Obama in Hannover Ein großer Besucher
Für 24 Stunden brachte Barack Obama die Weltpolitik nach Hannover. Was waren die entscheidenden Momente, was bleibt von dem Besuch des US-Präsidenten? Die Bilanz.
Den Maschsee hat Barack Obama nicht gewürdigt bei seinen Auftritten in Hannover . Wäre auch ein bisschen viel verlangt gewesen. Ansonsten lobte und pries er aber so ziemlich alles, was ins schöne amerikanische Deutschland-Klischee passt: deutsche Technik, deutsche Führungskraft, deutsches Bier, deutsche Wurst. Der Terminplan des US-Präsidenten war dabei vollgepackt. Merkel treffen, Messe eröffnen, Messe mit Merkel besuchen, gemeinsam mit Merkel weitere europäische Regierungschefs und Präsidenten treffen.
Nun ist Air Force One wieder abgehoben. Zeit für eine kurze Bilanz der Obama-Visite. Was war der Höhepunkt? Welche Szenen wirken nach? Und was bleibt von dem Besuch?
Den eindrucksvollsten Moment:
...lieferte Obama allein. Natürlich, das kann er. Kurz vor 12 Uhr am Montagvormittag in einem kleinen Saal der Messe Hannover, im Publikum viele Schüler und Studenten. Der Gast hat erst wenige Minuten geredet, als er diesen Satz sagt: "Die USA brauchen ein starkes, wohlhabendes und geeintes Europa." Kurzer Blick auf den Teleprompter, und dann, begleitet von der typischen Obama'schen linken Handkante: "Ihr habt so viel erreicht." Beschwörender Blick. "Die EU ist eine der größten politischen und wirtschaftlichen Errungenschaften der modernen Zeit. Glaubt an euch, stärkt die EU!"
Es ist ein klares Bekenntnis zur Politik seiner "lieben Freundin Angela", deren größte Sorge seit Monaten die politische Stabilität Europas ist. Und es ist ein klares Signal an alle Europagegner von London über Warschau bis Budapest.
Übersetzt heißt es: Reißt euch zusammen! Hört endlich auf, das in den Nachkriegsjahrzehnten errichtete Haus der Einheit und Freiheit durch nationale Egoismen, Populismus und Fremdenfeindlichkeit zu zerstören. Ihr habt es so gut, ihr lebt in Frieden und Wohlstand. Ihr könnt anderen, denen es schlechter geht, etwas abgeben. Oder, wieder in offizieller Diktion: "Unsere Nationen sind stärker, wenn wir Menschen aus anderen Ländern willkommen heißen."
Klingt groß, gut und wahr. Wirkt allerdings angesichts von gerade mal 10.000 Syrern, die Amerika aufzunehmen bereit ist , auch etwas wohlfeil. Immerhin ist sich Obama dieses Widerspruchs bewusst und beteuert, was fast wie eine Selbstbeschwörung klingt: "Wir alle müssen etwas beitragen, wir alle müssen Verantwortung übernehmen. Das gilt auch für die Vereinigten Staaten." Recht hat er.
Die Botschaften:
Obama ist nur noch neun Monate im Amt - und bis dahin will er das transatlantische Handelsabkommen TTIP endlich, endlich aufs Gleis setzen. Die Zeit drängt, weil in Europa und insbesondere Deutschland der Widerstand wächst. Merkel hat er dabei an seiner Seite. Auch sie machte sich in Hannover mehrfach für das Abkommen stark, bei dem gemeinsamen Abendessen am Sonntag mit Wirtschaftsvertretern und deutschen Spitzenpolitikern war TTIP ein großes Thema.
Im Kampf gegen den "Islamischen Staat" in Syrien und im Irak kündigte der US-Präsident mehr militärisches Engagement bei der Unterstützung lokaler Kräfte an, was er sich nun auch von den europäischen Partnern wünscht. Aber konkrete Bitten brachte er laut Merkel nicht vor, wie sie nach dem Fünfertreffen am Montagnachmittag mit Frankreichs Präsident François Hollande , Großbritanniens Premier David Cameron und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi mitteilte. Auch dieses Gespräch drehte sich wieder um das von Obama angemahnte gemeinsame Vorgehen Europas - vor allem in der Flüchtlingskrise.
Die Szene zum Schmunzeln:
Am Messe-Stand von Phoenix Contact war zu erleben, aus welch unterschiedlichen Welten die Kanzlerin und ihr Gast kommen: Das deutsche Unternehmen stellt unter anderem Ladestationen für E-Fahrzeuge her. Um das Produkt zu bewerben, wurde eigens die Energie verschlingende DeLorean-Zeitmaschine aus "Zurück in die Zukunft" nachgebaut, eine Ikone des 1980er Hollywood -Films.
Doch die Kanzlerin und promovierte DDR-Physikerin musste an dieser Stelle passen. "Hm", machte sie, als ihr der Zusammenhang erläutert wurde. Obama, der Präsident der Pop-Kultur, half gerne aus. "Es ist ein großartiger Film", strahlte er. "Ich werde ihr eine DVD schicken."
Gewinner:
Sind Gast und Gastgeberin gleichermaßen. Der US-Präsident bringt noch jeden drögen Messestand in Stimmung, als oberster Repräsentant des diesjährigen Partnerlandes in Hannover hätten die US-Unternehmer keinen besseren PR-Mann bekommen können.
Die Kanzlerin wiederum wurde von Obama an beiden Tagen dermaßen mit Lob überhäuft, dass man die Schwierigkeiten zu Beginn ihrer politischen Beziehung beinahe vergessen konnte. Sie wird es genossen haben. Merkel hat harte Monate hinter sich, da kann sie ein bisschen Obama'schen Glanz gut gebrauchen.
Verlierer:
Ist Hannover. Aber natürlich nur sportlich - also im Fußball: Am Tag, als Obama in Hannover landete, wurde der Abstieg des örtlichen Vereins Hannover 96 aus der ersten Liga besiegelt. Ein bittersüßer Sonntag für die Stadt.
Streitpunkte:
Obama verlangt, dass sich Deutschland innerhalb der Nato mehr in Osteuropa engagiert, aber öffentlich hat er das nicht angesprochen in Hannover. Dafür betonte der US-Präsident mehrfach, dass er von den Nato-Mitgliedern eine zweiprozentige Erhöhung ihrer Militärausgaben wünscht. Bei seiner Grundsatzrede am Montag streckte er zur Betonung extra noch zwei Finger in die Höhe: Zwei! Prozent! Die Kanzlerin schwieg dazu.
Auf dem Rundgang über die Messe und am Vorabend bei der Eröffnung kabbelte man sich ein bisschen darum, wer denn nun die besseren Produkte herstellt und die tolleren Firmen hat. Tatsächlich ist die amerikanische Industrie wiedererwacht - Deutschland wird sich im Wettbewerb noch mehr anstrengen müssen.
Und was bleibt?
Bei aller Kritik an der amerikanischen Flüchtlingspolitik, dem paranoiden Datenüberwachungswahn, dem intransparenten TTIP-Geschacher und der teils halbherzigen, teils chaotischen Syrienpolitik: Dies war der Besuch eines großen Präsidenten. Eines Mannes, der zuhört, der so gut redet und argumentiert wie wenige andere, der meist auf Partnerschaft setzt statt auf Alleingänge.
Die Welt und auch die Deutschen haben sich nach den verheerenden Bush -Jahren gern an diesen Mann gewöhnt - und Obamas Visite in Hannover hat gezeigt, welch große Sympathien der US-Präsident hierzulande immer noch genießt. Was geschieht, wenn im November ein Mann ins Weiße Haus gewählt wird, der ein anderes, ein dunkleres, wütendes Amerika repräsentiert? Manche werden wohl erst dann erkennen, wie groß Nummer 44 wirklich war. Damals, in Hannover...
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