Bamf-Affäre "Die Krise war vermeidbar"

In vertraulichen Berichten macht der frühere Flüchtlingsamts-Chef Frank-Jürgen Weise der Bundesregierung schwere Vorwürfe: Sie habe zu spät reagiert - und einen "Konkurs" des Bamf zugelassen.
Der ehemalige Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise

Der ehemalige Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/ picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Wenn Frank-Jürgen Weise in der nächsten Sitzung des Innenausschusses zur Asyl-Affäre aussagt, könnte es knallen. Denn der Behördenmanager, der in der Flüchtlingskrise neben der Arbeitsagentur zeitweise auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) leitete, kämpft um seinen Ruf. Viele alteingesessene Beamte halten den Turbokurs, den er der Behörde ab dem Herbst 2015 verordnete, für einen Fehler: Statt um die Qualität der Asylbescheide sei es unter Weise nur noch um Quantität gegangen - Hauptsache die Aktenberge werden kleiner.

Weise sieht die Schuld an den Missständen dagegen woanders. "Das Versagen war, nicht zu handeln, als feststand, welche Herausforderung durch die Geflüchteten auf Deutschland zukommt", sagte er dem SPIEGEL. "Dies hat am Ende zu Überforderung und unhaltbaren Zuständen geführt."

Wie katastrophal Weise die Situation im Bamf empfand, geht aus bisher unbekannten, vertraulichen Berichten hervor, die der Manager im vergangenen Jahr als "Beauftragter für Flüchtlingsmanagement" verfasst hat. Darin macht er auch der Bundesregierung heftige Vorwürfe. Eines der Papiere ist überschrieben mit: "Die Krise war vermeidbar."

Weise und sein Team sind überzeugt: die Verantwortlichen in Berlin hätten viel früher merken müssen, wie überfordert das Flüchtlingsamt war. "Ein funktionierendes Controlling hätte bereits im Jahr 2014 eine Frühwarnung gegeben", heißt es nach SPIEGEL-Informationen in dem Bericht. Dann hätte das Amt rechtzeitig reagieren, Hunderte oder gar Tausende zusätzliche Asylentscheider einstellen und die Arbeitsabläufe umbauen können. So aber habe es ein "Organisationsversagen in der Krise" gegeben - und einen "faktischen Konkurs des Bamf".

Verantwortlich für die Misere macht Weise insbesondere das Innenministerium, damals noch geleitet von Thomas de Maizière (CDU). Es sei "nicht erklärbar", dass man dort geglaubt habe, das Amt könne "den erheblichen Zuwachs an geflüchteten Menschen auch nur ansatzweise bewerkstelligen". Und weiter: "Eine wirksame Fachaufsicht durch das zuständige Ministerium war nicht gegeben."

In der Flüchtlingsbehörde selber, so geht aus dem Papier hervor, hätten Weise und sein Team im Herbst 2015 Chaos vorgefunden. "Die neue Leitung hat in ihrer beruflichen Erfahrung noch nie einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt", heißt es dort:

  • Im Arbeitspostfach mancher Asylentscheider lagen über 2.000 Fälle, "die Fälle (alles geflüchtete Menschen) warteten zum Teil viele Monate auf eine Bearbeitung".
  • Die IT war veraltet und nicht auf so hohe Asylbewerberzahlen ausgerichtet, es drohte der "Totalausfall aller Systeme".
  • 30 Prozent der Asylakten wiesen "kleinere bis gravierende Fehler" auf.
  • Für die Prüfung aller syrischer Ausweisdokumente auf Echtheit gab es nur drei Personalstellen.

Als besonders schwerwiegend empfand Weise, dass es erst im Februar 2016 ein Gesetz gab, das die "Erfassung der eindeutigen Identität der Menschen" ermöglichte. Es müsse die Frage gestellt werden, so heißt es in dem Papier, warum der damalige Innenminister de Maizière oder einer seiner Vorgänger nicht viel früher "solche gravierenden Sicherheitslücken erkannt und beseitigt haben".

Auch "ein funktionierendes internes Kontrollsystem" und "eine arbeitsfähige interne Revision" habe es im Bamf bei seiner Amtsübernahme nicht gegeben, heißt es in dem Bericht weiter. Ob dies dazu beitrug, dass die Missstände in der Bremer Bamf-Außenstelle jahrelang nicht aufgedeckt wurden, muss die weitere Aufarbeitung der Affäre zeigen.

Weises schonungslose Bilanz von Anfang 2017 liegt nicht nur im Innenministerium. Wie die "Bild am Sonntag" berichtet, gingen die 45 Seiten auch an das Kanzleramt. Zudem trafen sich der Behördenmanager und Angela Merkel im vergangenen Jahr zwei Mal zum Gespräch. Das Thema: Weiterer Handlungsbedarf in der Flüchtlingspolitik.

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