Bayern gegen Berlin Wie die CSU-Spitze den Genmais in letzter Minute stoppen will
München - Sie kamen in der Früh. Über die Feuerleiter kletterte die Gruppe am Mittwochmorgen aufs Dach des bayerischen Landtags. Dann entrollten die Greenpeace-Aktivisten ein 15 Meter langes und sechs Meter breites Plakat. Darauf abgebildet ein riesiger Maiskolben mit böse dreinblickender, schwarzer Fratze - der Genmais.

Greenpeace-Protest am Landtag in München: Entscheidung über MON-810-Verbot steht kurz bevor
Foto: DDPHintergrund des Protests: In wenigen Tagen schon könnten die Bauern mit ihrer alljährlichen Aussaat der Maissorte MON 810 beginnen. In dem Mais soll ein künstlich hergestelltes Gen den Schädling Maiszünsler bekämpfen, einen Schmetterling. MON 810 ist der einzige gentechnisch veränderte Organismus, der in Deutschland angebaut werden darf - noch. Denn Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) könnte den Genmais verbieten.
Darauf hoffen nicht wenige Menschen, besonders in Bayern. Zwar sind im Standortregister , das für Genmais-Bauern bindend ist, nur 67 Hektar Land im Freistaat für MON-810-Anbau verzeichnet - im Vergleich zu insgesamt rund 3700 Hektar im gesamten Bundesgebiet -, doch ist Bayern noch geprägt von kleinteiliger Landwirtschaft. Die Bauernhöfe bewirtschaften im Vergleich etwa zum Osten Deutschlands nur kleine Flächen.
Bauernverband gegen Genmais
Das bedeutet: Wo Felder dicht an dicht liegen, treibt nicht nur Ökobauern und Imker die Sorge vor Auskreuzung und vor Verunreinigung ihrer Produkte um. So lehnt auch der Bayerische Bauernverband gentechnisch veränderte Pflanzen "aufgrund nach wie vor noch zu vieler ungeklärter Risiken ab". Und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat jüngst klargestellt: "Wir wollen, dass Bayern eine gentechnikfreie Zone wird." Nur hilft das alles nichts, wenn nicht Parteifreundin Aigner in Berlin die entsprechende Entscheidung trifft. Österreich, Frankreich, Ungarn, Griechenland und Polen haben MON 810 bereits verboten.
Weil auch Aigner die Zulassung dieser Maissorte noch einmal prüfen wollte, hat ihr Ministerium einen Monitoringbericht von Hersteller Monsanto angefordert. Der liegt seit Ende März vor, seitdem wird er vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BLV) geprüft, einer dem Ministerium nachgeordneten Behörde. Das Ergebnis dieser Untersuchung will Aigner abwarten. Doch die Zeit drängt. Es mache keinen Sinn, die Maissorte nach der Aussaat zu verbieten, sagen Kritiker.
Die Gentechnik-Gegner der Organisation "Campact - Demokratie in Aktion" haben auf ihrer Homepage pauschal den 15. April als Aussaatdatum angegeben. Doch ist der exakte Zeitpunkt abhängig von der Witterung, der Boden muss genügend erwärmt sein, damit das Saatgut keimen kann. Im Berliner Ministerium heißt es: "Wir arbeiten hart daran, vor Aussaatbeginn eine Entscheidung zu treffen." Man rechnet mit dem 20. April als frühestmöglichem Termin für die Aussaat, der Start soll in Bayern sein. Entsprechend wolle Aigner bis spätestens Mitte kommender Woche, also rechtzeitig vor der Aussaat, über ein Genmais-Verbot entscheiden.
Die Ministerin muss ihre Entscheidung allein mit Blick auf eine mögliche Gefährdung für die Umwelt treffen. Gleichwohl steht sie von beiden Seiten unter Druck: Während insbesondere Seehofers bayerischer Umweltminister Markus Söder (CSU) seine Kollegin von einem Verbot zu überzeugen sucht, gelten Kanzlerin Angela Merkel und Bundesforschungsministerin Annette Schavan (beide CDU) auf der anderen Seite nicht unbedingt als Kritikerinnen der grünen Gentechnik.
Ilse Aigner selbst zeigte sich vor ihrem Einzug ins Ministerium aufgeschlossen gegenüber der grünen Gentechnik - immerhin war sie von 2005 bis 2008 bildungs- und forschungspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag. Im Wahlkampf 2005 sprach sich Aigner auf der Internet-Plattform kandidatenwatch.de noch für eine Förderung der Forschung zur grünen Gentechnik aus. Der "großflächige Erprobungsanbau" müsse erweitert und "mit wissenschaftlicher Begleitung fortgeführt" werden. Selbstverständlich, so schrieb Aigner damals, müssten "die Interessen der konventionellen Bauern, der Bio-Bauern und der Imker geschützt werden". Dies gehe "auch mit einem forschungsfreundlicheren Gentechnikgesetz".
Söder: "Kein Genmais in Bayern"
Damals vertrat Ilse Aigner mit dieser Auffassung noch die Mehrheitsmeinung der Partei. Heute dagegen wird Umweltminister Söder in seinem genkritischen Kurs von Parteichef Seehofer unterstützt. "Wir wollen keinen Genmais in Bayern", sagt Söder SPIEGEL ONLINE: "Wir wünschen uns ein Verbot der Aussaat." Dies sei "letztlich auch eine politische Entscheidung und nicht nur eine fachliche".
Klare Ansage an Parteifreundin Aigner. Schon am Rande der Klausurtagung des CSU-Vorstands am letzten Wochenende in Kloster Banz hat Söder lange mit der Bundesministerin diskutiert. Was dabei herausgekommen ist? Sagt er nicht. Nur so viel: Je eher die Entscheidung aus Berlin komme, "desto besser".
Längst dominiert in der Anhängerschaft der CSU die kritische Haltung gegenüber der grünen Gentechnik. Seehofer und Söder denken auch an die anstehenden Wahlen zu Europaparlament und Bundestag. Ihm sei klar, sagt Söder, dass "die überragende Mehrzahl der bayerischen Bürger keinen Genmais" wolle. Es gehe bei der Ablehnung der grünen Gentechnik "nicht um Forschungsfeindlichkeit, sondern um die Bewahrung der Schöpfung. Das ist ein urkonservatives Anliegen."
Eine jüngst von den "Campact"-Genkritikern beim Meinungsforschungsinstitut Emnid in Auftrag gegebene Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass 77 Prozent der bayerischen Bevölkerung und 79 Prozent der CSU-Wähler glauben, dass es die Christsozialen bei der Europawahl Stimmen kosten würde, sollte Aigner den Genmais nicht vor der Aussaat verbieten.
Noch bis Ende des Jahres laufen allerdings auch in Bayern staatliche Freilandversuche mit Genmais. Die bayerischen Grünen forderten, man müsse diese sofort einstellen, "wenn es der Staatsregierung ernst wäre mit einem gentechnikfreien Bayern", so Fraktionschef Sepp Daxenberger. Söder sagt, man wolle in Zukunft "nur noch Sicherheitsforschung im Gewächshaus". Diese sei notwendig. Etwa beim Import von Lebensmitteln: "Um zum Beispiel beim Reis aus China sicherzugehen, dass er nicht gentechnisch verändert ist. Dazu brauchen wir eigene Forschungskompetenz."
Der frühere CSU-Generalsekretär und Haudrauf sei nun in die Rolle des obersten Vorkämpfers fürs Ökosystem geschlüpft, lästern sie in seiner Partei. Doch Respekt haben alle für seine Anti-Gen-Guerillataktik gegen Berlin. Da lädt er vergangenen Montag rund vierzig Gentechnikgegner zur Diskussion in sein Ministerium ein, gemeinsam fordert man hernach ein Genmais-Verbot. Oder er erlässt trickreich derart verschärfte Vollzugshinweise fürs Gentechnikgesetz, dass der MON-810-Anbau mancherorts in Bayern kaum noch möglich ist: 1000 Meter Abstand müssen Genbauern nun zu Naturschutzgebieten halten.
Doch letztlich kann auch Söder an Aigners Entscheidung nichts ändern. Beim Genmais-Hersteller Monsanto gibt man sich derweil zuversichtlich. Es gebe "keinen wissenschaftlich-fachlichen Grund, daran zu zweifeln", dass die Genehmigung für MON 810 aufrechterhalten werde, sagt Sprecher Andreas Thierfelder. Das eigene Monitoring habe keine Hinweise darauf ergeben, "dass unerwartete negative Effekte auf die Umwelt aufgetreten sind".
Die Landwirte hätten das Saatgut erworben, nun müsse man die Witterung abwarten, so Thierfelder. Und wenn es doch ein Verbot aus Berlin gibt, können die Bauern den Genmais zurückgeben? "Selbstverständlich wird kein Landwirt Schaden nehmen."