Bauernaufstand gegen die Union "Die wähl ich nimmer"
Was ist ein Mensch in der Revolte?
Ein Mensch, der nein sagt.
Aber wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht,
er ist auch ein Mensch,
der ja sagt aus erster Regung heraus.Albert Camus
Die Revolte beginnt in der perfekten Idylle. Ein blauer See vor sanft ansteigenden grünen Matten, ganz hinten schneebedeckte Gipfel. Das Allgäu. Der Blick vom Bauernhof des Rebellen. "Von der schönen Aussicht kann ich nicht leben", sagt Romuald Schaber. Dann geht er rüber in seinen Stall mit den 40 Milchkühen und 40 Jungtieren, die ihm jeden Tag bis zu 900 Liter Milch liefern.
Hört sich ordentlich an. Ist aber bei einem Milchpreis von zuletzt 25 Cent pro Liter ein Minusgeschäft. Jeden Monat legt Schaber 80 Euro pro Kuh drauf.
Also die Revolte. Deshalb führt Romuald Schaber den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) an, eine Abspaltung des einst allmächtigen Bauernverbands. 30.000 Mitglieder haben sie jetzt schon. Schaber machte einst selbst im Bauernverband mit, Ortsobmann war er. Doch der Verband sei "immer industrielastiger" geworden, es habe sich alles um Export und Wachstum gedreht. Deshalb nahmen Schaber und ein paar andere Milchbauern die Sache selbst in die Hand und gründeten 1998 den BDM.
Weil aber der Bauernverband immer eine Aktionseinheit mit CDU und CSU bildete, ist diese Spaltung auch ein Problem für die Union. Plötzlich zerbröselt eines ihrer politischen Kernmilieus. Bei der bayerischen Landtagswahl hat die CSU jeden dritten Landwirt verloren. Profitiert haben die Freien Wähler.
Mit Milchkuhprämien und Steuernachlässen auf Agrardiesel versuchen die Unionschefs Horst Seehofer und Angela Merkel verlorenes Terrain gutzumachen. Der Bauernverband feiert das als großen Erfolg. Schaber nennt das Wahlkampfgeschenk, er will kein Bittsteller sein. Sein Rezept: Weniger Milch auf den Markt, damit die Preise steigen. Doch in der EU hat man sich darauf verständigt, das bisherige System der Milchquoten bald komplett abzuschaffen. Die CSU beteuert zwar, das verhindern zu wollen - allein es fehlt ihr die Macht .
So setzen die Basis-Bauern längst nicht mehr auf die Lippenbekenntnisse ihrer Vertreter in Gremien und Parlamenten. Sie setzen jetzt auf sich.
"Von außen können wir mehr bewegen", sagt Schaber. Er ist vier Tage die Woche unterwegs: Brüssel, Berlin, München. Dabei darf man sich den 51-Jährigen nicht als alpinen Apparatschik im Trachtenjanker vorstellen. Er trägt Jeans, rote Strickjacke, in seinen Klamotten hängt Heu.
Auf die Neuen vom Lande müssen sie sich in den Hauptstädten erst einmal einstellen. Als Milchbäuerinnen vor ihrem Amtssitz kampierten und gar in Hungerstreik traten, wusste die Kanzlerin damit gar nicht umzugehen - und ignorierte sie. Am Freitag vor Pfingsten dann doch das Signal: Milchgipfel bei der Kanzlerin mit 15 Bäuerinnen. Früher undenkbar. Da kamen doch die wohltemperierten Herren vom Verband vorbei.
Schaber, der Rebell, muss jetzt sogar manchmal bremsen. Nahezu die Hälfte aller Milchbauern verhalte sich noch apathisch, sagt er. Der Bauernstand ist wie ein schwerer Tanker, auf vielen Höfen gibt es über Aktionen wie Milch- und Hungerstreik Unmut: "Zu fanatisch", heißt es. Schaber ist vorsichtig: "Bei uns fordern einige ein aggressiveres Vorgehen, aber dann würden uns Bauernverband und die C-Parteien in die radikale Ecke stellen."
Es war die Arbeiterklasse, die in einer ganz anderen Zeit ganz ähnliche Diskussionen führte. Der Unterschied: Damals bildete sich ein Milieu. Bei den Bauern heute zersplittert eines, das festgefügt war wie kaum ein anderes.
Den Unionsparteien raubt das die Orientierung. Ihre Sensoren an der Basis sind taub geworden. "Die CSU hat es zu spät begriffen", sagt Schaber mit Blick auf den Milchpreis und den Kurs in der grünen Gentechnik. Plötzlich geben nicht mehr die Christsozialen das Tempo vor - sondern ihre früheren Hintersassen.
Seehofer will sich nicht abhängen lassen, will wieder Fühlung aufnehmen. So ist plötzlich Schabers BDM enger Partner - und die Agro-Gentechnik des Teufels. Gerade bei diesem Thema wirken die Bemühungen der Union wie eine Kehrtwende mit Vollgas und angezogener Handbremse.
Um das zu verstehen, muss man Christoph Fischer im Chiemgau besuchen.
Wieder Idylle, wieder Revolte. Der 49-Jährige ist Landwirtschaftsberater und hat vor drei Jahren in Rosenheim "Zivil Courage" gegründet - ein Bündnis gegen die grüne Gentechnik. Mittlerweile hat er 30.000 Unterstützer, ganze Landstriche des ländlichen Bayern zeugen mit den grünen Plakaten "Agro-Gentechnik-freier Landkreis" von seiner Überzeugungskunst. Fischer reist mit Notebook und Beamer Woche für Woche wie ein Prediger übers Land, zieht von Gemeindesaal zu Bierzelt - in Bayern, Österreich, Südtirol und der Schweiz.
Im Februar der Durchbruch in der Rosenheimer Inntalhalle: Fischer redet vor 3500 Zuhörern, die indische Gentechnik-Kritikerin Vandana Shiva lässt er mit dem bayerischen Defiliermarsch in die Halle hineinspielen - der ist eigentlich dem Ministerpräsidenten vorbehalten. Der Rebell bemächtigt sich der Tradition. Im Publikum Trachtler, Bauern, Normalos. Das Volk. Ein Fanal für die CSU.
Ein paar Wochen später steht Christoph Fischer in einem Bierzelt nahe Altötting, der katholischen Herzkammer Deutschlands. Es ist Jubiläum, seine 150. Veranstaltung.
Wieder sind mehr als tausend Leute da, und auch der Pfarrer wird eine Rede halten, in der er Atomenergie und Agro-Gentechnik vergleicht. "Wie konnte die CSU das hier alles nur so absolut verschlafen?", fragt sich Fischer. Natürlich bemerke er jetzt die Umarmungsversuche. Doch sei Seehofers Wende nur eine rhetorische. Er dürfe doch nicht erwarten, dass die Politik über Gut und Böse entscheiden werde, habe ihm der CSU-Chef gesagt. Man habe nur die unterschiedlichen Interessen zu koordinieren.
Der Mann in der Revolte schüttelt den Kopf: "Koordinierer haben keinen eigenen Plan." Aber wenn man nein sage zur Gentechnik, dann müsse man wissen, zu was man ja sage.
Fischers Ja: eine regional strukturierte Landwirtschaft.
Das ist keine Spinnerei. Ein ganzes Bierzelt schweigt zwei Stunden lang und hört zu. In Bayerns konservativer Bauernschaft sind Fischers Vorstellungen mehrheitsfähig. Weil er sie mit Tracht und Tradition verbindet, weil er die Gentechnik als letztlich unumkehrbare Gefahr für die bayerische Heimat vermittelt: "Das, was die Gentechnik auf den Weg bringt, schafft Fakten, die erst den Landwirten und dann uns allen den Teppich unter den Füßen wegziehen." Änderungen seien nur von der Basis, nicht aber von Verbänden und Parteien durchzusetzen: "Wir werden das jetzt immer weiterdrehen, und da müssen sie laufen, die Politiker, und hinter sie werfen wir Reißnägel, damit sie nicht mehr umdrehen können."
In Österreich hat die Politik das schon kapiert. Dort plant Fischer seinen nächsten Streich: einen Auftritt mit Vandana Shiva im Juni in der Salzburgarena. Knapp 7000 Menschen passen dort hinein. Auf dem Flyer, der mittlerweile in jedem Dorf ausliegt, steht als Mitveranstalter das Land Oberösterreich.
Wie tief dagegen in Deutschland der Graben zwischen Bauernbasis und Politik ist, kann man zuletzt kurz vor Pfingsten in einem Festzelt beim Erdinger Kreisbauerntag beobachten. Wieder sind mehr als tausend Zuhörer gekommen, Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner von der CSU soll reden. Doch sie kommt nicht, muss wegen einer namentlichen Abstimmung im Bundestag bleiben. Ein fatales Signal an die Bauern im Zelt.
Statt Aigner kommt ihr Staatssekretär. Gert Lindemann fügt Floskel an Floskel, schwärmt vom Zusammenhalt auf dem Land und vom weiß-blauen Himmel, der zu Bayern gehöre wie die Landwirtschaft. Jurist sei er zwar, bedauert der Staatssekretär, aber wegen seiner 30 Jahre im Ministerium sage er gern "unter uns Bauern".
Keiner lacht. Keiner klatscht. Nur in der ersten Reihe bewegen sich Hände, da wo Tischdecken unterm Maßkrug liegen und die Honoratioren vom Bauernverband sitzen.
Zwischen Fischers und Lindemanns Zelt liegen nur ein paar Kilometer. In der Stimmung liegen Welten dazwischen.
Den "Milchstandort Deutschland" wolle man erhalten, beteuert Lindemann jetzt. Und die grüne Gentechnik, nun, das werde in Bayern doch "entschieden distanzierter" gesehen als in anderen Bundesländern. Das Verbot des Genmais MON810 jedenfalls sei keine Grundsatzentscheidung gewesen, das wolle er schon sagen hier.
Keiner protestiert. Die Leute hören einfach weg. Es herrscht Apathie.
"Des san ois Kaschperl", sagt eine Bäuerin hinten im Zelt. Wen sie denn wählen werde? "Die nimmer."