Bayern-Wahl CSU-Spitze macht Stoiber für Debakel mitverantwortlich

Es ist eine historische Wahlschlappe für die CSU - die Partei stürzt in Bayern dramatisch ab. Trotzdem will das Führungsduo Huber-Beckstein weitermachen - und schiebt einen Teil der Schuld fürs Desaster auf Ex-Chef Stoiber.

München/Berlin - Irgendjemand hat vergessen, den Fernseh-Ton im CSU-Saal runterzudrehen. Es ist zwanzig Minuten vor sieben Uhr. Erwin Huber und Günther Beckstein müssen jetzt ihre Niederlage vor der Öffentlichkeit eingestehen. Die beiden betreten Saal 1 des bayerischen Landtags, ein paar Getreue klatschen mau - und via TV aus Berlin spricht SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier: "Das ist ein historischer Wahlabend." Historisch für die Bundesrepublik. Katastrophal für die CSU.

Das schlechteste Wahlergebnis seit 1954. Der größte Einbruch einer Partei bei einer deutschen Landtagswahl seit 1950. Die seit 1962 währende absolute Mehrheit perdu. Der 50-Prozent-Mythos gebrochen. Das Erbe von Franz Josef Strauß verspielt.

CSU-Chef und Ministerpräsident wissen das. Die Katastrophe ist ihnen ins Gesicht gemeißelt. Die Münder ein zusammengepresster Strich, die Blicke ins Leere. Huber muss als erster ran. "Ein schwarzer, ein schmerzlicher Tag", sagt er - und schiebt gleich hinterher, die CSU habe weiterhin "Vertrauen in die Gestaltungskraft von Günther Beckstein", spricht vom "Regierungsauftrag" für die CSU.

Der Blick des Mannes, dem die Partei aus Sicht ihres Vorsitzenden vertraut, heftet sich im Nichts fest.

"Eine Fülle von Einflüssen" hätten die CSU-Niederlage verschuldet, fährt Huber fort. Und zwar Einflüssen, "die sich über fünf Jahre erstrecken". Der Abrutsch jetzt, der sei "mit Sicherheit nicht das Ergebnis von wenigen Monaten des Wahlkampfes oder von einem Jahr".

Heißt erstens: Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber trägt Mitschuld am Desaster. Mindestens.

Heißt zweitens: Das Tandem Huber-Beckstein will weitermachen. "Ich stehe für eine Koalitionsregierung zur Verfügung", sagt Beckstein, er werde "in den sauren Apfel beißen". Und Huber, wird er zurücktreten? "Diese Frage stellt sich mit Sicherheit nicht", sagt der CSU-Chef.

Kurz vor 18 Uhr haben sich Huber, Beckstein und CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer gemeinsam zurückgezogen. Sie wollen nicht aufgeben. Sie haben sich abgestimmt. So benutzt auch Haderthauer schon in ihrem ersten Statement die identische Fünf-Jahres-Formulierung wie später Huber. Man müsse bitteschön die gesamte Legislaturperiode "ordentlich analysieren".

Edmund Stoiber ist nicht ins Maximilianeum gekommen, dem Landtag hoch über München. Und er reagiert nicht. Bisher nicht. Nur einige seiner alten Verbündeten werfen sich in die Bresche. "Diese Schuld-Kampagne, die geht gar nicht", sagt ein langjähriger Stoiber-Gefährte.

Am Montagmorgen will die CSU-Spitze in der Parteizentrale beraten, wie es weitergehen soll. Wird sich Huber in diesem Gremium als Vorsitzender halten können? Oder wird CSU-Vize Horst Seehofer jetzt, nach einem Minus von fast 20 Prozentpunkten, seinen Machtanspruch formulieren?

Von Seehofer ist an diesem Wahlabend kein böses Wort zu vernehmen. Er habe "noch keinen so bitteren Tag wie heute erlebt", das sei "eine politische Katastrophe". Ob ihm jetzt der Rote Teppich in die Parteizentrale ausgerollt werde, fragt eine. Seehofer gibt den Mannschaftsspieler: "Das glaube ich nicht und darauf kommt es auch nicht an." Niemand habe Grund, jetzt Eitelkeiten zu pflegen, "eine gemeinsame Aufgabe" stehe an. Aber natürlich, die Bevölkerung habe eine Botschaft an die CSU gesendet, "deshalb müssen wir auch Einiges ändern".

Seehofer lobt - und lauert. Er hakt sich unter und empfiehlt sich damit für den Parteivorsitz. Oder für mehr, wenn Beckstein kippt. "Der doppelte Seehofer ist nicht auszuschließen", sagt einer aus der CSU-Spitze.

Klar ist: "Ein Weiter-so darf es nicht geben", das hört man an diesem Fiasko-Abend von allen CSUlern. "Wir sind schwer abgestraft worden, und die Strafe ist nicht mal zur Bewährung ausgesetzt worden", sagt Engelbert Kupka, bisher CSU-Vize-Fraktionschef in München. Jetzt werde sich "viel verändern". Man werde schon allein deshalb eine Personaldiskussion bekommen, weil die CSU in einer Koalitionsregierung nicht mehr alle Minister, Staatssekretäre und Ausschussvorsitzende im Landtag stellen könne.

In einer Koalitionsregierung müsste die seit mehr als vier Jahrzehnten allein herrschende CSU das Teilen lernen. Ein Bündnis mit der FDP allerdings scheint nicht zwangsläufig.

Er sei "gegen jede Vorfestlegung" auf die Liberalen, sagt Bayerns JU-Chef Stefan Müller, der einen Sonderparteitag fordert, auf dem über eine Koalitionsregierung oder personelle Entscheidungen an der Spitze entscheiden müsse.

CSU-Fraktionschef Georg Schmid wählt sogar ein ganz spezielle Reihenfolge bei Beantwortung der Koalitionsfrage: "Wir reden mit SPD, Freien Wählern - und auch mit der FDP." Dieser Dreisatz ist kein Zufall. Schmid wiederholt ihn bei jedem Frager exakt so. Dahinter steckt Taktik. Die CSU will die Liberalen nicht zu mächtig werden lassen. Andere sind da realistischer. "Als halbwegs verlässlicher Partner bietet sich nur die FDP an", sagt Europaminister Markus Söder.

Bei der ebenfalls mit einem desaströsen Wahlergebnis ausgestatteten SPD denken zwar manche durchaus an eine schwarz-rote Koalition ("Wir müssen uns jetzt taktisch klug verhalten"), doch wollen führende Sozialdemokraten die Hoffnung auf ein - von den Liberalen abgelehntes - Viererbündnis aus SPD, Freien, FDP und Grünen nicht aufgeben. "Themenmäßig" gebe es große Überschneidungen, sagt Bayerns SPD-Vize Florian Pronold. Die SPD werde das Gespräch suchen, mit den Grünen haben man sich schon für Mittwoch verabredet.

Vor Pronold flimmert jetzt Erwin Huber auf dem Fernseh-Schirm. "Die CDU hätte uns in der Tat etwas mehr Rückenwind geben können", sagt er. Und meint die Blockadehaltung von Kanzlerin Angela Merkel in Sachen Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale.

Die Niederlage der kleinen Schwesterpartei trifft nun auch Merkel. Auf der Wahlparty in der Berliner CDU-Zentrale ist allen klar: Auf die Vorsitzende kommen schwere Zeiten zu. Sie braucht bei den Bundestagswahlen im kommenden Jahr eine 50-Prozent-CSU, damit Schwarz-Gelb überhaupt eine realistische Option ist. "Das ist eine Katastrophe", sagt Michael Fuchs, Chef des Mittelstandskreises der Unionsfraktion im Bundestag.

Merkel selbst schweigt am Sonntagabend - heiser soll sie sein, ist zu hören - rein erkältungsbedingt natürlich. Auch Ronald Pofalla kämpft während seines Kurzauftrittes zeitweise mit dem Frosch im Hals. "Bittere Verluste" konstatiert der CDU-Generalsekretär, die Worte Niederlage oder Schlappe vermeidet er.

Pofalla tröstet sich damit, dass immerhin der "Steinmeier-Faktor" für die SPD ausgeblieben sei. Das bürgerliche Lager käme nach wie vor auf mehr als 60 Prozent, rechnet er vor - und verbindet es mit der Hoffnung, dass die CSU 2009 zumindest die Stimmern der Freien Wähler wiederholen könnte - denn die treten ja bei der Bundestagswahl nicht an.

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