Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Immer schön weiterbeleidigen

Darf man über eine TV-Moderatorin sagen, dass sie ihren Kopf zur Seite lege, damit sich der Verstand in einer Ecke sammelt? Man muss sogar. Denn Freiheit fängt erst an, wo sie zu weit geht.

Henryk M. Broder hat vor Längerem über eine Fernsehmoderatorin geschrieben, sie lege ihr Köpfchen zur Seite, damit der Verstand sich in einer Ecke konzentrieren kann. Ein wunderbarer Satz, wie ich fand, dessen Wahrhaftigkeit unmittelbar einleuchtete, auch wenn man die Frau nie gesehen hatte. Es geht hier nicht um die Person, sondern um die Kunst der Beleidigung.

Die Moderatorin hingegen sah sich in ihrer Ehre verletzt und zog wegen dieser und noch ein paar anderer echter Gemeinheiten vor das Landgericht Düsseldorf, das ihr 10.000 Euro Schmerzensgeld zusprach.

Das Oberlandesgericht, vor dem der Fall landete, kassierte die Entscheidung der Vorinstanz. Was hätte man über Fernsehmoderatoren noch sagen dürfen, wenn es bei dem Urteil geblieben wäre: Dass ihr Witz und ihre Intelligenz leider nicht bei allen Sendungen gleichermaßen zum Einsatz komme? Am Ende musste Broder 40 Prozent der Gerichtskosten tragen, was immer noch ziemlich happig ist.

Wie man es von Broder kennt, lässt er sich von juristischen Widrigkeiten nicht lange von der Arbeit abhalten. Gerade erst hat er ein neues Buch herausgebracht ("Das ist ja irre"), in dem er wieder furchtlos gegen alle zu Felde zu zieht, von denen er annimmt, dass sie Unsinn reden oder dass es sich bei ihnen um einen ausgemachten "Knallkopf" handelt, wie Eckhard Henscheid einst dem armen Heinrich Böll hinterherrief.

Die wahre Kunst ist die Beleidigung nach oben

Ich bin ein großer Freund der Beleidigung. Manche Menschen verdienen, dass man ihnen den Kopf zurechtrückt, oder, wie im Fall der Moderatorin, das Köpfchen. Es gilt in Deutschland als unfein, über andere in herabwürdigender und hinabsetzender Absicht zu schreiben. Das könne man doch nicht sagen, heißt es dann, das gehe zu weit. Da wo's zu weit geht, fängt die Freiheit erst an, hat der Kabarettist Werner Finck einmal erwidert. Auch ein Satz, den man sich merken kann.

Die ungestrafte Spottlust steht am Anfang der Aufklärung. Der Freiheitsgrad einer Gesellschaft lässt sich ziemlich verlässlich daran bemessen, wie die Obrigkeit mit Leuten umspringen darf, die nach ihrem Geschmack zu frech und zu aufsässig sind. Nicht mehr im Gefängnis schmoren zu müssen, wenn sich einer auf den Schlips getreten fühlt (oder schlimmer: mit einem Mühlstein um den Hals am Grund eines Sees zu enden), ist eine der großen Errungenschaften der Moderne. Alles, was wir an Meinungsfreiheit schätzen, folgt von dort.

Es ist noch nicht so lange her, da reichte ein falscher Satz, um sich Karriere und Gesundheit zu zerstören. Dem Rechtsanwalt William Prynne ließ der englische König Karl I. wegen einer Theaterkritik beide Ohren vom Kopf säbeln. Die angebliche Beleidigung waren vier Worte, die Königin Henrietta Maria als Anspielung verstanden hatte: "Schauspielerinnen sind gewohnheitsmäßige Huren". Die Königin hatte kurz nach Erscheinen der Schrift eine Rolle in einer dramatischen Darstellung am Hof übernommen. Ein dummer Zufall, wie man so schön sagt.

Wie überall im Leben gilt auch bei der Schmähkritik, dass Dummheit jede Freiheit verhunzt. Menschen herabzusetzen, die ohnehin schon klein sind, ist billig. Das schönste Spottwort ist nichts wert, wenn das Urteil über denjenigen, dem man es verpasst, längst gefallen ist.

Zum Jahresausklang eine kleine Auswahl an vorbildlichen Beleidigungen, zusammengelesen aus dem Sammelband "Dichter beschimpfen Dichter", einem Kompendium der literarischen Verbalinjurie:

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Foto: SPIEGEL ONLINE
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