Bayerns Innenminister Herrmann "Die Eskalation müssen wir sehr ernst nehmen"

Das Mordattentat von Passau markiert eine neue Qualität von Gewalt: Eine solche Attacke auf einen prominenten Staatsvertreter habe es lange nicht gegeben, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE fordert er härteres Durchgreifen gegen Neonazis.

SPIEGEL ONLINE: Herr Staatsminister, Sie haben den mit einem Messer attackierten Passauer Polizeichef Alois Mannichl im Krankenhaus besucht. Wie geht es ihm?

Herrmann: Die Notoperation gestern ist gut verlaufen, sein Zustand ist stabil. Wenn alles ordentlich läuft, kann er Weihnachten wieder bei seiner Familie sein. Das wünsche ich ihm.

SPIEGEL ONLINE: Mannichl ist bekannt dafür, entschieden gegen Neonazis vorzugehen. Das Attentat jetzt verübte ein mutmaßlicher Skinhead.

Herrmann: Wenn sich die Neonazi-Täterschaft bestätigen sollte, dann ist das eine neue Dimension rechtsextremer Verbrechen. Denn dass Neonazis einen Polizeibeamten in dessen privatem Umfeld angreifen, das hat es in Bayern seit Jahrzehnten nicht gegeben. Hier wurde zuvor offenbar ganz gezielt Mannichls Privatsphäre ausgeforscht.

SPIEGEL ONLINE: Gezielte Attentate kennt man in Deutschland von der RAF. Fürchten Sie die Entstehung einer Art braunen Terrorgruppe?

Herrmann: Wir müssen uns vor Spekulationen hüten. Jetzt ermitteln wir erst mal, ob es sich um einen Einzeltäter handelt oder es Hintermänner gibt. Aber klar ist: Die Attacke auf einen einzelnen prominenten Vertreter des Staates ist eine neue Form. Diese Eskalation der Gewalt müssen wir sehr ernst nehmen.

SPIEGEL ONLINE: In Bayern breiten sich die Neonazis aus. Immer wieder versuchen sie etwa, leer stehende Gastwirtschaften auf dem Land zu übernehmen. In Mannichls Heimatort Fürstenzell ist das "Café Traudl" ihr Treffpunkt. Wie wollen Sie dieser Neonazis Herr werden?

Herrmann: Wir haben in letzter Zeit eine Zunahme an rechtsextremen Aktivitäten in Bayern verzeichnen müssen. Denken Sie an die Beerdigung eines Neonazi-Funktionärs im Sommer in Passau ...

SPIEGEL ONLINE: ... damals wurde auch eine Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz ins Grab geworfen, Rechtsradikale haben später in der Stadt randaliert ...

Herrmann: ... das ist zunehmend eskaliert. Wie aus heiterem Himmel sind die Neonazis auf unsere Beamten losgegangen. Darauf müssen wir konsequent und hart reagieren. Gerade das Engagement von Mannichl in den letzten Jahren zeigt doch, wie wichtig und richtig das ist.

SPIEGEL ONLINE: Heißt konkret?

Herrmann: Wir müssen bei jedem Rechtsverstoß hart durchgreifen. Neonazi-Aufmärsche müssen unterbunden werden, so gut es geht. Genau deshalb haben wir in Bayern erst vor kurzem das Versammlungsgesetz dahingehend geändert. Wo ein Unterbinden dieser Aufmärsche nicht gelingt, müssen wir sie möglichst stark einschränken, ihnen ihren militanten Charakter nehmen – also etwa verhindern, dass einer in Springerstiefeln aufmarschiert und rechtsradikalen Spuk betreibt. Bei jeder Gelegenheit müssen wir öffentlichen Druck ausüben, jede Neonazi-Veranstaltung mit Polizei und Verfassungsschutz begleiten. Jedem Teilnehmer muss klar sein, dass er identifiziert wird, wenn er sich an solchen Umtrieben beteiligt.

SPIEGEL ONLINE: Ist das Problem Rechtsextremismus bisher unterschätzt worden?

Herrmann: Nein, wir gehen da seit Jahren sehr konsequent vor. Bayern hat damals auch das Verbot der NPD betrieben, leider ohne Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht. Wir sehen uns nun in tragischer Weise durch Alois Mannichl bestätigt, dass Härte und Verbote wichtig sind. Es trifft die Neonazi-Szene, sie reagiert zunehmend irritiert und wütend.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von einem neuen Verbotsverfahren gegen die NPD?

Herrmann: Mit den anderen Innenministern bin ich mir einig, dass wir neue Grundlagen für ein solches Verfahren benötigen, dass wir sammeln müssen. Es bringt ja nichts, ein zweites Mal vom Verfassungsgericht gestoppt zu werden. Wenn wir also entsprechende Argumente haben, dann ist ein erneutes Verbotsverfahren sinnvoll. Wir müssen auch prüfen, inwieweit wir der NPD bei der Parteienfinanzierung das Wasser abgraben können.

Das Interview führte Sebastian Fischer
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
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