Renate Künast, die Grünen-Fraktionschefin, wird angesichts der Ehec-Welle noch grundsätzlicher: "Ich frage mich, was der Gesundheitsminister eigentlich macht."
Bahr war beispielsweise in Hamburg-Eppendorf, am Sonntag traf er sich im dortigen Universitätsklinikum (UKE) mit Ärzten und besuchte Ehec-Patienten. Das gab eindrucksvolle Fotos des Ministers mit Mundschutz und Schutzkittel. Bahr weiß, dass er sich in diesen Tagen als oberster Gesundheitsmanager der Republik nicht verstecken darf. Aber dann kamen die Pressekonferenz und die ewigen Fragen nach neuen Erkenntnissen. "Wir haben gerade am Freitag noch mal die neuesten Erkenntnisse der aktuellen Studien ausgewertet, und dabei hat sich erhärtet, dass die Infektionsquelle sich eingrenzen lässt auf rohe Tomaten, rohe Gurken und rohe Blattsalate."
Die Warnungen des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums vor Sprossen als möglichem Erreger liefen da schon über die Agenturen.
Bahr und das Behördenwirrwarr
Bahr lobte im UKE auch einmal mehr das Robert Koch-Institut. "Das RKI hat eine sehr gute Arbeit geleistet, denn anders als in den meisten Ehec-Fällen weltweit haben wir den Infektionsherd eingrenzen können", sagte er. Viele Fachleute sehen das inzwischen anders und kritisieren das Vorgehen des RKI harsch.
Vor allem monieren sie im Kampf gegen Ehec das Wirrwarr der Behörden. Die Zuständigkeiten in der Ehec-Krise sind tatsächlich schwer zu durchschauen: Sie verteilen sich auf die Gesundheitsämter in den Bundesländern, die Landesregierungen, das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter Ilse Aigner (CSU). Dann sind da noch die beratenden und forschenden Institute - das RKI und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR). Eine einheitliche Informationsstelle gibt es nicht.
Die größten Zuständigkeiten liegen bei den Ländern, sie geben Warnmeldungen heraus, auch die Lebensmittelkontrolle und Marktüberwachung sind Ländersache. Ihre Warnmeldungen senden die Länder ans Bundesamt für Verbraucherschutz, von dort gehen die Warnungen weiter nach Brüssel.
Im konkreten Fall, also auch bei Ehec, läuft die Informationskette wie folgt:
- Krankenhäuser melden sich bei den örtlichen Gesundheitsämtern.
- Deren Mitarbeiter machen sich auf den Weg und nehmen in den Kliniken erste Proben.
- Gibt es Hinweise darauf, dass es sich um eine Krankheit handeln könnte, die überregional von Bedeutung ist, wenden sich die Gesundheitsämter an das RKI. Es fungiert als Epidemien-Fachbehörde des Bundes, die dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist.
- Das RKI hilft dann mit bei der Suche, im Fall von Ehec schickte das Institut Erkundungsteams nach Hamburg, Lübeck und Umgebung.
Falsche Fährte zu spanischen Gurken
So kam es auch zur falschen Fährte mit den spanischen Gurken: Am 19. Mai lösten Proben aus dem Hamburger UKE Alarm beim Robert Koch-Institut aus - eine Nacht verging, dann reisten vier Mitarbeiter des RKI nach Hamburg und fragten die Ehec-Patienten, was genau sie in den letzten Tagen gegessen hatten. Das Ergebnis: Gurken, Tomaten und Salate. Eine Woche später, am 26. Mai, teilte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks mit: "Man kann der Bevölkerung eindeutig sagen, Salatgurken sind eine Quelle", ihr Ursprung liege eindeutig in Spanien. Zeitungen titelten: "Gurken werden zum Sondermüll" oder "Gülle? Biogurken? Spanien!" Fünf Tage später dann das Dementi: Spanische Gurken sind doch nicht die Quelle für den Keim.
Da war spanischen Bauern allerdings schon ein Millionenschaden entstanden - und ihre Wut auf die deutschen Behörden riesig. Gemüseproduzenten aus Spanien bereiten deshalb jetzt Schadensersatzklagen vor.
Außerdem wurde bei der Bekämpfung des Keims und der Suche nach dem Seuchenherd womöglich kostbare Zeit verschenkt. Spätestens am 1. Mai erkrankte der erste Deutsche an der neuen Ehec-Welle - aber Hausärzte scheinen oft bei Durchfall den gefährlichen Keim nicht in Betracht zu ziehen. Oft hilft jedoch auch höchste Wachsamkeit der Mediziner nicht, denn die Wege der Gesundheitsbehörden sind lang und sehr altmodisch. Nach Informationen des SPIEGEL müssen die Gesundheitsämter Berichte über Krankheiten oder sogar Todesfälle erst am dritten Arbeitstag der folgenden Woche an die zuständige Landesbehörde melden - die kann sich wiederum eine Woche Zeit lassen, bis sie den Bericht ans RKI weitergibt. Alles per Post. Es heißt, entsprechende Berichte dürfen bis zu zwei Wochen in Schubladen verstauben.
Künast kritisiert Showgipfel
Auch wenn die ersten Probentests negativ waren - die Sprossen aus dem Gärtnerhof im niedersächsischen Bienenbüttel gelten als eine mögliche Quelle des Ehec-Keims. Warum aber wurde diese Quelle nicht schon vorher in Betracht gezogen? In Japan haben Radieschen-Sprossen im Jahr 1996 eine Ehec-Epidemie ausgelöst, das war bekannt. Doch in Deutschland wurde der Sprossenverdacht erst fünf Wochen nach dem ersten Ehec-Fall verkündet. Dass Keime sich in fertig verpackten Sprossen und Keimlingen besonders schnell vermehren, davor warnte das Bundesinstitut für Risikobewertung schon vor einem Jahr. Auch wenn die Sprossen "gekühlt aufbewahrt werden, besteht die Möglichkeit eines schnellen mikrobiellen Verderbs und die Gefahr der Kontamination mit krankmachenden Keimen wie Listerien, Salmonellen, E.-coli-Bakterien oder Viren wie Noroviren oder Hepatitis-A-Viren", heißt es in dem Bericht.
Mit Blick auf die Sprossen gibt sich der oberste Krisenminister Bahr immer noch zurückhaltend, er möchte weitere Ergebnisse abwarten. Am Mittwoch will sich der FDP-Politiker mit Verbraucherschutzministerin Aigner und den zuständigen Länderministern beraten. Schon spricht die Grünen-Politikerin Künast vom "Showgipfel". Sie fordert stattdessen einen nationalen Kontrollplan für Deutschland mit einer Checkliste möglicher Übertragungswege vom Bauern über die Verarbeitung bis in die Gastronomie.